„Hochrisikogefährder“: Porträt eines Wiederholungstäters
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Es ist der 16. Dezember 2018: Fünf vermummte Männer stehen mit ihren Instrumenten auf der Bühne des Bingo Clubs in Kyiv (Kiew). Vor den Männern ein fast tausendköpfiges Publikum. An diesem Wochenende findet in der ukrainischen Hauptstadt das „Asgardsrei“ statt, eines der größten Neonazi-Festivals Europas. Während die maskierte Band der Menge ihre stampfenden Hardcore-Lieder entgegenschmettert und sich vor der Bühne verschwitzte Fans drängen, heben unzählige Männer im Publikum den rechten Arm zum Hitlergruß. Der Mann mit der Gitarre, ganz links auf der Bühne, trägt eine Camouflage-Kappe verkehrt am Kopf. Es ist Manuel E. aus Lienz in Osttirol, Netzwerker und Kopf der rechtsextremen Band Terrorsphära.
Der Hintergrund
Fast fünf Jahre später, am 27. Oktober 2023, wird der inzwischen 38-Jährige in Lienz festgenommen. Seit vergangenem Sommer läuft ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann wegen NS-Wiederbetätigung. Er macht trotzdem weiter: E. verkehrt mit Szenegrößen wie dem bekanntesten Neonazi Österreichs, Gottfried Küssel, lädt den deutschen Rechtsextremisten Hendrik Möbus nach Wien ein.
Manuel E. ist seit gut zwei Jahrzehnten in der Neonazi-Szene aktiv. Als Jugendlicher aus zerrüttetem Elternhaus – „geschwängert von Alkohol“, wie er selbst sagt – ist er mit „Glatzen“ unterwegs, rechtsextremen Skinheads, Neonazis. Noch bevor er 18 ist, steht er wegen „Sieg Heil“-Rufen vor Gericht und wird verurteilt. Bald folgen weitere Schuldsprüche, auch wegen Gewalt gegen zwei afrikanische Asylwerber. Manuel E. wird 2003 erstmals zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
Ein Jahr später folgt der nächste Prozess wegen NS-Wiederbetätigung, ihm blüht eine zweite Haftstrafe. „Nachdem der Osttiroler im Mai 2008 aus der Haft entlassen wurde, nahm er unverzüglich seine Arbeit und den nationalen Aktivismus wieder auf“, hieß es 2010 in einem österreichischen Neonazi-Forum, wo Spenden für Manuel E. eingetrieben wurden. Denn: Im selben Jahr soll „der Osttiroler“ wieder wegen NS-Wiederbetätigung vor Gericht stehen. Diesmal aber wird er von den Vorwürfen freigesprochen.
Erneut vor Gericht
Mehr als fünf Jahre später, am vergangenen Montag, es ist der 11. März 2024, wird derselbe Manuel E. in Innsbruck von zwei Justizwachebeamten aus der Untersuchungshaft einem Geschworenengericht vorgeführt. Im Anzug sitzt der Glatzkopf dem Richtersenat gegenüber. Dem Mann mit den breiten Schultern und dem selbstbewussten Blick drohen bis zu 20 Jahre Haft. Der Verfassungsschutz stuft ihn als „Hochrisikogefährder“ ein, beschreibt ihn als „sprachgewandten Blender mit oberflächlichem Charme“. Er sei bereit, das politische System Österreichs zu destabilisieren.
Im hinteren Bereich des Gerichtssaals haben sich einige „Kameraden“ versammelt, darunter amtsbekannte Proponenten der österreichischen und deutschen Neonazi-Szene: ein Hinweis, dass hier ein Rädelsführer vor Gericht steht. Der Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ordnet Manuel E. „an zentraler bzw. führender Stelle in der österreichischen Neonaziszene ein“. Er verfüge über beste Kontakte zu Rechtsextremen in den Nachbarländern, vor allem nach Deutschland.
Am Landesgericht Innsbruck wird dem Angeklagten nationalsozialistische Wiederbetätigung in 17 Fällen vorgeworfen – über einen Tatzeitraum von mehr als einem Jahrzehnt. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, mittels NS-Büchern und mit Runen bedruckter Bekleidung nationalsozialistisches Gedankengut beworben zu haben. In beschlagnahmten Videos soll er mit einem „abgewandelten Hitlergruß“ gegrüßt und in Sprachnachrichten das „Dritte Reich“ glorifiziert haben. Vor einigen Jahren soll er versucht haben, den als „treuesten Unterstützer“ der deutschen Rechtsterrorzelle NSU verurteilten André Eminger in Haft zu besuchen.
Auch die Band Terrorsphära, mit der E. in Kyiv aufgetreten ist, spielt eine Rolle: In dem Lied „Sonnenorden“ soll sie die Waffen-SS glorifizieren. Auf dem Cover des Albums prangt ein Messer mit schwarzem Griff. Der Ehrendolch der Waffen-SS, so die Staatsanwaltschaft. In die Klinge ist üblicherweise ihr Leitspruch graviert: „Meine Ehre heißt Treue“. Am Cover von Terrorsphära ist genau diese Stelle verdeckt.
