Flutbegleiter: Was bedeutet das Hochwasser für die Wahl?
Von Gernot Bauer, Iris Bonavida und Eva Linsinger
Schriftgröße
Das Fortefortissimo ist die bevorzugte Lautstärke des FPÖ-Obmanns – im Bierzelt und im Parlament. Macht Herbert Kickl auf Piano, ist seine Stimme kaum zu erkennen. Vergangene Woche veröffentlichte die FPÖ drei Videos ihres Obmanns zum Hochwasser. Eines zeigte ihn im Wald mit Regenjacke, eines offenbar im Keller seines Privathauses mit XL-Holzfällerhemd und das dritte mit Sakko in seinem Parlamentsbüro. Besonnen bedankte er sich bei den Einsatzkräften und versprach den Flutopfern Hilfe durch die Politik. Bei der Nationalratssitzung am Mittwoch – der letzten der Gesetzgebungsperiode – fand der FPÖ-Obmann zur gewohnten Aggressivität zurück und attackierte die Regierung. Diese solle die Gelder für Entwicklungshilfe und die Unterstützung der Ukraine besser zu den Hochwasseropfern umleiten.
Zum Stillstand kam der Wahlkampf nach der Flutkatastrophe nicht wirklich – er verlagerte sich lediglich. Während im Tullnerfeld und im Kamptal die Aufräumungsarbeiten noch liefen, switchte die Politik wieder in den Kampagnenmodus. Eine Woche vor dem Wahltag am 29. September könnte es doch noch einmal spannend werden.
Im Allgemeinen werden Wahlen, die im frühen Herbst stattfinden, bereits vor dem Sommer entschieden. Geht eine Partei mit einem satten Vorsprung in die Sommerpause – wie 2017 und 2019 die ÖVP und heuer die FPÖ –, bewegt sich unter normalen Umständen nicht mehr viel. So war das Lagebild auch diesmal. Alle Umfragen sehen die FPÖ solide an der Spitze, dahinter die ÖVP und am dritten Platz die SPÖ. In der Wählerschaft zeigt sich wenig Bewegung. Kickls Leibthemen Asyl, Zuwanderung und Integration dominieren die Auseinandersetzung. Die FPÖ durfte hoffen, kommod ins Finale zu gleiten und am Wahlabend erstmals Nummer 1 bei einer Nationalratswahl zu werden.
Umgewichtung der Themen
Doch die Flut bedeutet zum einen eine Umgewichtung der Themen. Der Klimawandel spielte bisher – trotz der Rekordhitze im Sommer – keine Rolle. Nun wird zur Freude der Grünen über Renaturierung und Bodenversiegelung debattiert. Und zum anderen kann sich ÖVP-Spitzenkandidat Karl Nehammer neu positionieren. In den Wahlkampf war er als Herausforderer des Oppositionspolitikers Kickl gegangen und nicht als Amtsinhaber mit Kanzlerbonus.
© APA/BKA/CHRISTOPHER DUNKER
++ HANDOUT ++ UNWETTER: NIEDERÖSTERREICH - BK NEHAMMER IN HADERSDORF AM KAMP
Wie sich Karl Nehammer zeigt
Karl Nehammer präsentiert sich als Krisenmanager bei seinem Besuchs im vom Hochwasser betroffenen Hadersdorf am Kamp.
Nun ist Nehammer als oberster Krisenmanager des Landes zu sehen, der mit besorgter Miene, aber voller Entschlusskraft arbeitet, dabei immer begleitet von ÖVP-Hausfotografen. Diese lichteten ihn nicht mehr auf Kirtagen ab, sondern bei Sitzungen des Einsatzstabes Staatliches Krisen- und Katastrophenmanagement. SPÖ, FPÖ und NEOS blieben da nur Nebenrollen. Das Hauptaugenmerk war auf die schwarz-grüne Regierung gerichtet. Am Mittwoch beschloss die Regierung, den Krisenfonds auf eine Milliarde Euro aufzustocken.
