Hutter zu Omikron: „14 Tage Quarantäne nicht nachvollziehbar“
14 Tage Absonderung, mit Maske vor dem Christbaum, ohne Möglichkeit, sich rauszutesten, ohne Rücksicht auf den Impfstatus. Das erwartet Kontaktpersonen von Omikron-Infizierten. Dem Pandemie-Erklärer der ersten Stunde, Umweltmediziner und Epidemiologe Hans-Peter Hutter, geht diese Reaktion auf die neue Virusvariante zu weit.
Profil: Was genau stört sie an den Quarantäne-Regeln?
Hans-Peter Hutter: Es ist keine Frage, dass man in der derzeitigen Lage vorsichtig sein muss. Vieles ist noch unklar in Bezug auf die neue Virusvariante. Ich kann aber schon jetzt sagen, dass mit diesem Quarantänehammer übers Ziel hinausgeschossen wird. Eine 14-tägige Absonderung ohne Option zum Freitesten ist aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar. Ich halte auf Basis dessen, was wir bisher über Omikron wissen, eine Quarantänedauer zwischen sieben und maximal zehn Tagen für ausreichend. Wobei ich für Menschen, die sich alle zwei Tage testen, ab dem siebenten Tag die Möglichkeit einräumen würde, sich aus der Quarantäne rauszutesten.
"Jetzt besonders auf Seelenzustand achten"
profil: Die Politik beteuert, dass die Maßnahme auf den Einschätzungen führender Virologen beruht.
Hutter: Auch die Virologen können in der Glaskugel nur Trübes sehen. Es gibt keinen einzigen virologischen Befund, der eine 14-tägige Absonderung begründen kann. Man muss aber auch über den Tellerrand schauen und speziell die Situation von Familien einbeziehen. Man sollte sich die Frage stellen, wie realistisch ein Weihnachtsfest mit lauter Maskenträgern unterm Baum ist. Nach einer fast zweijährigen Pandemiezeit, die definitiv zu Ermüdungs- und Erschöpfungszuständen geführt hat, muss man auf den Seelenzustand der Familien achten, besonders in den für die Psyche sensiblen Weihnachtsfeiertagen.
Mir ist wichtig, zu betonen: Im Kampf gegen eine Pandemie ist die Bereitwilligkeit der Bevölkerung, Maßnahmen mitzutragen, ein entscheidender Faktor. Diese darf nicht mit einer 14-tägigen Isolation ohne Freitesten überstrapaziert werden, nur weil jemand Kontakt zu einem Omikron-Fall hatte.
profil: Sie äußern sich kritischer als in früheren Phasen der Pandemie. Welche Rolle spielt die aufgeheizte Stimmung in der Gesellschaft dabei?
Hutter: Eine große. Bei aller gebotenen Vorsicht ist der Eindruck von Unverhältnismäßigkeit unbedingt zu vermeiden, wenn wir die Menschen nicht hinsichtlich der Bereitschaft mitzumachen verlieren wollen. Wir werden diese Bereitschaft im Jänner und darüber hinaus noch bitter nötig haben. Gerade in dieser aufgeheizten Stimmung muss man besonders auf Klarheit, Nachvollziehbarkeit und die größtmögliche Balance zwischen den Corona-Maßnahmen und ihren Nebenwirkungen achten. Sonst ist das Wasser auf die Mühlen der Impf- und Maßnahmengegner, die sich auf den Straßen sammeln.