Ein Mann, es ist der Psychiater und Schriftsteller Paulus Hochgatterer
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Autor Hochgatterer: „Trump ist seinen Impulsen ausgeliefert“

Autor und Psychiater Paulus Hochgatterer über alte weiße Männer, Politik als Beruf und die heikle Gender-Frage.

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Herr Hochgatterer, Studien besagen, dass 25 Prozent aller Jugendlichen in Österreich an einer diagnostisch zuordenbaren psychischen Störung leiden. Das ist erschreckend.

Hochgatterer

Da muss ich eines vorausschicken: Als Kinder- und Jugendpsychiater ist man nicht nur verpflichtet, sondern durch den Kontakt mit Kindern und Jugendlichen auch verführt, professioneller Optimist zu sein. Die Haltung unserer Gesellschaft, alles gehe den Bach runter, möchte und darf man im Sinne der Kinder und Jugendlichen nicht teilen. Andererseits ist die Zahl, die Sie nennen, wissenschaftlich gut belastbar. Die österreichische Studie „Mental Health in Austrian Teenagers“ belegt, dass ein Viertel der Kinder und Jugendlichen ein nennenswertes und psychiatrisch definierbares psychisches Problem haben.

Welche Probleme sind das?

Hochgatterer

Es handelt sich zu einem wesentlichen Teil um affektive Störungen, also um das, was man allgemein unter Depressionen subsumiert. Wir haben es in den letzten Jahren mit deutlich mehr suizidalen Jugendlichen zu tun, mit jungen Menschen, die ernsthaft daran gedacht haben, sich das Leben zu nehmen. Auch die Essstörungen sind wieder in die Höhe gegangen, ebenso die Suchterkrankungen.

Wie sehr hängt das mit der Corona-Pandemie zusammen?

Hochgatterer

Zum Teil schon, aber es sind auch Faktoren wie der Krieg in der Ukraine, die weltpolitische Situation insgesamt, die den Jugendlichen genauso Unbehagen bereitet wie den Erwachsenen.

Wie bleibt man da Optimist?

Hochgatterer

Der wesentliche Faktor, der mich immer wieder optimistisch gemacht hat, ist der persönliche Kontakt zu Kindern und Jugendlichen. Sie zeigen zwar diesen Anstieg an psychischer Belastung und definierbaren psychischen Störbildern, weisen aber trotz allem nach wie vor eine kaum korrigierbare Tendenz auf, wieder gesund zu werden. Kinder und Jugendliche wollen sich entwickeln. Sie wollen, auch wenn es ihnen manchmal sehr schwer gemacht wird, psychisch gesund sein.

Trotz des Anstiegs der psychischen Erkrankungen herrscht in Österreich ein eklatanter Mangel an Psychiaterinnen und Psychiatern für Kinder und Jugendliche. Ist das akutes Staatsversagen?

Hochgatterer

Der Begriff Staatsversagen hat etwas distanzierend Abwehrendes. Man schreibt die Ursache für ein Problem nicht sich selbst, sondern einem Abstraktum zu, das man Staat nennt. Ich glaube, wir alle als Gesellschaft haben in dieser Frage versagt. Den jetzigen Mangel hätten wir vor 20 Jahren antizipieren müssen.

Wenn kein Staatsversagen, ist es doch ein Politikerversagen.

Hochgatterer

Es ist insofern Politikerversagen, als Politiker tendenziell in jene Richtung schauen, aus der am lautesten geschrien wird. Und da Kinder und Jugendliche in Bezug auf ihre Bedürfnisse weder laut schreien noch eine starke Lobby haben, werden sie von der Politik zu wenig beachtet.

So gut wie jede Partei behauptet von sich, Familienpartei zu sein. Das inkludiert auch die Sorge um Kinder und Jugendliche.

Hochgatterer

Das sind hübsche Floskeln. Die Politik hätte längst Gelegenheit gehabt, sich landesweit besser um die Versorgung psychisch belasteter Kinder und Jugendlicher zu kümmern. Da fehlt ein gemeinsamer politischer Wille. Es ist zum Beispiel ziemlich beschämend, dass in einem wohlhabenden Land wie Österreich Psychotherapie für Kinder und Jugendliche nicht selbstverständlich kassenfinanziert wird.

Psychotherapie für die eigenen Kinder müssen sich Eltern leisten können.

Hochgatterer

Das ist das Eine. Noch wichtiger ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Situation von Familien und der Häufigkeit psychischer Erkrankungen der Kinder. Armut macht krank, Arbeitslosigkeit macht krank. Wenn die Eltern als wichtigste Beziehungspersonen psychisch instabil sind, weil sie kein Geld oder keine Arbeit haben, wirkt sich das natürlich auf die psychische Gesundheit der Kinder aus.

Sie haben Suchtverhalten angesprochen. Wie sollen wir mit der Handysucht der Kinder umgehen?

Hochgatterer

Da muss man terminologisch präzise sein. Eine Sucht ist eine psychische Erkrankung, von der man nur sprechen sollte, wenn ernsthaft der Alltag der Betroffenen beeinträchtigt ist, wenn Schule, Beziehungen, Freizeit nicht mehr funktionieren. Das ist bei einem kleinen Teil der Kinder und Jugendlichen der Fall. Wenn Jugendliche ihr Handy als Körperteil bezeichnen, ist das kein Hinweis auf Sucht, sondern schlicht darauf, dass ein Leben ohne Smartphone nicht mehr denkbar ist.

Trump benimmt sich, wie wir es in der Kinderpsychiatrie von nicht behandelten ADHS-Kindern kennen: ungesteuert, sprunghaft, seinen Impulsen völlig ausgeliefert.

Gernot Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und seit 2025 Leiter des Innenpolitik-Ressorts. Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl.