Imam und Rabbi gegen Judenhass an Schulen
Von Clemens Neuhold
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Was bedeutet der Israel-Gaza- Krieg für Ihre gemeinsamen Schulbesuche?
Hofmeister
Wir machen weiter – jetzt erst recht! Wir müssen verhindern, dass sich dieser Konflikt auf unsere Religionsgemeinschaften und Schulen überträgt. Wir dürfen uns in Österreich und Europa nicht in einen Stellvertreterkonflikt drängen lassen.
Demir
Ein Rabbiner und ein Imam, die als Freunde vor der Klasse stehen: Allein dieses ungewohnte Bild hat eine starke Wirkung und kann Vorurteile aufbrechen. Für viele Kinder und Jugendliche ist Schlomo der erste Jude, den sie in ihrem Leben sehen. Wir wollen das Wir-Gefühl hervorheben. Was uns alle verbindet, ist unsere Heimat Wien und Österreich.
Hofmeister
Wir leben hier und müssen für ein friedliches Zusammenleben einstehen.
Ist die Stimmung an manchen Schulen nicht zu aufgeheizt für besonnene Dialoge?
Demir
Wir müssen uns natürlich bewusst sein: Es ist nicht nur ein Krieg aus der „ZIB 2“. Es betrifft bei einigen sogar die eigene Familie, Angehörige, die ihr Leben verloren haben. Und über Social Media sind alle mit schrecklichen Bildern konfrontiert.
Hofmeister
Wir verurteilen gemeinsam jede Form von Gewalt, Hass, Feindseligkeit sowie den Missbrauch von Religion für politische Zwecke. Religionen werden politisch missbraucht, um Gesellschaften zu spalten; darauf müssen wir aufmerksam machen und uns dagegen verwehren.
Demir
Ja, es gibt die Lauten, die „Free Palestine“ am Gang rufen. Aber es gibt noch mehr muslimische Schüler, die verstummen angesichts dieser Bilder. Sie haben oft auch Angst, als antisemitisch abgestempelt zu werden, wenn sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen und das vielleicht nicht so politisch korrekt tun, wie man es von Erwachsenen erwartet.
Sind politische Fragen in der Klasse tabu?
Demir
Im Gegenteil. Es gibt keine Tabus. Wir reden zur Einleitung höchstens zehn Minuten, dann sind die Schüler dran und dürfen jede Frage stellen, die sie wollen.
Hofmeister
Dabei kommen immer wieder auch alteingesessene Vorurteile auf. Zum Beispiel die Frage von Nichtmuslimen an Ramazan, wie viele Frauen er habe oder warum Juden keine Steuern zahlen müssen. Aber wir verurteilen die Schüler nicht dafür, sondern nehmen sie ernst und gehen auf die Vorurteile ein, erklären die Hintergründe und stellen Dinge richtig. Das hat noch immer funktioniert, und bei den Schülern geht es im weiteren Gesprächsverlauf dann nicht mehr ums Provozieren, sondern tatsächlich ums Verstehen.
Was sagen Sie muslimischen Schülern, Herr Hofmeister, die fragen, warum die Juden jetzt so viele unschuldige Muslime im Gazastreifen töten?
Hofmeister
Da erkläre ich als Erstes, dass wir hier von einem sehr bedauerlichen Krieg sprechen, ein Krieg zwischen der Hamas und dem Staat Israel, aber kein auch nur irgendwie religiös begründeter Konflikt zwischen Muslimen und Juden. Dass Zivilisten betroffen sind, auf beiden Seiten, ist unendlich tragisch. Wer das anders sieht, dem fehlt es an Menschlichkeit. Jeder, der den Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober verurteilt, hat natürlich jedes Recht, sein Mitleid auch für die Zivilbevölkerung in Gaza auszudrücken. Das Problem sind ja auch nicht Empathie und Solidaritätskundgebungen mit den leidenden Menschen und der Zivilbevölkerung in Gaza, sondern wenn daraus Dämonisierungen und Aufrufe zu Hass und Gewalt entstehen oder gar über die israelischen Opfer gejubelt wird.
Manche Schüler wollen partout wissen, ob man auf der Seite Israels oder Palästinas steht, erzählen uns Lehrer. Wie gehen Sie damit um, Herr Demir?
Demir
Dann sage ich: Ich stehe auf der Seite der Menschlichkeit. Ohne Wenn und Aber. Jedes Opfer, egal ob auf palästinensischer oder israelischer Seite, ist eines zu viel.
Hofmeister
Wir lassen uns nicht auf den Streit ein, welche Seite am Bombardement von einem Spital nun wirklich schuld war. Weder haben wir Informationen aus erster Hand, noch sind wir Militärstrategen, um das alles tatsächlich beurteilen zu können. Es sind Menschen dort gestorben. Punkt.
Wir haben uns über Wochen an sogenannten Brennpunktschulen umgehört. Das Stimmungsbild, das Lehrer zeichnen, ist eindeutig: Für „ihre“ Muslime ist Israel der Böse. Was Jugendliche auf Social Media posten, lässt ebenfalls wenig Zweifel daran.
Demir
Achten wir bitte darauf, was genau gepostet oder in den Klassen gesagt wird. Eine Mitleidsbekundung für tote Babys in Gaza ist noch nicht antisemitisch. Dafür müssen wir auch manche Lehrer sensibilisieren, die sich rasch einmal als Nahost-Experten sehen und Jugendlichen vorwurfsvolle Zuschreibungen machen, nur weil sie Muslime sind. Oder jedes „Allahu Akbar“ (Gott ist der Größte) als eine Verherrlichung von Terror bewerten. Ich bin mir tausendprozentig sicher, dass die Mehrheit der muslimischen Schüler und Eltern in Österreich die Hamas-Angriffe auf Unschuldige Israelis nicht gutheißt.
Hofmeister
Es gab solche und solche. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das nach dem 7. Oktober Baklava in der Schule verteilte wie an einem Feiertag. Das war noch vor dem Rückschlag Israels. Provokationen und Hass-Postings kommen immer von Leuten, die eine Agenda haben. Alle anderen, die schweigende Mehrheit, sehen wir nicht.
Sollte die Rede in der Klasse auf die Hamas kommen: Sind Sie beide sich einig, dass es eine Terrororganisation ist?
Demir
Wenn eine Gruppe Geiseln nimmt und unschuldige Menschen tötet, ist das Terror. Ohne Wenn und Aber. Terror ist Terror.
Hofmeister
Das hat auch der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft klargestellt, viel deutlicher als in den meisten anderen EU-Ländern.
TikTok-Imame, die den Konflikt schüren, dürften einen viel größeren Einfluss auf Schüler und Schülerinnen haben als die Glaubensgemeinschaft oder Sie beide.
Demir
Die sozialen Medien sind ein großes Problem. In der momentan schon schwierigen Situation tragen sie massiv zur Polarisierung der Jugendlichen bei. Ich gebe den Klassen immer mit: Achtung vor irgendwelchen selbst ernannten „Abus“ XY irgendwas, die euch erklären wollen, was haram oder halal ist. Das sind keine Imame, sondern Hassprediger.
Hofmeister
Unsere Stärke ist, dass wir beide tatsächlich unsere jeweiligen Religionen authentisch vertreten. Es gibt immer wieder Halbstarke, die Ramazan zeigen wollen, dass sie die besseren Imame sind. Mir gefällt es, wir er diese Internet-Weisheiten dann Sure für Sure auseinandernimmt.
Demir
Was Jugendliche auch sehr interessiert, ist meine Erfahrung in der Präventionsarbeit gegen Radikalisierung. Ich war Gefängnis-Imam. Ich schildere ihnen dann, wie junge Menschen sich im Internet radikalisierten und so ihr Leben wegschmissen. Das schreckt ab.
Welche Fragen zum Nahost-Konflikt kommen von Schülern noch häufig?
Hofmeister
Was Juden überhaupt in Palästina verloren haben. Das kommt fast jedes Mal. Ich erkläre dann die Geschichte der Region, die bereits in der jüdischen Antike, und seit Beginn des 20. Jahrhunderts wieder, Palästina genannt wird – was nichts anderes als eine lateinische Transliteration der alt-griechischen Übersetzung des Namens „Israel“ ist. Bis vor 1900 Jahren, als viele Juden durch die Römer vertrieben wurden, war die Region immer mehrheitlich jüdisch gewesen. Von der Islamisierung bis in die frühe Neuzeit – unterbrochen durch die Phasen der diversen Kreuzzüge – wechselten die Mehrheitsverhältnisse immer wieder. Während der britischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg wurden jedenfalls alle Menschen dort, egal ob Juden, Muslime oder Christen, also alle „Palästinenser“ genannt – bei dem Punkt werden vor allem muslimische Jugendliche immer ganz hellhörig.
Und wie erklären Sie, dass Juden Muslimen nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches nicht „ihr Land“ wegnahmen?
Hofmeister
Indem ich darauf hinweise, was aus dem historischen Palästina wurde: 75 Prozent wurden 1946 zum Königreich Jordanien, vier Prozent gehören heute zu Syrien und dem Libanon, fünf Prozent unterstehen der Palästinensischen Autonomiebehörde, und 16 Prozent sind israelisches Staatsgebiet. Und diese 16 Prozent sind sogar ein geringerer Prozentsatz als der jüdische Bevölkerungsanteil in der Region von der Islamisierung bis zum Ende des Osmanischen Reichs.
Steigen da nicht die meisten Schüler aus?
Hofmeister
Es ist praktisch nie das Problem, dass wir die Aufmerksamkeit der Schüler verlieren, sondern dass uns angesichts der vielen Fragen die Zeit ausgeht.
Was rücken Sie so historisch zurecht?
Demir
Zum Beispiel die Vorstellung von Nichtmuslimen, wonach alle Muslime gegen Israel sind. Die meisten Länder, die muslimisch geprägt sind, haben das Existenzrecht Israels längst anerkannt. Ägypten oder Jordanien unterhielten bis zuletzt gute Beziehungen zu Israel. Diese Länder sind übrigens auch nur insofern „muslimisch“, wie Italien oder Österreich katholisch ist.
Hofmeister
Auch Israel ist kein jüdisch-religiöser Staat. Solche Details sind wichtig, um die Zeitgeschichte zu verstehen.
Sie wollen Religion und Politik trennen. In der Praxis verschwimmt beides. Der Grund, warum Muslime weltweit für ihre „Schwestern und Brüder in Gaza“ auf die Straße gehen, ist ihr Zugehörigkeitsgefühl zur Umma, der Weltgemeinschaft der Muslime.
Demir
Wir erklären an den Schulen, dass wir alle Kinder Adams und Evas sind. So wird das auch im Koran festgehalten. Christen und Juden sind als Besitzer heiliger Schriften anerkannt. Sie unterscheiden sich durch spezifische Vorschriften, Riten und Traditionen. Doch wir alle haben eine gemeinsame Identität: die der Menschenfamilie.
Hofmeister
Dass diese Religionen miteinander oder nebeneinander leben können, ist integraler Bestandteil der jüdischen und muslimischen Weltanschauung. Das war schon vor über 1000 Jahren so. Ob koscher, halal oder gar nichts von beidem, wir sind vereint im Glauben an den lieben Gott.
Demir
Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt, steht in Talmud und Koran.
Demir
Es ist wichtig, solche Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen – auch der christlichen – zu betonen. Denn wir setzen uns an Schulen nicht nur gegen Antisemitismus ein. Sondern auch gegen Islamfeindlichkeit und Rassismus.
Welche politischen Meinungsunterschiede müssen Sie beide aktuell ausblenden?
Hofmeister
Dass der Nahostkonflikt die jüdische und muslimische Community in Europa belastet, sind wir gewohnt. Aber so belastend war es noch nie. Was für uns beide wesentlich ist: Unsere Freundschaft ist stärker als alle Meinungsverschiedenheiten.
Demir
Das kann ich nur bestätigen.
Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.