Ischgler Ausreise-Chaos: Bezirkshauptmann macht Kanzler mitverantwortlich

Erste Details des Rohrer-Kommissionsberichts: Der Leiter der für Ischgl zuständigen Bezirksbehörde sagte aus, er wurde von der Quarantäne-Ankündigung des Kanzlers überrumpelt. Das Kanzleramt betont, sich mit dem Land abgestimmt zu haben.

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Es waren Bilder, die zur Causa Ischgl nachhaltig in Erinnerung bleiben: Tausende Touristen verließen am Nachmittag des 13. März überfallsartig die Skiregion. Etliche reisten unkontrolliert ab, zum Teil legten die Gäste Zwischenstopps in Hotels in Innsbruck ein. Die Heimatländer wurden über die Rückkehr der Urlauber aus dem Hochrisikogebiet nicht informiert – die das Virus unbemerkt durch ganz Europa trugen.

Wer war für dieses Ausreise-Chaos verantwortlich? Eine erste Antwort auf diese Frage liefert der Bericht der Expertenkommission, die von der Tiroler Landesregierung eingesetzte wurde – unter dem Vorsitz des früheren Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes, Ronald Rohrer. profil und ZIB2 konnten als erste Medien einen Blick in die Befragungsprotokolle werfen. Darin behaupten Behördenvertreter, dass die Bundesregierung zum Chaos im Tiroler Oberland beitrug.

Das kam so: Gegen 14 Uhr traten am 13. März  der Kanzler, Innenminister Karl Nehammer und Gesundheitsminister Rudolf Anschober vor die Fernsehkameras. „Wir haben die Situation, dass es insbesondere in einigen Gebieten von Tirol zu einer sehr, sehr rasanten Ausbreitung kommt (…) Es werden daher das Paznauntal und Sankt Anton am Arlberg unter Quarantäne gestellt. Diese Gebiete werden ab sofort isoliert“, sagte Kurz. Die Kunde der sofortigen Quarantäne verbreitete sich auch unter den Touristen – die eilig ihre Koffer packten und das Weite suchten.

Laut den profil und ZIB2 vorliegenden Protokollen der Ischgl-Kommission wurden auch die Entscheidungsträger vor Ort von der „sofortigen“ Quarantäne überrumpelt.

Und warum hat es dann so ein Chaos gegeben?“

„Haben Sie an eine Quarantäne gedacht, Sie und ihr Stab“, fragt Kommissionsvorsitzender Rohrer den für Ischgl zuständigen Bezirkshauptmann Markus Maaß in seiner Befragung. „Wir haben an Leerfahren gedacht (…) So normaler Urlauberwechsel ist ja normal samstags. Und wir wollten, dass am Samstag erstens keine neuen Gäste mehr kommen und die alten Gäste ausreisen.“ Und er sagt weiter aus: „Die Vorbereitungen für die Abreise waren insofern fertig, am freitagsabends so geplant. Sodass die Verordnung am Samstag erlassen werden kann, dass sie ordnungsgemäß kundgemacht werden kann und dann sozusagen das Ausreisemanagement beginnt.“ Rohrer hackt nach: „Und warum hat es dann so ein Chaos gegeben?“

Maaß antwortet, dass die Bezirkshauptmannschaft am Freitag begonnen habe, sich auf das Ausreisemanagement vorzubereiten. Am Abend wären die Checkpoints dann einsatzbereit gewesen. Doch: „Dann ist eine Pressemitteilung des Kanzlers gekommen um 14 Uhr, wo er also verkündet hat, das Paznauntal ist gesperrt ab 14 Uhr (…) So, und dann haben viele Urlauber die Gelegenheit beim Schopf gepackt, haben zusammengepackt und sind gefahren. Es war ja kein Verbot, dass sie nicht fahren dürfen. Das war nirgendwo rechtlich fundiert, dass sie nicht fahren dürfen. Diese Personen sind gefahren.“

Der Kommissions-Vorsitzende Rohrer gab sich ob dieser Aussagen sichtlich verwundert: „Jetzt die Frage bei allem Respekt vor dem Herrn Bundeskanzler, hat der die Zuständigkeit?“ Darauf Maaß lapidar: „Nein, ich denke nicht.“ Und der Vorsitzende weiter: „Hat es eine Verordnung oder eine Anweisung vom Gesundheitsministerium (…) gegeben?“ Maaß verneint, woraufhin Vorsitzender Rohrer spürbar irritiert bemerkt: „Nichts? Also das einzige was es gegeben hat war eine Presseerklärung am Freitag um 14:00.“

Maaß, formal für die Quarantäne-Verordnung zuständig, verneinte in seiner Befragung ausdrücklich, mit einer Isolierung des Tals an jenem 13. März (Freitag) gerechnet zu haben. Seitens der Bezirksbehörde habe man den Tag eigentlich noch für die logistische Vorbereitung und die Feinjustierung der Verordnung nutzen wollen. Ab 14 Uhr bezogen Polizisten dann zwar die Checkpoints – doch da gab es noch keine Verordnung und keine Gästeausreiseblätter. Diese konnten dann erst ab 16:20 Uhr kontrolliert werden. Formell kundgemacht wurde die Verordnung über die Ausreise von Maaß erst um 19:20 Uhr.

Auch andere Involvierte sagten, sie seien von Kurz’ Ankündigung überrascht worden: „Der Plan war der, dass man (…) das am Samstag in der Früh macht. Es hat halt dann, soweit wir das mitbekommen haben, eine Konferenz vom Bundeskanzler gegeben um 14:00“, so der stellvertretende Landecker Bezirkshauptmann Sigmund Geiger. „Das war sozusagen der Punkt für uns, wo wir gesagt haben, jetzt hat der Bundeskanzler das verkündet, jetzt werden wir natürlich schwer sagen können, dass wir das erst am nächsten Tag in der Früh machen.“

"Quarantäne war bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen"

War niemand über die Quarantäne vorinformiert? Das Land Tirol gegenüber profil und ZIB2: „Bis zum 13. März am frühen Vormittag sah die Planung des Landeseinsatzstabes und der Bezirkshauptmannschaft vor, über das Wochenende eine geordnete Abreise sicherzustellen. Eine Quarantäne war bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen.“ Am späten Vormittag hätten sich Land und Bund dann auf die Quarantäne verständigt, erklärten Bundeskanzleramt, das Land Tirol und das Gesundheitsministerium übereinstimmend.

Doch war auch vereinbart, die „sofortige“ Quarantäne um 14:00 Uhr zu verkünden? Das Kanzleramt meint dazu auf Anfrage: „Im Sinne einer klaren Kommunikation in einer Krisensituation und im Wissen, dass eine ‚scheibchenweise‘ Kommunikation zum völligen Chaos führen würde, wurde damals vereinbart, dass die Bekanntgabe der Maßnahme in besagter Pressekonferenz in Wien erfolgt.“ 

Ob der Bezirkshauptmann von Landeck über diese „Vereinbarung“ ebenfalls im Bilde war, bleibt offen. Zumindest aus seiner Befragung vor der Rohrer-Kommission ergibt sich Gegenteiliges: „Am Freitag haben wir dann gehört von der Landespolizei, dass sie zu wenig Personal haben, dass man Polizeischüler von Innsbruck sozusagen angefordert hat für die Besetzung dieser Check-Points (…) sodass wir bis Freitagnachmittag/abends alles vor Ort gehabt hätten um die Check-Points ordnungsgemäß einzurichten.“ Dann aber sei die Pressemitteilung des Bundeskanzlers dazwischengekommen.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.