Intrigenstadl Innsbruck: Die hitzigste Bürgermeisterwahl des Jahres
Die Tiroler Landeshauptstadt verspricht eine der hitzigsten Wahlen des Jahres. Die Stadtkoalition ist geplatzt, 13 Listen kämpfen um 40 Mandate und ÖVP-Listen vereinen sich gegen Georg Willi, den ersten Grünen Bürgermeister einer Landeshauptstadt.
Neben zahlreichen Touristinnen und Touristen lässt sich kurz vor Weihnachten auch ein Einheimischer vor dem berühmten Goldenen Dachl ablichten: Florian Tursky, zurzeit Digitalisierungsstaatssekretär in Wien, will wieder mehr Zeit in seiner Heimatstadt Innsbruck verbringen. Im Idealfall als Bürgermeister nach den Gemeinderatswahlen am 14. April. Doch so malerisch die Berge über der Landeshauptstadt thronen: Politisch ist Innsbruck ein schmutziges Pflaster.
Elf Listen und vier freie Abgeordnete teilen sich derzeit die 40 Sitze im Gemeinderat, fast jede große Fraktion hat sich schon gespalten, zwischen den Parteien herrscht ohnehin Zwietracht. Seit 2018 regiert Georg Willi als erster und bislang einziger Grüner eine Landeshauptstadt. Doch nach einer geplatzten Koalition mit ÖVP, der bürgerlichen Liste „Für Innsbruck“ und der SPÖ, eingestellten Korruptionsermittlungen wegen eines Sondervertrages für Willis ehemalige Personalamtsleiterin und lokalen Kuriositäten wie alkoholisierten Gemeinderäte, ist der Amtsinhaber angeschlagen – und sieht sich einer neu formierten bürgerlichen Einigkeit entgegen.
Lager-Kämpfe
Rund 100.000 Innsbruckerinnen und Innsbrucker sind am 14. April zur Wahl aufgerufen. Das ist fast ein Fünftel mehr als bei der Landtagswahl vor einem Jahr, denn auf Gemeindeebene dürfen auch die rund 20.000 in Innsbruck wohnhaften EU-Bürgerinnen und -Bürger mitbestimmen. Universitäten und Fachhochschulen sorgen außerdem dafür, dass die 25- bis 30-Jährigen die größte Wählergruppe in der Landeshauptstadt bilden und fast ein Viertel der Bevölkerung einen Hochschulabschluss vorweisen kann.
Die Studierenden waren 2018 auch Basis für Willis Erfolg in der bürgerlichen Hochburg. Teuerung und die höchsten Quadratmeterpreise aller Landeshauptstädte könnten dem Amtsinhaber diesmal aber ihre Unterstützung kosten.
Bei der letzten Wahl half den Grünen zudem eine Tiroler Eigenheit: Mit ÖVP, der Liste „Für Innsbruck“ (FI) und dem Seniorenbund sitzen drei Versionen der Volkspartei im Innsbrucker Gemeinderat – mit turbulenter Geschichte: 1994 rang „Für Innsbruck“ der ÖVP den Bürgermeistertitel ab. Damals führte Herwig van Staa die Stadtliste FI an, er blieb dabei ÖVP-Mitglied und wurde später ÖVP-Landeschef und Landeshauptmann. Die heutige FI-Chefin Christine Oppitz-Plörer distanzierte sich hingegen so weit von der Volkspartei, dass sie die ÖVP 2012 erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in die Innsbrucker Opposition verbannte.
Das ist nun vergessen. Im Kampf gegen Willi haben sich die drei bürgerlichen Listen zusammengerauft und werden im April als „das neue Innsbruck“ antreten. Ganz ist die Einigung nicht gelungen: Auch der bisherige ÖVP-Vizebürgermeister Johannes Anzengruber will Bürgermeister werden. Unterstützung erhielt er dabei nur von ÖVP-Gemeinderätin Mariella Lutz, ihres Zeichens Lebensgefährtin von FPÖ-Chef Markus Lassenberger.
GEMEINDERATS- UND BÜRGERMEISTERWAHL INNSBRUCK: MEDIENTERMIN DAS NEUE INNSBRUCK "AUFTAKTVERANSTALTUNG: INNSBRUCK GEMEINSAM WIEDER NACH VORNE BRINGEN"
Florian Tursky und Christine Oppitz-Plörer
Unter der Liste „das neue Innsbruck“ soll das bürgerliche Lager der Tiroler Landeshauptstadt wieder vereint werden. Ex-Bürgermeisterin Christina Oppitz-Plörer stellt sich dafür hinter den stadtpolitischen Neueinsteiger Florian Tursky.
Verstoßene Vizes
Die Volkspartei schloss Anzengruber daraufhin aus – und verweist nun auf Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen ihren ehemaligen Parteifreund, der alle Vorwürfe bestreitet: „Jeder andere Politiker“ hätte sein Amt bei Ermittlungen ruhend gestellt, drängte die ÖVP in der vorletzten Gemeinderatssitzung des vergangenen Jahres dennoch zur Abwahl Anzengrubers als Vizebürgermeister. Den Hinweis, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) trotz mehrfacher Ermittlungen der WKStA im Amt bleibt, tat der schwarze Gemeinderatsklub mit einem lapidaren „ja, eh“ ab. Auf der anderen Seite mutieren die Grünen in Innsbruck zu Verteidigern der Unschuldsvermutung: Schon Willi verblieb während – mittlerweile eingestellten – Ermittlungen im Amt, bei Anzengruber solle man ebenfalls auf ein Urteil der Justiz warten.
Der Unternehmer wurde aus der ÖVP ausgeschlossen und als Vizebürgermeister abgewählt. Nun wird er mit seiner eigenen Liste „JA – Jetzt Innsbruck“ bei der Gemeinderatswahl antreten und will Bürgermeister werden.
Der Appell verlief ins Leere und so wurde in Innsbruck bereits zum dritten Mal seit 2018 ein Vizebürgermeister oder eine Vizebürgermeisterin abgewählt: Die Grünen verwehrten Oppitz-Plörer im Oktober 2019 das Vertrauen, weil die damalige Vizebürgermeisterin den Gemeinderat nicht ausreichend über Kostensteigerungen beim Bau der Patscherkofelbahn informiert hätte. Ein Jahr später musste ihre Nachfolgerin Ursula Schwarzl (Grüne) den Hut nehmen, da sie den Gemeinderat zu spät beim Bau einer Begegnungszone eingebunden hatte.
In allen drei Fällen hatte die FPÖ die Mehrheit für die Abwahl gebracht – und im Jänner 2021 standen die Rechten als lachende Dritte da: FPÖ-Chef Lassenberger wurde in geheimer Wahl offenkundig mit Stimmen von ÖVP oder FI zum Vizebürgermeister gewählt. Einem grünen Abwahlantrag gegen den FPÖ-Kandidaten verweigerten die beiden Parteien dann die Unterstützung. Die schon zuvor schwer angeschlagene Koalition aus Grünen, ÖVP, FI und SPÖ war endgültig Geschichte. „Wir haben die Wichtigkeit der informellen Ebene in der Politik unterschätzt“, gibt die grüne Vizeklubchefin Janine Bex zu.
Dass der Innsbrucker FPÖ-Chef in geheimer Wahl zum Vizebürgermeister gewählt wurde, ließ Willis Vierer-Koalition aus Grünen, ÖVP, FI und SPÖ endgültig platzen. Nun will Lassenberger selbst Bürgermeister werden.
Anti-Alkoholisch
Seitdem herrscht in Österreichs fünftgrößter Stadt ein freies Spiel der Kräfte. Zwar gelangen einzelne Vorzeigeprojekte wie eine Abgabe für leerstehende Wohnungen, meist aber steht der Gemeinderat für Stillstand und Peinlichkeiten: Im April wurde Bex etwa von mehreren Gemeinderäten angeschrien, weil sie in einer Gemeinderatssitzung ihr Kind stillte und eine Flasche alkoholfreies Bier trank. Gerald Depaoli von der Liste „Gerechtes Innsbruck“ verbreitete ein Bild der Szene online und löste damit eine Lawine an Hassbotschaften gegen Bex aus. Mittlerweile wurde er erstinstanzlich zur Unterlassung und 5.000 Euro Strafe verurteilt.
Tatsächlich war in dieser Sitzung Alkohol geflossen: „Die meisten Gemeinderäte sind zumindest nicht mehr nüchtern“, hielt der Journalist Michael Steger für den Liveticker der Bezirksblätter fest. Einen Tag später wurde sein Artikel offline genommen und Steger entlassen. Mehrere Gemeinderäte hatten sich über die Berichterstattung beschwert. Die Bezirksblätter streiten einen Zusammenhang mit der Kündigung ab, Steger sieht das anders. Im Gemeinderat selbst sprach Bürgermeister Willi als Konsequenz ein Alkoholverbot aus. Nun wird nicht mehr im Saal getrunken, stattdessen verlassen Mitglieder des Gemeinderats Sitzungen, um in den Lokalen der Rathausarkaden zu konsumieren.
Dabei ist die Stimmung auch so ausreichend aufgeheizt: Zumindest 13 Listen gehen Mitte April ins Rennen um den Innsbrucker Gemeinderat. Den wenigsten dürfte der Einzug gelingen, erstmals gilt eine Vier-Prozent-Hürde. Eine solche gibt es in Österreichs Städten sonst nur in Wien. Selbst die KPÖ, die sich nach Graz auch in Salzburg Hoffnungen auf den Bürgermeistersessel macht, könnte daran scheitern. Ein-Mann-Parteien wie Depaolis „Gerechtes Innsbruck“ dürften wohl endgültig aus dem Rathaus verschwinden.
Lachende Dritte
Leichter wird die Mehrheitsfindung dadurch kaum: Mittlerweile gilt es etwa als unvorstellbar, dass FI-Chefin Oppitz-Plörer und Amtsinhaber Willi erneut zusammenarbeiten. Selbst innerhalb der ÖVP geht man davon aus, dass für eine erneute Koalition eine der beiden Parteien einen Schritt zurück machen müsste. Die Grünen wiederum hoffen, in einer möglichen neuen Regierung ohne die Liste „das neue Innsbruck“ auskommen zu können.
Das Ergebnis der Gemeinderatswahl ist ohnehin nur eine Randnotiz, in Innsbruck zählt der Bürgermeister. Dafür zeichnet sich ein Dreikampf aus Amtsinhaber Willi, FPÖ-Chef Lassenberger und Neueinsteiger Tursky ab. Auch weil die vielen Kleinparteien ebenfalls den Bürgermeister stellen wollen, wird wohl keiner der drei am Wahlabend eine absolute Mehrheit erringen. Kommt es zur Stichwahl am 28. April, könnte die FPÖ Tursky unterstützen – oder umgekehrt, fürchten die Grünen.
Offiziell will man in der ÖVP noch nicht so weit denken. Die Wahl ist in vier Monaten, bis dahin könne sich viel tun. Vor allem gilt es, die Bekanntheit des Spitzenkandidaten zu steigern. Und so fängt auch Staatssekretär Tursky bescheiden an und schüttelt am Christkindlmarkt unter dem Goldenen Dachl fleißig Hände.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.