„Ich habe ihn gefragt: Warum ziehst du ohne Arbeit nach Wien?“
Sepp Schellhorn sucht als Gastronom dringend Mitarbeiter. Der NEOS-Abgeordnete kritisiert, dass hohe Sozialhilfen – und Steuern – Arbeit unattraktiv machen.
Sepp Schellhorn ist gerade dringend auf der Suche: als Gastrounternehmer nach einer Reinigungskraft (m/w/d), 25 Stunden Wochenarbeitszeit, 1825 Euro brutto monatlich; und als NEOS-Abgeordneter nach einer Antwort auf eine prinzipielle Frage: Wie kann es in Österreich gleichzeitig genügend soziale Unterstützung und Anreiz für Arbeit geben?
Erstaunlicherweise ist es aus seiner Sicht schwieriger, den Reinigungsjob zu besetzen. Zwei Jahre sucht er schon nach einer Arbeitskraft, aber seine Vermutung ist: Die Nettolöhne sind zu gering, vor allem im Vergleich zur Mindestsicherung. Die große politische Fragestellung hat er für sich hingegen schon gelöst. Mit einem kleinen Schönheitsfehler: Einfach ist die Umsetzung nicht.
Seit Tagen wird eine sensible Debatte über die Sozialhilfe in Wien lautstark geführt, die Schellhorn als Gastronom und Politiker schon Jahre begleitet. Dieses Mal hat ein Wohnungsbesitzer den Einkommensnachweis seiner potenziellen Vermieter publik gemacht: Syrische Eltern mit sieben Kindern bekommen in Wien rund 4600 Euro Sozial- und Mietbeihilfe im Monat, also mehr, als manchen berufstätigen Eltern zur Verfügung steht. Der Extremfall ist Anlass für die Frage, ob in Wien Sozialhilfen zu früh und zu hoch ausbezahlt werden oder die Einkommen zu niedrig sind.
Sepp Schellhorn möchte selbst mit ein paar Beispielen aus seiner Praxis in die Debatte einsteigen.
Er erzählt von einem afghanischen Mitarbeiter, der ab 2014 in seinem Betrieb beschäftigt war. Drei Jahre später kam auch seine Frau dazu. „Beide haben sich super entwickelt, er hat 3100 Euro, sie 2100 Euro brutto verdient. Ihr Kind war bestens integriert.“ Trotzdem verkündete ihm das Paar eines Tages, dass es nach Wien ziehen werde. In eine Wohnung in Meidling, unterstützt durch die Sozialhilfe, ohne einen Job in Aussicht zu haben. „Ich hab ihn gefragt: ‚Warum ziehst du ohne Arbeit nach Wien?‘ Und ich frage mich heute noch: Welchen Vorteil hat er davon? Irgendeinen Anreiz muss also es geben, dass sie dort hinziehen“, sagt Schellhorn, „und nur die Community allein wird es nicht sein.“ Und weiter: „Derzeit werden unsere Bemühungen, asylberechtigte Menschen in den Arbeitsprozess zu integrieren, durch eine deutlich zu hohe Sozialhilfe torpediert. Man steht hier als Ausbildungsbetrieb auf verlorenem Posten.“
Allein mit Einzelfällen lässt sich diese Diskussion aber nicht führen. 2018 drehte die Regierung aus ÖVP und FPÖ das System der Mindestsicherung um. Seitdem gibt es keinen Minimalbetrag, der Armutsbetroffenen zusteht, sondern nur noch eine Höchstgrenze. Eine Person bekommt maximal rund 1160 Euro, Paare 1600 Euro im Monat. Eine einheitliche Regelung gibt es aber nicht, weil das Gesetz teilweise vom Verfassungsgerichtshof gekippt und nicht in allen Bundesländern umgesetzt wurde. Wo es gilt, werden oft weitere Zuschüsse gewährt oder gestaffelte Beiträge für Kinder bezahlt. Dadurch gelten in Österreich unterschiedliche Sätze, die schwer miteinander vergleichbar sind. Im Vorjahr wurden durchschnittlich im Monat pro sogenannter Bedarfsgemeinschaft für Lebensunterhalt und Wohnen 743 Euro gezahlt.