Krisenkanzler statt Kanzlerkrise
„Rally around the flag“ heißt im Polit-Jargon der Effekt, dass Regierende in Krisenzeiten Zuspruch erhalten. Nicht ohne Grund waren etwa zu Beginn der Corona-pandemie die Zustimmungswerte für den damaligen Kanzler Sebastian Kurz am höchsten.
In der Hochwasserkrise versuchte nun Nehammer, Bonuspunkte zu sammeln, und besuchte die Hochwassergebiete in Niederösterreich und die Landeshauptleute von Wien und Niederösterreich, gut dokumentiert auf Instagram-Fotoserien. Die meisten Nicht-Hochwasser-Termine sagte Nehammer ab, die TV-Elefantenrunde am Donnerstag genauso wie eine Diskussion mit Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel. „Bundeskanzler Karl Nehammer ist als Katastrophenmanager gefordert und wird dieser Aufgabe auch in den nächsten Tagen mit voller Kraft nachkommen, er kann daher nicht teilnehmen“, hieß es wörtlich in der Absage. Am Donnerstag nahm er an einer Krisensitzung der Regierungschefs der von der Flut betroffenen Länder in Breslau teil.
Weniger gern redete Nehammer über frühere Aussagen, in denen er gegen „apokalyptische Szenarien“ gewettert hatte oder gegen Klimaschutzministerin Leonore Gewesslers Renaturierungspläne. Oder über die gescheiterte Bodenschutzstrategie der Regierung: Eigentlich sollte das Betonieren von Flächen reduziert werden, so stand es im Koalitionsprogramm – dazu kam es nie, stattdessen gerieten Vizekanzler Werner Kogler und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner im Februar hitzig wegen der Bodenversiegelung aneinander.
In der Nationalratssitzung vergangenen Mittwoch führten grüne Abgeordnete eine Puls-4-Reportage aus dem Hochwassergebiet an, in der ein erklärter FPÖ-Wähler davon sprach, Gewessler habe mit ihren Plänen zur Renaturierung doch recht. Im Finale des Wahlkampfs dürfen die Grünen mit Rückenwind rechnen und hoffen, doch noch vor den NEOS Vierte zu werden.
Wolfgang Schüssel, Erwin Pröll
Der damalige Bundeskanzler und Niederösterreichische Landeshauptmann (beide ÖVP) bei einem Lokalaugenschein in Ybbs an der Donau während des Hochwassers 2002.
Vor der Flut hielten es nur wenige ÖVP-Vertreter für möglich, die FPÖ noch abfangen zu können. Nun wächst der Optimismus. In Deutschland war es dem Instinktpolitiker Gerhard Schröder gelungen, eine Wahl auch durch beherztes Auftreten in der Hochwasserkatastrophe 2002 an der Elbe im Finale zu drehen. Davor war der SPD-Kanzler wie seine rot-grüne Koalition deutlich zurückgelegen, seine Macherqualitäten sicherten Schröder einen Last-Minute-Sieg über seinen CDU/CSU-Herausforderer Edmund Stoiber, der erst mit Verspätung ins Hochwassergebiet gereist war.
Auch Österreich war im Sommer 2002 von einer Jahrhundertflut betroffen. Mitte August hatte es zu regnen begonnen. Die Donau lief über. Und während Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll und Bundespräsident Thomas Klestil die Schauplätze der Flut besichtigten, spülte es die erste ÖVP-FPÖ-Regierung hinweg. Kanzler und ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel und FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess hatten wegen der Hochwasserkatastrophe die Zahl der geplanten Eurofighter-Jets reduziert und die versprochene Steuerreform verschoben. Dagegen lief FPÖ-Altvater Jörg Haider Sturm und putschte Riess und ihr Regierungsteam bei einem Sonderparteitag in Knittelfeld weg. Schüssel kündigte die Koalition auf, rief Neuwahlen aus, gewann sie haushoch – und formte mit einer stark dezimierten FPÖ Schwarz-Blau II.
