Interventionen? Pilnacek-Tonband bringt Sobotka unter Druck
Eine heimliche Tonbandaufnahme bringt ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in Erklärungsnot: Der zuletzt suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek erhebt darin Vorwürfe gegen die ÖVP. In dem Gespräch behauptet er, Interventionen der ÖVP in Ermittlungen abgewehrt zu haben, namentlich nennt er den früheren Innenminister und jetzigen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka.
Es ist ein beliebter Trick im Politikbetrieb: Wenn für eine Partei unangenehme Dokumente ans Licht kommen, dann wird versucht, den Leak als Skandal darzustellen, um von der eigentlichen Causa abzulenken. Verständlich, dass die Volkspartei lieber darüber spricht, wie der Mitschnitt wenige Wochen nach Pilnaceks Tod den Weg an die Öffentlichkeit finden konnte - und nicht über den Inhalt des Bandes.
Dabei ist der Inhalt selbst brisant: Das Gespräch soll Ende Juli bei einer abendlichen Runde im Wirtshaus ohne Pilnaceks Wissen aufgenommen worden sein. Die Tonaufnahme, die mehreren Medien vorliegt, dürfte geschnitten worden sein. Zudem kursierten Auszüge der Aufnahme als Abschrift. "Man verlangt, dass ich Ermittlungen einstelle. Das kann ich nicht, das mache ich nicht", wird Pilnacek darin zitiert. "Da kamen ÖVP-Minister, selbst als eine Hausdurchsuchung bei der ÖVP schon stattgefunden hat, kam man zu mir und fragte, warum drehe ich das nicht ab?" Er habe immer gesagt, "ich kann es nicht, ich mach es nicht, ich will es nicht".
Vorwürfe gegen Sobotka
Als er nach Unterstützung gefragt habe, habe er in der ÖVP als Antwort gehört, "du warst ja nie bei uns" und "du hast ja nie verhindert, dass eine Hausdurchsuchung bei uns stattfindet". Er habe kein einziges Verfahren beeinflusst, sagt Pilnacek. "Die ÖVP hat mir das zum persönlichen Vorwurf gemacht und gesagt, 'du lässt deine Staatsanwälte gegen uns arbeiten'." Namentlich nennt Pilnacek Nationalratspräsident Sobotka: "In jedem Gespräch sagt der Sobotka, 'du hast selber versagt, du hast es nie abgedreht'. Aber das geht nicht und ich mache es nicht. Wir leben in einem Rechtsstaat".
Sobotka habe mit Pilnacek nie zu laufenden Verfahren, Ermittlungen oder Sicherstellungsanordnungen gesprochen, sagte ein Sprecher des Nationalratspräsidenten gegenüber dem "Standard". "Wenn ein erst kürzlich, unter tragischen Umständen verstorbener Mensch nun in die Öffentlichkeit gezerrt werden soll, um politisches Kleingeld zu schlagen, dann werden wir uns an einem solch pietätlosen Akt nicht beteiligen", betonte man weiters. Das "rücksichtslose Instrumentalisieren eines Menschen, der sich heute nicht mehr erklären kann, ist ein absoluter Tiefpunkt der politischen Kultur in unserem Land". Pilnacek kann man zu dem Fall nicht mehr befragen.
Ähnlich fiel die Verteidigungsstrategie von ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in der ZIB 2 aus: Er forderte, die "Motive" der Tonband-Ersteller zu klären. Zuvor hatte er die geheime Aufnahme in einer Aussendung als "KGB-Mothode" bezeichnet.
ÖVP steht hinter Sobotka
Inhaltlich verwies Stocker darauf, dass Pilnacek in Untersuchungsausschüssen im Parlament unter Wahrheitspflicht etwas anderes ausgesagt habe als bei dem heimlich aufzeichneten Gespräch. So habe Pilnacek 2020 auf die Frage, ob es irgendjemanden gegeben habe, der ihn jemals darauf angesprochen habe, ein Auge auf ein Verfahren zu werfen, deutlich mit "nein" geantwortet. Im Jahr 2022 habe Pilnacek auf die Frage, ob es konkrete Behinderungen der Ermittlungen gegeben habe, geantwortet, "wenn Sie mich über konkrete Behinderungen fragen: nein", außerdem habe er, "wo ich die Fachaufsicht hatte, keine Wahrnehmungen über politische Beeinflussungen" gehabt.
Bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz Dienstagabend bekräftigte Stocker, dass Pilnacek wohl in eine "Falle gelockt" worden sei. Gefragt, wie er sich die Widersprüche in Pilnaceks Aussagen erkläre, sagte Stocker: "Zum Inhalt dieses Tonbands werde ich mich nicht äußern", sei es doch unter "dubiosen" Umständen entstanden. Die Verantwortlichen vermutet Stocker jedenfalls in der Opposition: "Von wo kommt's denn her, wenn nicht von der Opposition?"
Auf Journalisten-Anfrage machte Stocker außerdem klar, dass die ÖVP hinter Nationalratspräsident Sobotka steht, ein Rücktritt steht für ihn also nicht im Raum. Vom Grünen Koalitionspartner lag bis zum Abend keine Stellungnahme vor.
NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos hatte zuvor Sobotka den Rücktritt nahegelegt: "Mit Blick auf die genannten Personen halten wir fest: Wer dem Hohen Haus der Demokratie vorsteht, muss über jeden Verdacht erhaben sein." Pilnaceks Aussagen legten ein System nahe, das eines demokratischen Rechtsstaates unwürdig ist, meinte Hoyos in einer Aussendung. "Die Rede ist von Machtmissbrauch, Druck und versuchter Einflussnahme auf die unabhängige Justiz, durch 'die ÖVP' als Ganzes und namentlich durch den zweithöchsten Mann im Staat. Alleine der Anschein eines solchen Systems von Machtmissbrauch durch die Kanzlerpartei fügt unserer Demokratie schwersten Schaden zu." Es seien Vorfälle wie diese, "die das Vertrauen der Menschen, dass vor dem Gesetz jede und jeder gleich ist, zerstören".
"Schockierend, aber leider nicht überraschend" kommen die Aussagen Pilnaceks für die SPÖ. Die "Enthüllungen" bestätigen für Finanzsprecher Jan Krainer, "was wir in zwei Untersuchungsausschüssen über den organisierten Machtmissbrauch des Systems ÖVP erfahren haben. Diese ÖVP ist immer noch die Kurz-ÖVP", schrieb er in einer Aussendung.
Grüne rechnen mit U-Ausschuss
Der grüne Koalitionspartner reagierte politisch behutsam. Jetzt gehe es um Aufklärung, so Voglauer, im Justizministerium würden Schritte geprüft, um die Vorgänge in den vergangenen Legislaturperioden sinnvoll zu durchleuchten. Die Grünen-Generalsekretärin geht auch davon aus, dass die Opposition einen Untersuchungsausschuss einrichten wird. "An diesem werden wir uns, in gewohnter Tradition, aktiv mit guter, sachlicher Aufklärungsarbeit beteiligen."
Pilnacek ist vor wenigen Wochen im Alter von 60 Jahren verstorben. Das Obduktionsergebnis steht noch aus. Der zuletzt suspendierte Sektionschef des Justizministeriums galt über lange Jahre neben dem jeweiligen Minister als mächtigster Mann im Justizministerium. Unter Türkis-Blau avancierte er zum Generalsekretär. Diverse Vorwürfe, unter anderem wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses, führten später zu seiner Suspendierung und mehreren Verfahren. Im einzigen abgeschlossenen Prozess wurde er freigesprochen.