Angelika Föger (†) Woher stammen die blonden Haare in der Hand der Toten?

Ein Innsbrucker Gerichtsmediziner erstellt seit Jahren umstrittene Gutachten

Ein Innsbrucker Gerichtsmediziner erstellt seit Jahren umstrittene Gutachten

Drucken

Schriftgröße

Die Zuhörer drängen in den Saal 128 am Innsbrucker Landesgericht. Manche haben über 100 Kilometer Anreise aus dem Tannheimertal hinter sich. Die gerichtliche Auseinandersetzung, die an diesem 29. April 2015 stattfindet, kreist um den 70-jährigen Wolfram Föger. Und um dessen ermordeten Schwägerin. Der Kläger - die Unternehmerfamilie B. - begehrt von Föger, dass er es unterlässt, sie mit dem Mord an ihrer ehemals Beschäftigten in Verbindung zu bringen.

Vor 25 Jahren war die im Molkereibetrieb als Buchhalterin tätige Angelika Föger an ihrem Arbeitsplatz erstochen worden. Der 18-jährige Lehrling Martin K. wurde in Folge zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Er war zur Tatzeit gegen Mittag schwer alkoholisiert gewesen und hatte Erinnerungslücken. Er gestand das Verbrechen, widerrief aber später. Als Motiv machte das Gericht aus, K. hätte in einem nekrophilen Anfall die Leiche sexuell missbrauchen wollen.

Einen Beleg dafür gab es nicht.

Hier setzt Föger, immerhin pensionierter Kriminalist, an. Er übt Kritik am Umgang mit tatrelevanten Asservaten - und somit an jenem Gutachter, der zur Aufklärung des Mordes an seiner Schwägerin Angelika hinzugezogen wurde: Walter Rabl.

Aus der Kollegenschaft sind keine Beschwerden bekannt

Der renommierte Innsbrucker Gerichtsmediziner wird von der örtlichen Staatsanwaltschaft seit Jahren als Gutachter beschäftigt. Doch seine Arbeit gerät immer wieder in die Kritik - vor allem dann, wenn es um grenzüberschreitende Ermittlungen geht. Vom Obersten Gerichtshof (OGH) hat sich Rabl bereits einmal eine Rüge eingehandelt. Die Tiroler Justiz steht aber unverbrüchlich hinter ihm: "Aus der Kollegenschaft sind keine Beschwerden bekannt“, stellt das Landesgericht Innsbruck fest, und die örtliche Staatsanwaltschaft betont: "Es besteht nicht der geringste Grund, an der Sachkunde des Dr. Rabl zu zweifeln.“

Die Familie von Angelika Föger zweifelt dennoch.

Die Unklarheiten beginnen für sie schon bei den am Tatort gefundenen Haaren: blond und gewellt. Diese dürfte die - dunkelhaarige - Ermordete ihrem Angreifer ausgerissen haben. Der verurteilte Martin K. ist ebenfalls dunkelhaarig.

"Die Haare werden asserviert“

Rabl lieferte am Tag nach dem Verbrechen, am 10. Juni 1990, einen anderen Befund als später für den Prozess. In seiner ersten Obduktions-Stellungnahme beschrieb Rabl das Kopfhaar der Toten als "dunkelbraun“; in der rechten Hand der Leiche fand er "hellere Haare …, die offensichtlich nicht der Haarfarbe der Frau entsprechen“. Im Protokoll hielt er fest: "Die Haare werden asserviert.“

Rabls Befund für die Gerichtsverhandlungen, die 1991 begannen, wich von seinem Ersturteil aber ab: Er erklärte nun, die sichergestellten blonden Haare hätte sich das Opfer während der Messerattacke selbst ausgerissen. Er wollte plötzlich weiße Geheimratsecken an Angelikas Kopf entdeckt haben. Diese sind aber weder im Autopsie-Bericht vermerkt noch auf Fotos zu sehen. Rabl erklärt den Widerspruch damit, dass nicht er, sondern sein inzwischen verstorbener Vorgänger das Gutachten vertreten habe.