Fokus auf Fehlervermeidung
Im Umgang mit Katastrophen gilt für Politiker: Man kann etwas gewinnen, aber noch mehr verlieren. SPÖ-Kanzler Viktor Klima erntete für seinen Gummistiefeleinsatz beim Hochwasser 1997 vor allem den Ruf, sich inszeniert zu haben. Ein ORF-Beitrag zeigte Klimaministerin Leonore Gewessler, wie sie mit einem Feuerwehrmann – ausgerechnet – den verdreckten Asphalt einer Tankstelle abspritzte. CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet lachte vor der Bundestagswahl 2021 im Flutgebiet, das Video ging viral – Kanzler wurde sein SPD-Konkurrent Olaf Scholz.
Bundeksanzler Viktor Klima (SPÖ)
Im Jahr 1997: Inszenierung im Hochwasser bis zur Selbstbeschädigung.
Auch Scholz’ österreichischer Genosse Andreas Babler muss auf Fehler seiner Kontrahenten hoffen, um vielleicht doch noch vom Rathaus in Traiskirchen ins Bundeskanzleramt in Wien übersiedeln zu können. In seiner ebenfalls vom Hochwasser betroffenen Heimatgemeinde wurde der Bürgermeister als Krisenmanager gebraucht. „Wir haben die Prognosen zu den Starkwettereignissen gesehen und uns im Trockenen und in völliger Ruhe vorbereiten können“, sagt er zu profil.
Keine Wählerbewegung
Für Babler bedeutete das – erstens – in seiner Funktion als SPÖ-Spitzenkandidat, die Tourtermine in Kärnten und Vorarlberg abzusagen. Und – zweitens – in Traiskirchen den mobilen Hochschutz zu organisieren. Die Stadt musste Pläne erstellen, wann welche Schleusen geschlossen und wo Sandsäcke gestapelt werden. Samstagabend meldete sich Babler via Video zu Wort, in Feuerwehrjacke, während der Wind durch das Mikrofon rauschte und das Blaulicht blinkte. Brücken werden abgesperrt, Notschlafstellen vorbereitet, ein Ausweichquartier für die Krabbelstube gesucht: Andreas Babler ist dabei. „Logischerweise ist das eine Wahlkampfunterbrechung für alle“, sagt er, „wir haben alle genug zu tun.“
Andreas Babler
Der SPÖ-Chef war als Bürgermeister von Traiskirchen im Hochwasser-Einsatz. Er zeigt sich in Videos auf Facebook und Instagram in einer Feuerwehr-Jacke und gibt ein Update aus der Stadt.
Aber in den nächsten Tagen, wenn die letzten Sandsäcke verräumt werden, wird wieder Zeit für die großen Fragen sein, wie zum Beispiel diese: Welche Schlüsse zieht die Politik aus dem Hochwasser, welche Maßnahmen setzt sie? Der Kampf gegen den Klimawandel soll nach Bablers Wunsch nicht nur als grünes Thema wahrgenommen werden. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig assistiert und sagt im profil-Interview: Die politische Konsequenz aus dem Hochwasser müsse sein, „künftig bei jeder politischen Maßnahme Klimaschutz mitzudenken“.
Trotz ihrer Inszenierungen: Der Kanzler und der Bürgermeister sind politisch für das Krisenmanagement in ihrem Bereich unmittelbar verantwortlich. Vizekanzler Kogler entscheidet bei der Hilfe für die Opfer der Flut mit. Herbert Kickl ist in der Opposition zum untätigen Stänkern verdammt. Plötzlich steht er im Wahlkampf nicht mehr im Mittelpunkt. Dass ihm das schadet, bezweifeln Experten: Die meisten FPÖ-Wähler haben sich bereits vor Wochen entschlossen, Blau zu wählen – und sind davon wohl kaum mehr abzubringen.
Der Meinungsforscher Peter Hajek (Unique research) glaubt nicht an größere Wählerbewegungen als Folge der Flutkatastrophe: „Die Regierung hat sich beim Hochwasser so verhalten, wie es Bürgerinnen und Bürger in einer Krisenlage erwarten dürfen. Signifikante Veränderungen im Wahlverhalten würde es nur geben, wenn die Regierung versagt hätte.“
Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin