Parteinahe Zeitungen der niederösterreichischen ÖVP und SPÖ, Einschaltungen von HYPO NOE und der Niederösterreichischen Versicherung

Inseratenaffäre: Fragwürdige Konstruktionen auch in Niederösterreich

Erste Stimmen fordern ein Verbot von öffentlichen Inseraten an Parteien und parteinahe Vereine.

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In einem Staat, in dem es kein Informationsfreiheitsgesetz gibt, in dem Behörden Journalistenanfragen nach Gutdünken beantworten – oder eher: nicht beantworten – und in dem Regierungsvertreter auf parlamentarische Anfragen von Abgeordneten oft äußerst wortkarg replizieren, gibt es nur wenige Möglichkeiten, wie Brisantes an die Öffentlichkeit dringen kann. 

Eine dieser Möglichkeiten wurde vergangenen Donnerstag im niederösterreichischen Landtag eingesetzt: SPÖ, FPÖ und NEOS beauftragten den Landesrechnungshof mit einer Sonderprüfung der Inseraten-Buchungen von landeseigenen Unternehmen wie der Hypo-Landesbank oder dem Energieversorger EVN. Der Verdacht: Auch in Niederösterreich soll es – ähnlich wie in Vorarlberg – zu großen Geldverschiebungen von öffentlichen Stellen in Richtung parteinahe Medien gekommen sein. In Vorarlberg laufen Finanzstrafermittlungen gegen den ÖVP-Wirtschaftsbund, auch Landeshauptmann Markus Wallner steht massiv unter Kritik; in Niederösterreich untersucht vorerst nur der Rechnungshof.

Schon jetzt steht aber fest: Für die Prüfer wird es einiges zu finden geben, von dem die Öffentlichkeit bisher wenig wusste. Denn die Anzeigengelder fließen auch in Niederösterreich nicht direkt an die Parteien, sondern werden diskret an vorgelagerte Vereine oder Werbeagenturen geschleust, um das Parteiengesetz mit seinen Veröffentlichungspflichten zu umgehen. profil fand drei solcher Konstruktionen.

Das Magazin „Arbeiten für Niederösterreich“ ist ein ideales Beispiel: Das Druckwerk bewirbt die politischen Aktivitäten des ÖVP-Arbeitnehmerbundes NÖAAB, informiert über Mitgliederrabatte und Veranstaltungen der Parteiorganisation. Herausgegeben wird das Magazin aber nicht vom NÖAAB, sondern vom Verein Niederösterreichischer Pressverein-Zeitungsverlag. Seinen Sitz hat der Verein an der ÖVP-Bezirksgeschäftsstelle Wiener Neustadt angemeldet. 

Die Konstruktion ähnelt jener des Wiener Pressvereins, der in der ÖVP-Bundespartei residiert und das Magazin der ÖAAB-Bundesorganisation herausgibt (profil berichtete vor zwei Wochen). Der Wiener Pressverein sammelt die Inserate für das ÖAAB-Magazin „freiheit“ ein, das offiziell gar kein ÖAAB-Magazin, sondern unabhängig ist. Wie kommt das Geld zurück an die ÖVP-Organisation, ohne dass es als Spende deklariert werden muss? Der Pressverein bestätigt auf profil-Anfrage, dass er die Einnahmen aus öffentlichen Inseraten – etwa von der AUVA – „auch für Miet-, Büro- und Personalkosten verwendet“. Der Vereinsobmann: „Durch die Zusammenarbeit mit dem ÖAAB wurde uns die Möglichkeit eingeräumt vom ÖAAB, zum Selbstkostenpreis, eine Räumlichkeit anzumieten.“ 

Zurück zum Niederösterreichischen Pressverein, der eine profil-Anfrage unbeantwortet ließ. Blättert man durch „Arbeiten für Niederösterreich“, das der Verein herausgibt, ist das üppige Inseratengeschäft augenscheinlich. Im Schnitt acht bis zehn der 39 Seiten sind mit Anzeigen gespickt. In nahezu jeder der Ausgaben der letzten fünf Jahre wirbt die „Niederösterreichische Versicherung“, die der Landwirtschaftskammer gehört, ganzseitig. Daneben fungieren die Landesunternehmen Hypo Niederösterreich und EVN sowie Raiffeisen oder Spar als Dauerinserenten. Wie viel der ÖVP-nahe „Pressverein“ als Herausgeber mit den Inseraten einnimmt, ist geheim. Würde der NÖAAB selbst seine Mitgliederzeitung herausgeben, müssten die öffentlichen Inserate im Rechenschaftsbericht aufgelistet werden. So bleibt als einziger Anhaltspunkt die Transparenzdatenbank, in der Einschaltungen von öffentlichen Rechtsträgern in Medien gemeldet werden müssen, allerdings erst ab einer Summe von 5000 Euro. Knapp 60.000 Euro meldete die Hypo Niederösterreich dort seit 2017 ein. Für ein 39-seitiges Heft, das nur viermal im Jahr erscheint, ist das beachtlich. Zum Vergleich: Die reichweitenstarke, täglich erscheinende Zeitung „Österreich“ erhielt von der Hypo Niederösterreich in dem Zeitraum 120.000 Euro, die Tageszeitung „Die Presse“ 14.000 Euro, profil 8500. 

