Die Streetworkerin Sabine Hanauer und ihre Kollegin
Klimakrise

Hitzewelle in Wien: Ein Tag mit dem Hilfsteam der Caritas

In Österreich gab es im vergangenen Jahr etwa 230 Hitzetote. Die größte Gefahr besteht für Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen, Obdachlose sind besonders betroffen. Ein Streetwork-Team versucht zu helfen.

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Mit Sonnencreme, Wasserflaschen, Kappen und Informationsmaterial ausgestattet, ziehen die Sozialarbeiterinnen Sabine Hanauer und ihre Kollegin von der „Gruft“, einem Caritas-Betreuungszentrum für Wohnungslose, los. Heute gehen sie nur mit einem kleinen Rucksack bepackt am Vormittag durch den sechsten Bezirk, diese Woche waren sie aber auch schon am Abend mit dem Auto und mehr Hilfsmaterial wie Schlafsäcken ausgestattet unterwegs.

Nach ein paar hundert Metern Fußweg kommen die beiden mit dem ersten Obdachlosen ins Gespräch: Ein Mann sitzt im Schatten am Straßenrand der Mariahilferstraße. Neben ihm liegt sein großer, hechelnder Hund. Vor dem Vierbeiner steht ein Futter- und Wassernapf. Für den Hund ist jedenfalls gesorgt, wie es dem Besitzer geht, ist noch unklar. Der Mann reagiert freundlich, als die Sozialarbeiterinnen auf ihn zukommen. Auch die Flasche Wasser nimmt er bei 28 Grad Celsius Außentemperatur gerne an. Offiziell gilt erst ein Tag ab 30 Grad als Hitzetag. Dass dem Mann zu heiß ist, sieht man ihm trotzdem deutlich an. Sonnencreme liegt neben ihm. Wie er mit der Hitze umgeht? Er wandert von Schattenplatz zu Schattenplatz, wenn es ihm zu heiß wird. 

Die Sozialarbeiterin zeigt das Sortiment

Jeder kennt das Kältetelefon der Caritas. Weniger bekannt ist, dass Streetworker in Wien auch bei brütender Hitze unterwegs sind, um jenen zu helfen, die besonders stark unter den gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze leiden: Gerade für Obdachlose ist die Hitze gefährlich: Sie leiden häufig unter Vorerkrankungen. Ohne eigene Wohnung können sie sich nicht bequem in Innenräumen erholen, wenn es gesundheitlich zu viel wird. 

Flucht ins Grüne

Wie Sabine Hanauer erzählt, müssen Menschen ohne festen Wohnsitz oft ihr ganzes Hab und Gut in „Sackerln“ und Einkaufswägen transportieren -  an Hitzetagen ist das kräftezehrend. Besonders in der Innenstadt haben sie wenig Möglichkeiten, sich von den Temperaturen zu erholen. Aufenthaltsorte, an denen nichts konsumiert werden muss, sind rar. Viele ziehen im Sommer auf die Donauinsel um, im Grünen ist es kühler als in der Innenstadt. Ein weiterer beliebter Aufenthaltsort: Parks.

Genau dort treffen die Streetworkerinnen Herrn M., einen alten Bekannten. Der Mann döst am Boden auf einer Isomatte, als die Sozialarbeiterinnen auf ihn zugehen. Manchmal reagiere Herr M. aggressiv, derzeit kämpft er mit “offenen Beinen“, einer schlecht heilenden Wunde im Bereich des Unterschenkels. Behandeln lassen will er sich nicht. „Hat sowieso alles keinen Sinn mehr“, sagt er den Sozialarbeiterinnen. Der Mann leidet unter Depressionen und an Alkoholsucht.

Die Mariahilfer-Straße an einem Hitzetag.

So wie Herr M. kämpfen viele Obdachlose mit psychischen Erkrankungen oder haben andere Vorerkrankungen. Das wies zuletzt das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf mit einer Studie in Österreichs Nachbarland Deutschland nach. Sabine Hanauer erzählt bei der Tour durch den sechsten Bezirk von einem Klienten, der ganzjährig eine Winterjacke und eine Haube trägt. Eine körperliche oder psychische Beeinträchtigung könne zur Folge haben, dass man die Hitze gar nicht mehr spürt. Zudem gehe Obdachlosigkeit oft mit einem Selbstfürsorgedefizit einher: Menschen vergessen zum Beispiel bei Hitze zu trinken, spüren nicht, was der eigene Körper braucht.

Hitze als Gefahr

Hitzetage gibt es immer mehr. Die „besonders Vulnerablen“ sind nicht die einzigen, denen die Folgen der Erderhitzung gesundheitlich zu schaffen macht. Wie das Wiener Rote Kreuz auf profil-Anfrage mitteilte, gibt es an durchschnittlichen Tagen etwa 1.000 Einsätze, an Hitzetagen liege die Zahl „deutlich darüber“. Im Jahr 2018, einem Jahr mit besonders vielen Hitzetagen, gab es in Österreich sogar mehr Hitzetote als Verkehrstote. Der Tod von 550 Personen war 2018 auf die Hitze zurückzuführen, im Vergleich dazu starben im selben Jahr 409 Personen bei einem Verkehrsunfall. 

Den meisten ist bewusst, dass Kälte die Gesundheit belastet, doch Hitze wird unterschätzt. Sabine Hanauer wünscht sich ein gesellschaftliches Umdenken, was die Sicht auf Obdachlosigkeit betrifft: „Obdachlosigkeit ist nicht nur im Winter gefährlich. Obdachlos bin ich das ganze Jahr, nicht nur im Winter.“ Im Sommer müsse man sich eben vor anderen Gefahren schützen. Zum Beispiel habe der Starkregen Ende Juni die Hauseingänge überflutet. Ein Ort, wo viele Obdachlose in der Nacht häufig Schutz finden. 

In der Gruft der Caritas gibt es auch ein Notquartier.

 „Obdachlosigkeit ist nicht nur im Winter gefährlich.Obdachlos bin ich das ganze Jahr, nicht nur im Winter.“

Sabine Hanauer, Teamleiterin für Soziale Arbeit in der Gruft

Durch das Winterpaket der Stadt Wien können in der kalten Jahreszeit viele Notquartierplätze angeboten werden, ab Ende April läuft diese Förderung aber aus. Das heißt auch, dass mehr Menschen im Sommer auf der Straße schlafen müssen. Nur „besonders vulnerable“ Menschen bekommen dann ein Bett. 

„Alle anderen verlieren von heute auf morgen ihren Schlafplatz“, sagt Sabine Hanauer. Die Nachfrage sei da, das Angebot sei im Sommer aber sehr gering. Das „Kältetelefon“ der Caritas wird im Sommer auch nicht zum „Hitzetelefon“. Wer im Sommer Streetworkerinnen über Aufenthaltsplätze von Obdachlosen informieren will, wählt eine andere Telefonnummer (01 5878754). Von November bis Ende April mussten aufgrund von Platzmangel um die 260 Personen im Notquartier der Wiener Gruft abgewiesen werden, allein im Zeitraum Mai bis Juni hat sich die Zahl jener, die keinen Schlafplatz erhielten, mehr als verdreifacht.

Der „Fonds Soziales Wien“ rechtfertigt die fehlenden Plätze damit, dass es – anders als im Sommer - im Winter darum geht, zu verhindern, dass jemand draußen schläft und dadurch sein Leben riskiert. Außerdem verändere sich die Zielgruppe der Angebote für Obdachlose über den Sommer: Personen würden vermehrt wieder Arbeit finden oder in ihr Heimatland oder Bundesland zurückkehren. 

Hitzetage häufen sich

Dabei sind auch Nächte bei extremer Hitze im Freien eine große Belastung für Obdachlose. Städte sind Hitzeinseln, die durch viel Beton und Verbauung im Sommer schlechter abkühlen. Der Asphalt, auf dem viele Obdachlose schlafen müssen, bleibt warm. Es ist nicht einmal kurz möglich, sich von der Hitze zu erholen. 

Tage mit einer Außentemperatur über dreißig Grad im Schatten werden von Jahr zu Jahr häufiger. Die Anzahl der Hitzetage hat sich den letzten Jahrzehnten laut ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) „verdoppelt bis verdreifacht“. 1961 bis 1991 gab es in Rekordjahren etwa 20 Hitzetage, von 1991 bis 2020 lag der Rekord bei 40 Tagen über 30 Grad Celsius. Bei fehlenden Klimaschutzmaßnahmen gehen Experten in Zukunft von 60 bis 80 Tagen Hitzetagen bis zum Jahr 2100 aus.

Im Sommer hittzt sich der Asphalt auf

Das Problem um Hitze und Obdachlosigkeit scheint der Stadt Wien bekannt zu sein, sie veröffentlichte letztes Jahr einen „Hitzeaktionsplan“. Obdachlose werden hier als vulnerable Gruppe angeführt: „Hitze birgt für obdachlose Menschen massive Gefahren“, heißt es in dem Plan. Auch ein Maßnahmenbündel wird darin vorgestellt. Was bisher schon aus dem Plan realisiert wurde: Der Fonds Soziales Wien habe im letzten Jahr unter anderem verstärkt auf Sozialarbeit gesetzt: Sozialarbeiterinnen verteilen wie Sabine Hanauers und ihr Team Wasserflaschen, Kappen oder Sonnencremes und verweisen auf die zehn Tageszentren in Wien. Hier können sich Obdachlose Abkühlung verschaffen. 

In eines dieser Tageszentren kehren Sabine Hanauer und ihre Kollegin nach zwei Stunden wieder zurück: Am Weg dorthin treffen die beiden so manches bekanntes Gesicht. Ein großes Ziel beim Streetwork ist für Sabine Hanauer, mit den Klienten in Beziehung zu bleiben und über Hilfsangebote zu informieren. Beziehungsaufbau heißt da manchmal schon, eine Zigarette oder eine Flasche Wasser anzubieten. Herr T., den die Sozialarbeiterinnen schon lange kennen, nimmt das Angebot gerne an. Er liegt auf einem Betonblock in der prallen Sonne, als die beiden ihn ansprechen. Kapperl hat er auf dem Kopf. Es gehe ihm gut, versichert er. „Ciao, Bussi, Bussi“, ruft er nach, als sie ihn verlassen.

Hitzetipps

  • Kopf und Nacken mit feuchten Tüchern bedecken oder Unterarme in kaltes Wasser halten
  • Nicht erst bei Durstgefühl trinken (1,5 bis drei Liter)
  • Stark gesüßte Getränke und Alkohol vermeiden
  • Leichte, kleinere Mahlzeiten über den Tag verteilt essen
  • Helle, weite Kleidung und Kopfschutz tragen 
  • Anstrengung vermeiden: Intensiven Sport erst am Abend machen
  • Beim Hitzetelefon des österreichischen Gesundheitsportals anrufen und sich von Experten zum Thema beraten lassen: 0800 880 800
Anna Wintersteller

Anna Wintersteller

war bis September 2023 bei profil.