Corona

Ischgl: Aprés-Ski-Bars ignorierten Sperre – Behörden schauten zu

Videos und Polizeiprotokolle belegen: Trotz behördlicher Betriebsschließungen hatten mehrere Lokale in Ischgl weiter geöffnet. Polizisten beobachteten die Menschenmassen – aber schritten nicht ein.

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Von Jakob Winter und Thomas Hoisl

Protokolle von Krisensitzungen der Tiroler Behörden, Aktenvermerke über Polizeieinsätze und Mails von Corona-infizierten Urlaubern – der 1000-seitige Zwischenbericht zur Causa Ischgl, den das Landekriminalamt Tirol der Staatsanwaltschaft Innsbruck vorgelegt hat, gibt einen ersten Einblick in das Innenleben des Tiroler Krisenmanagements Anfang März. Auch wenn die Staatsanwaltschaft weiterhin nur gegen unbekannt ermittelt; und auch wenn es sich nur um einen ersten, unvollständigen Zwischenbericht handelt, in dem bisher nur ausgewählte Aktenstücke vorkommen: die vertraulichen Dokumente aus Tirol verdichten die profil-Recherchen der letzten Wochen. Sie zeigen Hoteliers und Betreiber von Après-Ski-Bars, die sich erst gar nicht und dann nur widerwillig an die Schutzvorkehrungen hielten. Sie zeichnen ein Bild von überforderten Behörden, die den mächtigen Touristikern kaum etwas entgegensetzten.

 

profil rollt die Akte Ischgl in der aktuellen Ausgabe in vier Kapiteln auf. Das erste Kapitel können Sie kostenfrei online lesen:

 

Feiern, als gäb’s kein Corona

Die Regelung war so eindeutig, dass Missverständnisse ausgeschlossen waren: „Bei allen in der Gemeinde lschgl bewilligten Après-Ski-Lokalen ist der Après-Ski-Betrieb unverzüglich einzustellen.“ So steht es in der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 10. März, die für Ischgl zuständig ist. Den Verantwortlichen war damals – spät, aber doch – gedämmert, dass von den engen, proppenvollen Partystadeln eine besondere Infektionsgefahr für die Gäste ausgeht.

 

Bloß fand die Verordnung zunächst kaum Beachtung: Noch am selben Abendwurde in einigen Bars gefeiert, als gäbe es weder das Coronavirus noch die behördlichen Betriebssperren. Das belegen unter anderem Fotos und Videos, die deutsche Urlauber profil exklusiv zur Verfügung stellten – die Aufnahmen aus dem Après-Ski-Lokal „Trofana Alm“ stammen vom 10. März um 21:31 Uhr, das geht aus den Metadaten hervor.

 

Das Lokal war zu dieser Zeit gesteckt voll. Zurück in Deutschland wurden die sechs Urlauberalle positiv auf Corona getestet. Brisant ist die Missachtung der Verordnung auch deshalb, weil der Betreiber der „Trofana Alm“ Obmann des Tourismusverbands Paznaun ist. Auch andere Après-Ski-Betreiber wollten das verfrühte Saisonende nicht so recht einsehen. Zunächst versuchten sie, ihre Partybuden mit anderen Konzessionen – etwa für den Betrieb eines Restaurants – weiterzuführen. Noch am Vormittag des 11. März stellte die Bezirkshauptmannschaft per Mail klar: „Es ist nicht relevant, welche zusätzlichen Konzessionen das Lokal besitzt. Es sind daher die betreffenden Lokale spätestens mit 16:00Uhr zu schließen.“ Bei einer Kontrolle um 16 Uhr stellten Ischgler Polizeibeamte fest, dass sich mehrere Lokale dennoch nicht an diese Vorgabenhielten – das geht aus einem Aktenvermerkhervor: Demnach hatte etwa die „Schatzi-Bar“ ihren Ausschank kurzerhand ins Freie verlegt. Die Eigentümerin, die im Aufsichtsrat des Tourismusverbandes sitzt, erklärte den Beamten, dass „der Betrieb als Restaurant geführt werde“ und „kein Apre Schi veranstaltet werde“. Die Beamten schritten nicht ein. Sie berichteten der BH Landeck bloß, dass eine „zwangsweise Durchsetzung der Verordnung aufgrund des wetterbedingt starken Personenverkehrs und dem Umstand, dass damit lediglich eine Verlagerung der Menschenansammlungen erzielt würde, nicht verhältnismäßig erschien“. Die Polizisten regten bei der Bezirkshauptmannschaft an, dass den Betreibern am folgenden Tag „nochmals die Einhaltung der Verordnung nahelegt wird“.

Wurden die Betreiber der Après-Ski-Bars sanktioniert? Das wollte das Land Tirol auf mehrmalige profil-Nachfrage nicht beantworten. Unbeantwortet blieb auch die Frage, warum die Bezirkshauptmannschaft (BH) Landeck nur die Partylokale in Ischgl dichtmachte – nicht aber in St. Anton. Denn ein Protokoll aus der BH fördert Brisantes zutage: Am selben Tag, als die Après-Ski-Bars in Ischgl behördlich gesperrt wurden, war der BH bereits bekannt, dass der Betreiber eines Lokals in St. Anton als positiver Coronafall auf der Intensivstation lag. In St. Anton aber durfte zunächst noch weiter gefeiert werden – wenn auch mit Einschränkungen: Es galt die bundesweite Regelung, wonach sich im Innenbereich eines Lokals maximal 100 Personenaufhalten dürfen, im Außenbereich 500. Doch auch dort musste die Polizei einschreiten, weil im und vor dem Lokal „Basecamp“ „mehrere 100 Personen angetroffen wurden“, wie die Polizeistreife Anton1 protokollierte. Ein DJ postete auf Instagram ein Video vom 11. März, das hunderte Gäste auf der „Basecamp“-Terrasse zeigt. Er betitelte den Clip mit den vielsagenden Worten: „Between Party & Worries“. Am 12. März ordnete die BH Landeckschließlich an, dem „Basecamp“ „die Musik abzudrehen sowie den Ausschankeinzustellen“. Die Betreiber beteuern gegenüber profil, sie hätten sich an alle Vorgabengehalten, hätten alles mit den Behördenabgesprochen und wären auch nicht gestraft worden. Am darauffolgenden Tag hätten sie freiwillig ihren Betrieb eingestellt. Das war am 13. März. An jenem Tag, an dem um 14 Uhr die Quarantäne über das Paznauntal und St. Anton verhängt wurde.

 

Was Sie in den Kapiteln zwei, drei und vier erwartet

Kapitel 2: Ein deutscher Ischgl-Urlauber, der zuhause positiv getestet wurde, warnte sein Hotel und schickte seine Handynummer mit. Doch die Behörden riefen ihn bis heute nicht an, um ihn nach seinen Kontaktpersonen zu fragen. Kapitel 3: Ein Söldener Hotelier warf einen Corona-positiven Gast auf die Straße. Kapitel 4: Ischgler Hotels wurden deutlich früher gewarnt, als bisher bekannt.

 

Die Kapitel zwei bis vier können Sie in der aktuellen profil-Ausgabe lesen – gedruckt oder via e-Paper. Das e-Paper geht am Samstag um 17 Uhr online.