Impfpflicht: Was (wahrscheinlich) kommt und was noch umstritten ist
Nach dem Runden Tisch der Regierung mit den Oppositionsparteien - plus Experten, minus FPÖ - stellen sich Karoline Edtstadler (ÖVP) und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) den Fragen der Journalisten. Dabei räumte Mückstein mit einem Szenario auf, das in den vergangen Tagen die Runde machte: Die Impfpflicht sei nur ein Bluff, um die Impfquote raufzutreiben. Steigt sie stark genug, kann die Impfpflicht entfallen. "Die Impfpflicht kommt fix am 1. Februar", dementiert Mückstein diese Gerüchte. Es scheint fast so, als freunde sich die Regierung immer mehr mit ihrem Vorhaben an, das zunächst nur dazu diente, den Zorn der Geimpften über den neuerlichen Lockdown zu dämpfen. Sie stolperte regelrecht hinein in die Impfpflicht, die sie zuvor 1,5 Jahre hartnäckigst dementierte. Doch je mehr Länder in Europa sich nun ebenfalls dafür erwärmen, desto stolzer ist man auf den forschen Schritt. Der designierte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will eine Impfpflicht noch in diesem Jahr auf den Weg bringen.
"Österreich geht voran", sagt Mückstein mit einer Überzeugung in der Stimme, die ihm dieser Tage oft fehlte. "Wir wären das erste Land in Europa", sagt Edtstadler. Okay. Aber womit genau?
Impfpflicht ab 14 realistisch
Heikle Fragen umschiffen die beiden mit dem Hinweis auf den laufenden Diskussionsprozess. In Hintergrundgesprächen, die profil im Anschluss führte, kristallisierten sich aber konkrete Details heraus. So dürfte die Impfpflicht ab 14 Jahren gelten, dem Alter der Strafmündigkeit. Im Volksschulalter soll sie dezidiert noch nicht greifen. Impfverweigerern droht eine "empfindliche" Verwaltungsstrafe. Gestraft wird aber noch nicht ab 1. Februar. Denn das träfe auch Bürgerinnen und Bürger, die sich für 15. Februar einen Impftermin ausgemacht haben. Vielmehr sollen Ungeimpfte einen individuellen Impftermin per Post zugesandt bekommen, wie jetzt schon von der Stadt Wien praktiziert. "Ihr persönlicher Termin für die Covid-19-SChutzimpfung ist da!", heißt es in dem Wiener Schreiben, freilich ohne angedrohte Sanktion. Nach Erlass der Impflicht drohen Verwaltungsstrafen, wenn die Terminvorschläge ignoriert werden. Diese Art der Kontrolle erspart der Polizei Planquadrate oder Spontankontrollen, um Ungeimpfte aufzuspüren.
Die Höhe einer Verwaltungsstrafe soll auf die Einkommenssituation Rücksicht nehmen, aber steigt bei wiederholtem Zuwiderhandeln. Die kolportierte, maximale Strafhöhe von 7200 Euro wurde nicht bestätigt. Was auszuschließen ist: Eine einmalige Strafzahlung, um weiter ungeimpft bleiben zu dürfen. Denn das Ziel der Impfpflicht ist die Eindämmung der Pandemie. Ein Ablasshandel wäre das Gegenteil davon und verfassungsrechtlich schwer haltbar. Menschen, die Verwaltungsstrafen nicht zahlen, droht eine Ersatzfreiheitsstrafe. Das wollten Edtstadler und Mückstein bei der Pressekonferenz nicht bestätigen, ist aber so. Denn wenn selbst bei unbezahlten Parkstrafen ein paar Tage Ersatzhaft drohen, kann die Ersatzfreiheitsstrafe im Rahmen der Impfpflicht wohl schwer ausgesetzt werden. Ab wann es zur Haft kommt, lesen Sie hier.
Arbeitswelt wird 1G-Zone - unabhängig von Impfpflicht
Die existenziell vielleicht heikelste Frage ist: Dürfen Ungeimpfte weiter in die Arbeit. Nach derzeitigem Stand bleibt die Arbeitssphäre von der Impfpflicht unberührt. Das heißt, an Arbeitsplätzen herrscht ab 1. Februar nicht automatisch eine Impfpflicht, sondern weiterhin 2,5G oder 3G. Die Logik dahinter: Wenn man unangeschnallt in die Arbeit fährt und eine Verwaltungsstrafe riskiert, darf man trotzdem die Firma betreten. So argumentiert Arbeitsrechtler Gruber-Risak hier. Eine generelle Impfpflicht am Arbeitsplatz wäre auch deswegen heikel, weil Ungeimpfte dann automatisch durch alle sozialen Netze fallen. Denn sowohl Bezieher von Arbeitslosengeld wie auch Mindestsicherung müssen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Und das täten sie ohne Impfung dann nicht mehr.
Doch selbst wenn am Arbeitsplatz ab 1. Februar nicht automatisch von 3G auf 2G umgestellt wird: Für Ungeimpfte wird es dennoch extrem eisig in der Arbeitswelt. Denn schon jetzt verlangen immer mehr Firmen von ihren Mitarbeitern einen Nachweis über die Impfung und akzeptieren keine Tests mehr. Eine Impfpflicht werde diesen Trend wohl massiv verschärfen, schätzt man bei der Arbeiterkammer. Für ungemipfte Arbeitslose fallen dann immer mehr potenzielle Arbeitgeber weg. Das AMS kann sie aber weiterhin in Jobs vermitteln, für die es eine Impfung braucht. Denn ungeimpft zu sein ist kein Ablehnungsgrund. Wer dennoch ablehnt, muss mit Sanktionen rechnen bis hin zum Totalverlust des Arbeitslosengeldes. Dasselbe gilt für die Mindestsicherung, denn auch sie bekommen arbeitsfähige Menschen nur, wenn sie dem Arbeitsmarkt bereit stehen.
Natürlich wird es weiterhin Firmen geben, die bloß getestete Mitarbeiter akzeptieren. Aber diese Jobs werden wohl rasch weg sein.
Altersheim und Spital als Sperrzone
Was fix kommt, ist eine Impfpflicht im Spital oder im Altersheim. Denn diese Regel wollte Mückstein bereits erlassen, bevor die generelle Impfpflicht spruchreif wurde. Spannend wird, ob die Regel für sensible Arbeitsbereiche auf Kindergärten und Schulen ausgeweitet wird, wie unter anderem Wien fordert.
FPÖ-Chef Herbert Kickl war nicht zum Runden Tisch geladen. Wegen seiner "destruktiven Haltung" zum Thema Impfung, wie Mückstein es formulierte. Er will nun die ungeimpften Arbeitskräfte gegen die Impfpflicht mobiliseren und ruft für 1. Dezember zum "Generalstreik" gegen die Impfpflicht auf. In Vorarlberg haben bereits 150 Lehrerinnen und Lehrer angekündigt, aus Protest gegen die Impfpflicht zu kündigen. Und wie in profil beschrieben, gehen selbst Pflegerinnen und Spitalspersonal gegen die Covid-19-Maßnahmen demonstrieren.
Ungeimpfte Arbeitskräfte, die wegen der Impfpflicht ihre Betriebe lahm legen wollen - neben den regelmäßigen Demos wird der Arbeitsmarkt zur zweiten großen Front im Kampf um die Impfpflicht.