Österreich

„Ibiza“-Verfahren: Das Kurz-Theater

Vor fünf Tagen wollte im Kanzleramt niemand sagen, ob Sebastian Kurz bereits von einem Richter einvernommen wurde. Er wurde – schon Anfang September. Warum wurde das fast drei Wochen zurückgehalten?

Drucken

Schriftgröße

Vor fünf Tagen fragte profil im Kabinett des Bundeskanzlers nach, was denn nun aus der richterlichen Beschuldigteneinvernahme von Sebastian Kurz geworden sei. Seit dem Frühjahr ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den ÖVP-Bundeskanzler und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen des Verdachts der mehrfachen Falschaussage im „Ibiza“-Ausschuss.

Beide bestreiten die Vorwürfe. 

Auf Anfrage verwies uns das Kabinett des Bundeskanzlers am 17. September auf dessen Anwalt Werner Suppan, der uns lediglich mitteilte, dass man dazu kommunizieren werde, „wenn es etwas zu sagen gibt“.

Wir veröffentlichten die Recherche (einschließlich ergebnisloser Anfragen bei der Justiz) am frühen Nachmittag des 17. September

Tags darauf berichteten die „Oberösterreichischen Nachrichten“ unter Berufung auf „informierte Kreise“, dass die „brisante Befragung“ erst nach der oberösterreichischen Landtagswahl über die Bühne gehen werde.

Heute, am 22. September, hatte das Kabinett Kurz in der Sache plötzlich doch etwas zu sagen – wenn auch nicht profil (das passiert uns laufend).

Im Verlauf des heutigen Tages zitierten unter anderem „Die Presse“, „Kurier“ „Der Standard“, „Krone“ und „Österreich“ online aus einer ganz aktuellen Stellungnahme des Bundeskanzlers. 

Vorneweg: Sebastian Kurz wurde von der WKStA im Beisein eines Richters längst einvernommen – und zwar bereits „Anfang September“. Laut oe24.at war es der 3. September. 

Warum haben Kurz und Umgebung die Bekanntmachung des Termins verbummelt? Wollte man Fragen im ORF-Sommergespräch am 6. September aus dem Weg gehen? Wollte man das Thema womöglich gleich hinter die oberösterreichische Landtagswahl am 26. September schieben? Und warum dann doch heute? Wollte man dem eben vorgestellten kritischen „Ibiza“-Abschlussbericht der NEOS einen eigenen Spin entgegensetzen? Oder wollte man – im Sinne von Litigation-PR – verhindern, dass die Nachricht unkontrolliert ans Tageslicht käme? Dann nämlich, wenn das Einvernahme-Protokoll bald Eingang in den Ermittlungsakt im Casinos-Verfahren finden würde und plötzlich zahlreiche andere Beschuldigte und deren Anwälte Zugriff darauf hätten?

Nachstehend die vom Kanzleramt verbreitete Stellungnahme des Bundeskanzlers, die profil ungeachtet der erst am 17. September gestellten Anfrage selbst nicht erhalten hat. Wir haben sie uns über ein anderes Medium besorgt (Dank dafür!): 

„Ich bin froh, nach Monaten falscher Vorwürfe Anfang September mehrere Stunden die Möglichkeit gehabt zu haben, vor einem Richter zu den falschen Vorwürfen, die aufgrund einer Anzeige durch die NEOS gegen mich erhoben wurden, Stellung zu nehmen. Dabei konnte ich ausführlich zur Bedeutung einer doppelten Verneinung, oder wie ein ,Na‘ auf ein ,Nie‘ zu werten sei, beziehungsweise auf Unterschiede in der Formulierung ,eingebunden im Sinne von informiert‘ und ,eingebunden im Sinne von involviert‘ Stellung nehmen und damit die ungerechtfertigten Beschuldigungen widerlegen und entkräften.‘“

Und dafür hat man fast drei Wochen gebraucht? 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.