Teufels Glück: Es gilt für Klubobleute im Landtag kein Berufsverbot – anders als für die Klubchefs im Nationalrat und für Regierungsmitglieder.
Auch Oberösterreichs ÖVP-Klubchefin Margit Angerlehner hat nebenher Zeit für ihr Bürgermeisterinnenamt in Oftering und ihre kleine Maßschneiderei für Damen („Mode im Maß der Zeit“). Angerlehners Spezialgebiete sind Trachten und Ballroben aus Seide, Samt und Spitzen, ihr Handwerk nützt sie auch, um politische Kontakte zu knüpfen: Zu ihren Kundinnen dürfte laut Facebook-Postings die weibliche Hautevolee des Landes zählen.
Angerlehner ist nicht die einzige Bürgermeisterin in Österreichs Landtagen. Elf Ortschefs und eine Ortschefin sitzen etwa im Kärntner Landtag, im Schnitt führt jeder dritte Kärntner Abgeordnete eine Gemeinde.
Eine Aufweichung der Gewaltenteilung? Nein, sagt Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger: Dass die Gemeinden im Gesetzgebungsprozess vertreten werden, ergebe Sinn. Die starke Vertretung in den Landesparlamenten hat aber Folgen: „Den Landtag, der sich mit der Mehrheit der Gemeinden anlegt, will ich sehen“, sagt Bußjäger.
Abgeordnete im Dienst der Regierung
Für Bürgermeister ist es ein Leichtes, einen guten Listenplatz zu ergattern. Zudem gibt es für sie nicht nur finanzielle Anreize, ein Landtagsmandat als Nebenjob zum zeitintensiven Bürgermeisterstuhl zu wählen, sagt Laurenz Ennser-Jedenastik, stellvertretender Leiter des Instituts für Staatswissenschaft der Universität Wien: „Wer im Landtag sitzt, ist überdurchschnittlich gut vernetzt. Das macht einen Unterschied für die Arbeit auf Gemeindeebene.“
Auch die Verwaltung ist in Österreichs Landtagen gut vertreten. Mehr als jeder sechste Abgeordnete ist nebenbei im öffentlichen Dienst beschäftigt, von der Pflegekraft über Schuldirektorinnen bis zum Pressesprecher eines Landesrats. Besonders viele hochrangige Landesbeamte sitzen im Salzburger Landtag. Der mittlerweile pensionierte Landesveterinärdirektor, der Referatsleiter für Personalabrechnung, der nebenbei Klubvorsitzender der SPÖ ist, und ein Bürgermeister, der zwei Stunden pro Woche in einem Landesratsbüro arbeitet. Gewaltenteilung heißt in Salzburg mitunter, die Wochenarbeitsstunden zwischen Legislative und Exekutive zu teilen.
Rechtlich zulässig, allerdings politisch fraglich ist es, wenn im Dezember 2023 ein Salzburger Landesbeamter als Abgeordneter ein Gesetz zur Erhöhung der Beamten-Pension präsentiert – das dann angenommen wird.
Staatsdiener als Nebenerwerbspolitiker haben in Österreich eine lange Tradition. Bis Ende der 1990er-Jahre machten Beamte ein Drittel der 183 Nationalratsabgeordneten aus. Das Aus der Politikerpensionen und eine Reform des Unvereinbarkeitsgesetzes im Jahr 1997 konnten die Beamtenschwemme deutlich reduzieren.
Richter, Staatsanwälte, Militärs oder Sicherheitsbeamte müssen sich während ihrer politischen Tätigkeit komplett karenzieren lassen, alle anderen öffentlichen Bediensteten dürfen maximal im Ausmaß von 75 Prozent entlohnt werden. Im Jahr 2023 saßen noch 34 Beamte im Parlament, knapp 19 Prozent aller Abgeordneten. Die meisten von ihnen waren ohne Bezüge freigestellt. Der Bericht für 2024 erscheint im Juni.
Aus der Linie in den Landtag
Aus dem öffentlichen Dienst ist der Wechsel in die Politik weiterhin einfacher als aus der Privatwirtschaft. Viele öffentliche Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern Stunden, um ihrer politischen Arbeit nachzugehen. Und lässt man sich für ein Mandat karenzieren, kann man im öffentlichen Dienst auch nach Jahren auf den ursprünglichen Job zurückkehren.
Dass Abgeordnete wie Bozatemur und Deutsch eher ihrem beruflichen Vorgesetzten Bürgermeister Ludwig als dem Wiener Landtag verpflichtet sein könnten, befürchtet weder Politikforscher Ennser-Jedenastik noch Verfassungsjurist Bußjäger: In den Landtagen gehe die Macht noch stärker von den Regierungsparteien aus, als das im Bund der Fall ist, argumentiert Bußjäger. Und in der Regel würde die Parteitreue auch ohne Zuverdienst im Büro der Landesregierung für ausreichend Loyalität sorgen, so Ennser-Jedenastik. Vor allem sind Posten in den Büros der Landesräte ohnehin politisch.
Kritischer sieht es Verwaltungsjurist Bußjäger, wenn Beamte mit hoheitlicher Entscheidungsbefugnis, die zum Beispiel über große Geldsummen verfügen, in Landtagen sitzen würden: „Solche wichtigen Funktionen sollte man aus der unmittelbaren politischen Schusslinie nehmen.“ Um derartige Unvereinbarkeiten zu vermeiden, gibt es auch in den Landtagen Unvereinbarkeitsausschüsse, die mit Landtagsabgeordneten besetzt sind.
Weitere Einschränkungen durch Berufsverbote für die Politik sieht der Politikforscher Ennser-Jedenastik kritisch. Einerseits müsse auch das Recht, gewählt zu werden, geschützt werden, andererseits gebe es einen kaum auflösbaren Zielkonflikt: „Wir wollen als Gesellschaft professionelle Politiker, die ihre Zeit für die Politik verwenden. Aber wenn wir die Ausübung eines Zivilberufs schwieriger machen, fehlen Personen aus der Praxis in den Parlamenten.“ Statt die Zahl der Beamtinnen und Beamten unter den Abgeordneten einzuschränken, sollte man für unterrepräsentierte Gruppen die Politik attraktiver machen, schlägt Ennser-Jedenastik vor. Die Vereinbarkeit im öffentlichen Dienst könnte ein Vorbild sein.
Strikte Deutsche
Irmgard Griss kennt beide Seiten, Politik und Verwaltung: Sie brachte es im öffentlichen Dienst bis zur Präsidentin des Obersten Gerichtshofs. Später, von 2017 bis 2019, war sie für Neos im Nationalrat: „Wenn man das Abgeordnetenmandat ernst nimmt, ist es ein Fulltime-Job. Gesetzesvorschläge studieren, die Regierung kontrollieren – damit ist man ausgelastet. Ein fordernder Beruf daneben geht sich eigentlich nicht aus“, sagt Griss.
Österreich ist bei Nebenjobs von Politikern vergleichsweise locker. In Deutschland müssen Beamte ihr Amt sofort aufgeben, wenn sie ein Mandat im Bundestag oder EU-Parlament annehmen. Solche Regelungen gibt es auch in den Bundesländern: „Ein Beamter mit Bezügen kann nicht Mitglied des Bayerischen Landtags sein“, heißt es im Abgeordnetengesetz. Griss gewinnt dem strikten Zugang
etwas ab: „Die Gewaltentrennung spricht dafür, dass eine Person nicht beides ausüben kann. Eine Aufgabe des Parlaments ist die Kontrolle der Exekutive, also der Regierung und der Verwaltung. Persönliche Verflechtungen könnten ein Problem sein.“
Nicht nur die: Für Empörung sorgte der Fall des Tiroler ÖVP-Landesrates Johannes Tratter, ein karenzierter Landesbeamter. Nach seinem Ausscheiden aus der Landesregierung im Jahr 2022 war die Personalabteilung der Meinung, Tratter habe während seiner Regierungszeit Urlaubsansprüche als Beamter angehäuft – die er dann auch en bloc konsumierte, 18 Wochen am Stück. Der Landesrechnungshof bewertete die Vorgehensweise im Nachhinein als verfehlt.
Die Privilegien der Multifunktionäre schwinden, aber langsam.