Keine Familienbeihilfe bei Mindestsicherung
Voraussetzung ist, dass Betroffene nicht mehr als 7000 Euro Vermögen besitzen und Bereitschaft zum Arbeiten zeigen. Drittstaatsangehörige müssen fünf Jahre im Land gelebt haben, Asylberechtigte sind Staatsbürgern gleichgestellt und können die Hilfe sofort beziehen. Während des Asylverfahrens dürfen sie großteils nicht arbeiten und erhalten noch die sogenannte Grundversorgung. Sobald der positive Bescheid da ist, fallen sie aber rasch aus dem System – und rutschen oft in das nächste. Die Sozialhilfe will Schellhorn nicht kürzen, aber vereinheitlichen. Wer sie bezieht, dürfe außerdem keine Transferleistungen wie Familienbeihilfe bekommen. Asylberechtigte könnten, zumindest für eine gewisse Zeit, an einen Ort gebunden sein, wenn sie auf Hilfen angewiesen sind. Diese Residenzpflicht soll aus Schellhorns Sicht vermeiden, dass viele in die Bundeshauptstadt ziehen, obwohl im Westen Lehrstellen und Arbeitsplätze frei sind.
Da würde es auch helfen, wenn Menschen viel früher, also schon während des Asylverfahrens, einen leichteren Zugang zu Arbeit und Deutschkursen hätten. „Berufspraktika müssen ohne Anrechnung auf die Grundversorgung, also der Hilfsleistung im Asylverfahren, möglich sein“, sagt Schellhorn. Zumindest ein Drittel der Entschädigung von Lehrlingen sollten sich die Betroffenen behalten dürfen. „Arbeit ist die beste Maßnahme zur Integration und sprachlichen Entwicklung. Das führt dazu, dass sie mehr im Berufsleben integriert sind und weniger in Parks herumsitzen und auf blöde Ideen kommen.“
Arbeit muss sich aber auszahlen. Schellhorn erhielt auch schon eine Absage, weil sich geringfügiges Arbeiten und Pfuschen am Wochenende neben Sozialleistungen eher auszahlt, als offiziell beschäftigt zu sein. „Ich kenne Integrationshürden, aber auch Inaktivitätsfallen.“ Das liege auch daran, wie viel der Staat von den Einkommen zurückverlange.
Nettolöhne erhöhen
Eine seiner Mitarbeiterinnen entschied sich, ihre Arbeitszeit nicht aufzustocken. Als geflüchtete Ukrainerin bekommt sie Grundversorgung. In Salzburg wurde aber die Zuverdienstgrenze nicht wie in anderen Bundesländern auf 500 Euro erhöht. Es hätte sich für sie nicht ausgezahlt. „Eine andere musste ihr Weihnachtsgeld an das Land Salzburg zurückzahlen, was leistungsfeindlich wirkt. So hält man die Leute im Niedriglohn- und Teilzeitsektor. Sie können sich nichts ansparen, denn dann werden sie bestraft.“ Der Anteil der österreichischen Staatsbürger, die im Niedriglohnsektor arbeiten, machte im Vorjahr neun Prozent aus, unter Drittstaatsangehörigen sind es 30 Prozent.
Die Lösung für Schellhorn: In Österreich müssen die Löhne steigen, genauer gesagt die Nettolöhne. „Warum soll ein junger Mensch arbeiten gehen, wenn er doch weiß: Er muss erben, um sich überhaupt jemals irgend-was leisten zu können.“ Für den Arbeitgeber wären die Kosten gleich, argumentiert Schellhorn, wenn die Lohnnebenkosten gesenkt werden, aber der Staat würde Einnahmen verlieren. Um den Verlust auszugleichen, will Schellhorn „den Föderalismus und die Landeshauptleute zähmen.“ Eine komplizierte und langwierige Angelegenheit. „Ich weiß, das würde ein bisschen länger dauern, aber es wäre für mich ein Kredit für die Zukunft.“
Vermutlich findet sich bis dahin schon jemand, der sich für den ausgeschriebenen Job als Reinigungskraft bewirbt.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.