Exkurs: Neonazis auf Konzerttour
Während das Konzert in der Ukraine in der Anklage keine Rolle spielt, wird ein Auftritt der Band in Portugal Prozessthema sein. Unter dem Titel „NSHC Beatdown“ fand im Dezember 2017 ein Auftritt von Terrorsphära in Lissabon statt. „Ich war damals in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Das Konzert war ordnungsgemäß angemeldet“, sagt Manuel E. zum Richtersenat. Seinen damaligen Wohnsitz betont er, da er der Meinung ist, die deutsche Rechtslage würde ihm entgegenkommen. „Auf den Flyer habe ich keinen Einfluss gehabt.“ Der Titel der Veranstaltung „NSHC“ bedeute, da sind sich der Angeklagte und die Staatsanwältin immerhin einig, „National Socialist Hardcore“.
Auch streitet der Angeklagte nicht ab, dass die Veranstalter die „Hammerskins“ waren: eine weltweit tätige neonazistische Bruderschaft, die in Deutschland verboten wurde, weil sie den „Rassenkampf“ propagiert. 2006 wurden mehrere portugiesische Hammerskins wegen Waffenhandels verurteilt. Wer Veranstalter seiner Konzerte sei, sei ihm „egal“, sagt Manuel E. vor Gericht. Der Veranstalter aber habe ihm damals eine Mütze geschenkt. Die habe der Osttiroler nachweislich getragen. Sie trägt den Aufdruck „Crew 38“: das Unterstützernetzwerk der Hammerskins. „Ich war niemals Mitglied der Organisation“, sagt E. dazu lapidar. Ähnlich wie bei Rockergangs ist der Zugang zur Crew 38 und den Hammerskins aber streng reglementiert. Mützen mit ihren Logos sind nicht frei erhältlich. Manuel E. will die Kappe entsorgt haben.
Der Mann wird sich an dem Tag vor Gericht ausführlich rechtfertigen. Er wird langatmig seine Expertise zum Verbotsgesetz vortragen, gegen das er nie verstoßen habe.
Die Verteidigung
Er betont mehrmals: „Ich bin kein Straftäter mehr. Ich wäre blöd, denn ich habe eine Familie.“ Die inkriminierende Bekleidung hätte er nur im Ausland getragen, wo dies nicht strafbar sei. Bücher aus der Nazi-Zeit besitze er „allenfalls aus geschichtshistorischem Interesse“. Er beteuert, „keine Meinung“ zum Holocaust zu haben. Erst auf mehrmalige Nachfrage ringt er sich durch zu sagen, er finde „Tötung und Massenhinrichtungen schlecht, auch in der Zeit des Nationalsozialismus“. Fügt aber hinzu: „Aber was hat die Vergangenheit mit der Gegenwart zu tun?“ Trotz wortreicher Beteuerungen gelingt es ihm nicht, zu erklären, wie Formulierungen wie „die goldenen sechs Jahren nach dem Anschluss“, oder die „Befreiung von den Befreiern“ nicht als Glorifizierung des Nationalsozialismus verstanden werden könnten.
Das Urteil
Um etwa 21.30 Uhr ziehen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Zwei breitschultrige Justizwachebeamte führen Manuel E. vorübergehend wieder ab. Erst um ein Uhr nachts verkündet die Richterin das Urteil: Schuldspruch in den meisten Anklagepunkten. „Neun Jahre Haft.“ Aus der letzten Reihe ist ein Ausruf zu vernehmen: „Dreckspack!“ Von ebendort hört man das laute Schluchzen der Ehefrau des Angeklagten. Die Richterin führt aus, Manuel E. habe sich über einen besonders langen Zeitraum nationalsozialistisch wiederbetätigt, sogar noch, als schon gegen ihn ermittelt wurde. Er weise einschlägige Vorstrafen auf, daher das harte Urteil. Sie fügt hinzu, bei E. habe es „keine mildernden Gründe“ gegeben, die das Strafmaß reduzieren würden. Auch Andreas Peham vom DÖW findet die lange Strafe nachvollziehbar: „Das Urteil ist angesichts der Vorstrafen, der fehlenden Einsicht und Reue und der damit zu erwartenden fortgesetzten neonazistischen Aktivitäten in meinen Augen gerechtfertigt“ sagt er.
Ein ganz ähnliches Urteil erntete ein Kärntner Neonazi vor zwei Jahren, der jahrelang Musik mit antisemitischen und rassistischen Texten verbreitet hatte. Seine zehnjährige Haftstrafe wurde in zweiter Instanz bestätigt. Auch Manuel E. und sein Anwalt erbaten sich Montagnacht Bedenkzeit in der Frage, ob sie noch Berufung gegen das Urteil einbringen wollen. Die Frist dafür endete Freitagabend.