Wie viel Unternehmen für Anzeigen in der parteinahen Zeitung hinblättern müssen, ist offiziell nicht bekannt. profil liegt jedoch eine Inseratenpreisliste vor, die bis vor wenigen Jahren noch auf der Website des „Pressvereins“ sichtbar war (siehe Faksmile). Laut Listenpreis kostet eine ganze Seite in „Arbeiten für Niederösterreich“ stolze 10.000 Euro (zum Vergleich: In der „Kronen Zeitung“ gibt es eine Seite um 20.000 Euro), eine halbe Seite 7000. Anhand dieser Preisliste rechnete profil sämtliche Inserate aller Ausgaben der vergangenen fünf Jahre durch. Nach dieser Schätzung erhielt das Parteiblatt jährlich im Schnitt bis zu 340.000 Euro (2021: 260.000; 2019: 390.000) – in Summe   sind das bis zu 1,7 Millionen seit 2017. Ob die 
Inseratenpreisliste stets zur Anwendung kam oder sich die Anzeigenschalter eigene Deals ausmachten, bleibt freilich unklar.

Ein Vergleich der profil-Schätzung mit Angaben aus der Transparenzdatenbank zeigt aber ein annähernd stimmiges Bild: Laut profil vorliegender Preisliste müsste die Hypo für alle ihre Inserate seit 2017 77.000 Euro ausgegeben haben, in der Transparenzdatenbank stehen immerhin knapp 60.000 Euro. Von zehn halbseitigen Inseraten der EVN, die laut Listenpreis jeweils 7000 Euro kosten würden, ist  in der Datenbank wiederum nichts zu finden. Ein Sprecher der EVN sagte zu profil: „Wir ersuchen um Verständnis, dass wir im Vorfeld der bevorstehenden Prüfung durch den NÖ Landesrechnungshof keine Fragen beantworten können, die in Zusammenhang mit dem Prüfgegenstand stehen. Die EVN hält jedenfalls alle gesetzlichen Regelungen strikt ein und wird selbstverständlich auch künftige Änderungen der anwendbaren Gesetze berücksichtigen und diese einhalten.“

Es gibt noch einige weitere Publikationen im Umfeld der ÖVP Niederösterreich, die ein ähnliches Prinzip verfolgen: Darunter etwa die „Niederösterreich Zeitung“, die einmal jährlich an alle Haushalte versandt wird, inhaltlich einem ÖVP-Werbeblatt gleicht und voller Inserate ist. Offizieller Herausgeber: nicht die Partei, sondern ein Verlag mit starker ÖVP-Nähe.

Auch der SPÖ-Gemeindevertreterverband (GVV) setzt in Niederösterreich auf eine vergleichbare Konstruktion. Der gemeinnützige Verein „Information für sozialdemokratische Gemeinden in Niederösterreich“ gibt das SPÖ-GVV-Magazin „Kommunale Information“ heraus, auch darin finden sich Inserate von Landesunternehmen. „Viele Inserate ist relativ“, sagt dazu ein Sprecher des GVV. In den sieben Ausgaben der Jahre 2019, 2020 und 2021 schalteten die Unternehmen mit Landesbeteiligung neun Seiten. Macht bei einem Seitenpreis von 1200 Euro insgesamt 10.800 Euro.

Die Inserateneinnahmen seien nicht kostendeckend, beteuert der SPÖ-GVV, die Organisation, die Schulungen für rote Gemeinderäte durchführt, müsse zur Magazinproduktion etwas zuschießen. Die Vereinsfunktionäre, die deckungsgleich mit dem SPÖ-GVV-Büro sind, würden keine Aufwandsentschädigungen erhalten. Einen Vorteil hat die Konstruktion aber doch: Gemeinnützige Vereine sind steuerbegünstigt und können sich unter gewissen Voraussetzungen Umsatz- und Körperschaftssteuer sparen.

profil fragte bei den drei Parteien in der niederösterreichischen Landesregierung nach: Die FPÖ ortet „Schwarze Kreislaufwirtschaft“, will für allfällige Maßnahmen aber die Prüfung des Rechnungshofes abwarten. SPÖ-Landeshauptfrau-Stellvertreter Franz Schnabl spricht sich für ein „Verbot von Inseraten der öffentlichen Hand sowie Unternehmen, die im Eigentum der öffentlichen Hand sind, an Parteien und parteinahe Vereine“ aus. Nachsatz: „Nicht nur in Niederösterreich, sondern bundesweit.“ 

Das sagt sich leichter, wenn man von dem System kaum profitiert. Im Burgenland, wo ein SPÖ-naher Verein für seine parteinahe Zeitung viele Landesinserate bekam, dürfte man über solche Zurufe weniger erfreut sein.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.