Der Bitte des Witwers, eine DNA-Probe durchzuführen, wurde seitens des Gerichts nie nachgekommen.

Und es gibt weitere Unstimmigkeiten. Die US-Rechtsmedizinerin Terri Haddix und der US-Tatortexperte Kenton Wong zweifeln unabhängig voneinander an, dass der Tathergang richtig konstruiert wurde.

Fest steht: Martin K. lief zu den Nachbarn und forderte sie auf, den Notarzt zu rufen, weil Angelika Föger schwerverletzt und blutend in seinem Zimmer liege. Das kostete Zeit. Und es bedurfte weiterer kostbarer Minuten, bis die Rettung schließlich eintraf. Da war Föger noch am Leben und klagte über Schmerzen.

Dies ist für die Gutachter aus Kalifornien von entscheidender Bedeutung. Denn dem Haddix-Befund zufolge soll der schlussendlich tödliche Stich so letal gewesen sein, dass die Frau nach spätestens fünf Minuten zwangsläufig verblutet sein muss. Soll heißen: Als der tödliche Stich ausgeführt worden sein soll, stand Martin K. bei den Nachbarn.

Dieser Expertise hat die Justiz bisher keine Beachtung geschenkt.

"Man muss sich wundern“, sagt Antonius Falkner, Anwalt des Ex-Polizisten Föger, "dass Rabl weiter an der Gerichtsmedizin in führender Position bleiben kann. Es waren ja keine geringen Fehler, die er gemacht hat. Trotzdem wird er als Gutachter bestellt.“ Rabl will die Kritik an seiner Arbeit nicht gelten lassen: "Gemeinsam ist einigen Fällen, dass ich mich zu viel mit den Angehörigen beschäftigt habe, versucht habe, ihre Fragen möglichst gut zu beantworten. Das hat ins Gegenteil umgeschlagen. Ich habe gelernt, dass ich das in Zukunft nicht mehr machen werde.“

Zu einzelnen Details der ihm vorgeworfenen Fälle betont Rabl, dass er nur dem Gericht gegenüber auskunftsberechtigt sei.

Rabls Befunde rückten bisher dann in den Mittelpunkt des Interesses, wenn die von ihm behandelten Fälle internationalen Bezug haben.

2003 standen die Kanadier Bob und Lynda MacPherson vor dem Leichnam ihres Sohnes in der Innsbrucker Gerichtsmedizin. Der Tote auf dem Seziertisch war der Eishockey-Profi Duncan MacPherson.

Duncan war 14 Jahre zuvor verschwunden. Im August 1989, bevor er Trainer des schottischen Klubs "Dundee Tigers“ werden sollte, hatte er einen Kurzurlaub am Stubaier Gletscher eingeschoben. Am späten Nachmittag des 9. August 1989 hatte ihn sein Snowboardlehrer auf der Piste zum Üben zurückgelassen. Ab diesem Zeitpunkt wurde der damals 23-Jährige nicht mehr gesehen.

Dann taute der Rekordsommer des Jahres 2003 Duncans Leichnam aus dem Gletscher. Für die Staatsanwaltschaft lag ein Unfall ohne Fremdverschulden oder ein verjährter Tatbestand vor. Eine Obduktion wurde nicht angeordnet, somit blieb die Todesursache unklar. In der Gerichtsmedizin soll Rabl den Eltern gesagt haben, ihr Sohn sei wohl in einer Gletscherspalte erstickt; die Verletzungen an seinen Gliedmaßen seien erst später durch sogenannte Scherkräfte im Gletscher entstanden.

