Innenministerium verweigert Parlament am häufigsten die Auskunft
"Eine Farce!“ So schimpfte man aus den Bänken der Opposition, als ÖVP-Kanzler Karl Nehammer vergangene Woche bei einer Dringlichen Anfrage zu Parteifinanzen nicht zugegen war. Ans Rednerpult trat ÖVP-Staatssekretärin Claudia Plakolm, die über Lehrlinge oder die Teuerung referierte und sich unliebsamen Fragen entwand.
Die Interpellation, das Recht der Abgeordneten, die Regierung – mündlich und schriftlich – zu hinterfragen, ist eine frühe Errungenschaft des Parlamentarismus und gilt bis heute als Weg zu Kontrolle und Transparenz. Wer die Geschehnisse im Hohen Haus verfolgt, kann sich jedoch des Gefühls kaum erwehren, dass diese demokratischen Güter zusehends verlottern.
Wolfgang Salm, ein IT-Experte, der sich in seiner Freizeit beim Verein "Fairness Asyl" engagiert und deshalb ein aufmerksamer Leser von Anfragebeantwortungen zum Thema Asyl und Integration ist, wollte es nicht bei einem "unguten Gefühl" belassen. Dem Datenanalysten waren Stehsätze ins Auge gesprungen, die immer wieder als Begründung für verweigerte Auskünfte herhalten. Um ihren Gebrauch mit den Mitteln des Informatikers fassbar zu machen, durchsuchte er rund 11.300 Anfragebeantwortungen, die in der seit Oktober 2019 laufenden Gesetzgebungsperiode sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat anfielen, nach zwei Phrasen.
Nummer eins lautet "Dazu haben wir keine Statistik" und ist der Liebling der Innenminister. In jeder vierten Anfragebeantwortung taucht sie auf. Die Spitzen des Ressorts wechselten – von Wolfgang Peschorn zu Karl Nehammer und nun Gerhard Karner – die Phrase blieb. Statistiken zu Gründen für Schubhaft, Auslastung und Dauer, Schubhaftbeschwerden, Außerlandesbringungen, abgeschobene Straftäter und vieles mehr – Fehlanzeige. Andere Ministerien, andere Sitten: In den Anfragebeantwortungen der restlichen Ressorts findet sich laut dieser Auswertung nur in jeder dreißigsten eine "Statistik, leider nein"-Replik.
Das Muster setzt sich in der zweiten Kategorie fort. Hier regiert das "Meinungen und Einschätzungen unterliegen nicht dem Interpellationsrecht"-Argument. Auch damit sind vor allem Innenminister zur Hand. Viele Regierungsmitglieder führen diesen Stehsatz nie ins Treffen, unter ihnen Justizministerin Alma Zadić. Umso eifriger gebrauchen sie Innenminister – und die Integrationsministerin. Datenschürfer Salm wurde in nur 0,62 Prozent der Dokumente, die andere Ressorts als Inneres und Integration betrafen, fündig. ÖVP-Innenminister Karner verwendet sie in 7,86 Prozent der Fälle und damit 13 Mal so häufig. Sein Amtsvorgänger in der Wiener Herrengasse, ÖVP-Kanzler Nehammer, ist ihm mit einer "Meinungen und Einschätzungen unterliegen nicht dem Interpellationsrecht"-Einsatzquote von 7,10 Prozent auf den Fersen, auf Platz drei rangiert Kurzzeit-Innenminister Peschorn mit 5,06 Prozent. Dahinter folgt Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab mit 3,12 Prozent.
In die Trickkiste gehört auch das Bündeln von Fragen. Eines der Worst-of-Gustostückerl lieferte wiederum die türkise Integrationsministerin. In der Beantwortung einer Anfrage der FPÖ-Abgeordneten Susanne Fürst zur "Dokumentationsstelle für politischen Islam" packte Raab die "Meinungen und Einschätzungen sind nicht Gegenstand des parlamentarischen Interpellationsrechts"-Keule aus und erledigte damit gleich die Fragen 1, 2, 4, 11 bis 14, 28 und 33.
Ganz neu ist der Umgang mit dem Interpellationsrecht nicht. Alfred Noll, der von 2017 bis 2019 für die Liste Peter Pilz (später Liste Jetzt) im Nationalrat saß, verfasste darüber ein ganzes Buch (erschienen 2018 im Verlag Neue Juristische Monografien). Anders als hierzulande können Abgeordnete in Deutschland bei unzureichenden Auskünften die Höchstrichter in Karlsruhe anrufen. Das zeitige zwei Folgen, so Noll: "Anfragen werden nicht als symbolische Akte eingesetzt, deshalb werden insgesamt weniger gestellt. Und die Antworten darauf sind klarer und umfänglicher, weil die Regierung den Streit in Karlsruhe scheut." In Österreich agierten Regierungsvertreter nach dem Prinzip "Friss, Vogel, oder stirb!".
Gelegentliche Wutreden zu diesem Übelstand lässt die Regierung an sich abperlen. Im pinken Parlamentsklub gibt es inzwischen eine beachtliche Sammlung von schriftlichen Abschasselungen. „Wenn Regierungsmitglieder unseren Fragen mit Ausreden ausweichen oder sie gar ignorieren, ist das nicht nur eine bodenlose Frechheit, sondern auch eine Schwächung des Parlaments“, sagt NEOS-Mandatarin Stephanie Krisper. Diese "Praxis des Zudeckens und Zermürbens" müsse ein Ende haben: "Wir appellieren insbesondere an das Bundesministerium für Inneres, bei welchem diese Vorgehensweise gängig ist, uns die Antworten zu liefern, die uns zustehen." Krisper bringt nun eine noch nie da gewesene parlamentarische Anfrage ein. Sie betrifft "Einschränkungen des parlamentarischen Interpellationsrechts" und listet 31 Fragen aus früheren Anfragen auf, auf die entweder schleißig oder gleich gar nicht eingegangen wurde.
Es könnte ein Weckruf für die Demokratie sein. Die Regierung müsste ihn nur hören.