"Eiskalter Tod“

Der US-Journalisten John Leake, der später in seinem Buch "Eiskalter Tod“ das Verschwinden Duncans aufarbeitete, stellte die These auf, dass eine Pistenraupe den Kanadier schwer verletzt haben könnte. An den Textilien, die Duncan anhatte, sollen sich Reste roten Lacks, mit dem viele dieser Kettenfahrzeuge überzogen sind, befunden haben. Und eine bei der Gletscherleiche gefundene Telefonwertkarte soll eine Kerbe aufgewiesen haben, in die genau der Zacken einer Schneefräse passt.

Rabl erklärte später, er habe die Leiche nur identifiziert, aber nie obduziert. Die Tiroler Behörden stellten folglich keine Auffälligkeit fest und gaben Duncans Leiche frei.

Seine Mutter Lynda MacPherson sagt heute, es seien "Fakten verschleiert worden.“ Sie glaube nicht an einen Sportunfall: "Personen, die an Duncans Tod beteiligt waren, wurden nie zur Rechenschaft gezogen.“

2012 bestätigte der Oberste Gerichtshof einer Expertise Rabls die "objektive Unrichtigkeit“. Diesem Beschluss war ein Verfahren vorangegangen, welches die Hinterbliebenen von Raven Vollrath initiiert hatten. Der deutsche Staatsbürger war schon ein halbes Jahr abgängig gewesen, als ihn Spaziergänger 2006 in einem Bachbett in der Nähe des Tiroler Zöblen teilweise skelettiert fanden. Seine Mutter, Maryon Vollrath, will sich an mäßig engagierte Ermittler erinnern: "Ein Beamter sagte, ihm wäre es lieber gewesen, Raven wäre zwei Kilometer weiter oben gefunden worden - dann wär’s in Deutschland gewesen, oder ein Gewitterguss hätte das Häufchen Knochen weggespült. Dann hätte er nicht die Arbeit damit.“

Wieder obduzierte Rabl. Er stellte keine Fremdeinwirkung fest, die Staatsanwaltschaft schloss die Akte. Ravens Eltern begannen, auf eigene Faust zu ermitteln. Die deutsche Polizei fand Indizien, wonach Raven von einem Reisegefährten ermordet worden sein könnte. Doch es gab Beweisprobleme. Die Leiche wurde exhumiert. Eine Gerichtsmedizinerin aus Jena entdeckte an Ravens Rippen und Brustbein Verletzungen, die mit Sicherheit von Messerstichen stammten. Überdies lagen Blätter und Zweige im Sarg. Hatte Rabl obduziert, ohne die sterblichen Überreste zu säubern?

"Selbstmord aus Liebeskummer“

Rabl sagt, er hätte die Einstichlöcher in Vollraths T-Shirt "nicht bewusst wahrgenommen“. Das wäre aber seine Aufgabe gewesen. Schreibt doch die für eine Totenbeschau gültige "Strafproceß-Ordnung“ von 1853 die Untersuchung der Kleidung vor der eigentlichen Sektion vor.

2008: wieder ein grenzübergreifender Fall, wieder Rabl. Die Slowakin Denisa Soltisova, eine in Vöcklabruck tätige Altenpflegerin, irrte am 19. Jänner 2008 barfuß, nur mit Unterwäsche bekleidet, durch die Stadt. Zehn Tage später wird ihre Leiche aus dem Fluss Ager geborgen.

"Selbstmord aus Liebeskummer“, folgerte die Polizei. Die Eltern geben daraufhin ein Gutachten in der Slowakei in Auftrag, welches an der Toten Spuren fremder Gewalteinwirkung und betäubende Substanzen feststellt: "Gewebequetschungen mit Blutergüssen auf der Innenseite der Oberschenkel“, Griffhämatome also, welche nach Vergewaltigungen charakteristisch sind.

Österreichische Gutachter wurden hinzugezogen. Der erste meinte, Anzeichen einer Fremdtötung seien für ihn weniger deutlich als für den slowakischen Kollegen. Der zweite meinte, es handle sich "sehr wahrscheinlich“ um Mord.

Das Schlusswort hatte Walter Rabl: Von Fremdeinwirkung könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit gesprochen werden.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein.