Interview

"Viele gutwillige Menschen sind hereingefallen auf die Strategie des politischen Islam"

Mouhanad Khorchide, Islamwissenschafter, über Morddrohungen, Muslimbrüder und das Dilemma, zwischen rechten Rassisten und linken Schönrednern zu sitzen.

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Die Empörung über die Islamlandkarte reißt nicht ab. Die Muslimische Jugend erwägt eine Klage dagegen; der Sonderbeauftragte des Europarats, Daniel Höltgen, empfiehlt, sie offline zu stellen; die Universität Wien distanziert sich, auch die Spitzenrepräsentanten der evangelischen Kirche in Österreich sehen die österreichischen Muslime und ihre Vereine und Moscheengemeinden unter Generalverdacht gestellt. Tatsächlich gab es die Islamkarte schon vor zehn Jahren. In den vergangenen Monaten wurde sie, finanziert von der „Dokumentationsstelle des Politischen Islam“, auf den neuesten Stand gebracht und mit den Worten, sie sei ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des politischen Islam der Öffentlichkeit vorgestellt. Das war ihr Unglück. Denn in der sogennanten Landkarte sind jene Moscheen und Kulturvereine, die von Experten mit guten Gründen zum politischen Islam gezählt werden, in der absoluten Minderheit. Wer sie zu Rate zieht, wird das sehen; wer das nicht macht, wird unter Umständen glauben, all die Treffer seien gefährliche Radikalisierungsnester.

Die Empörung über die Islamlandkarte überdeckt ein anderes, größeres Problem: dass jene liberalen Muslime, die sich seit Jahren bemühen, auf die Ideologie des politischen Islam aufmerksam zu machen, ihre Unterwanderung von Moscheenvereinen durch großzügige Spenden aus arabischen Ländern oder der Türkei für gefährlich erachten, weitgehend allein gelassen werden. Liberale Muslime wie Mouhanad Khorchide und Edna Aslan werden zerrieben zwischen rechten Islamhetzern und linken Identitätspolitikern. Und sie bekommen Morddrohungen. Nicht erst, seitdem die Debatte über die falsch geframte Islamlandkarte aufgeflammt ist. Khorchide lebt seit Jahren mit Polizeischutz, Aslan muss jetzt Polizeischutz bekommen.

Untenstehend lesen Sie die das Interview mit Mouhanad Khorchide, das in profil 48/2020 vom 22.11.2020 erschienen ist.

profil: In jüngster Zeit bekommen Sie wieder Morddrohungen und Shitstorms. Sehen Sie einen Zusammenhang mit den Terrorattentaten in Paris, Nizza und Wien-liegt da etwas in der Luft, was besorgt machen muss?

Khorchide: Die Ressentiments gegen den Westen sind zuletzt lauter geworden und präsenter. Unter Vertretern des politischen Islam gibt es einen Diskurs, in dem antiwestliche Hetze betrieben wird. Schauen wir nach Frankreich: Zum Jahrestag des Terroranschlags auf die Redaktion von Charlie-Hebdo bespricht ein Lehrer in einer Klasse die Mohammed-Karikaturen und wird deshalb enthauptet, und man sieht sich zu Recht den Täter an, fragt, woher er kam, wie wuchs er auf, was ist in seinem Leben schiefgelaufen? Aber eine Sache vergisst man: Es wäre nie zu diesem Attentat gekommen, wenn nicht der Vater einer Schülerin in den sozialen Netzwerken gegen den Lehrer gehetzt hätte. Diese Hetze ist Teil des Problems mit dem politischen Islam, die antiwestliche Ideologie, die hier dahintersteckt. Seit geraumer Zeit beschäftigen wir uns nur mit dem letzten Glied einer Kette, aber nicht mit dem Anfang dieser Kette-der ideologischen Unterfütterung, mit der Menschen radikalisiert werden. Österreich ist jetzt das erste europäische Land, das sich dieses Problems annimmt.


profil: Meinen Sie die Razzia gegen mutmaßliche Angehörige der Muslimbruderschaft oder die Dokumentationsstelle Politischer Islam?

Khorchide: Von der Razzia weiß ich nicht mehr als das, was in den Zeitungen steht. Ich finde es gut, dass der Verfassungsschutz das jetzt auf dem Radar hat. Ich selbst werde wegen der Dokumentationsstelle angefeindet. Seit im Sommer öffentlich bekannt wurde, dass ich dort im wissenschaftlichen Beirat sitze, nehmen die Drohungen stark zu. Vor allem nach Statements von dem Politologen Farid Hafez in türkischen und arabischen Medien, in denen er die Fakten so verzerrte, dass eine große Unwahrheit herauskam. Er sagte, ich würde "die Moscheen in Österreich bedingungslos schließen wollen", und zwar "im Sinne einer rechtsradikalen Regierung". Wissen Sie, wie viele Menschen in der arabischen Welt so desinformiert wurden? Was das auslöste? Al-Jazeera berichtete. Meine Eltern, die im Libanon leben, Verwandte in anderen arabischen Ländern, wurden darauf angesprochen, belästigt. Der Khorchide will alle Moscheen schließen! Er kooperiert mit Rechtsradikalen gegen Muslime! So wurde es transportiert. Das ist Rufmord, der einmal reale Auswirkungen haben kann.


profil: Hafez ist österreichischer Politologe, er kennt die Debatten. Vielleicht war es ein sprachliches Missverständnis?

Khorchide: Hafez weiß, dass ich keine Moscheen schließen will. In der Debatte über das Islamgesetz 2015 sagte ich einmal in einem Interview: Wenn das Gesetz es vorsieht, dass eine Moschee geschlossen werden muss, weil sie die gesetzlichen Grundlagen nicht erfüllt, etwa gegen die Auslandsfinanzierung verstößt, dann finde ich das richtig.

profil: Sie werden - wie auch der Islamwissenschafter Ednan Aslan - seit Jahren angefeindet, oft von Leuten, die Verfassungsschützer und Experten in die geistige Nähe der Muslimbruderschaft rücken. Halten Sie die Muslimbruderschaft für gefährlich?


Khorchide: Was soll man sagen über eine Bewegung, von der niemand zugibt, dass er dabei ist? Es gehört zur Strategie der Muslimbruderschaft in Europa, sich nicht dazu zu bekennen, möglichst unauffällig aufzutreten, breite Bündnisse zu schmieden, sich angeblich für Multikulturalität und gegen Gewalt einzusetzen. Sie legen großen Wert auf eigene Bildungsinstitutionen, Kindergärten, Schulen, private Universitätsinstitute mit klingenden Namen, die sich nach Frieden, Internationalismus, Brückenbauen und interreligiösem Dialog anhören. Das ist Fassade. Nach innen wird eine Ideologie weitergegeben.

profil: Eine Ideologie - wie sie auch Salafisten vertreten?

Khorchide: Salafisten treten offen auf, nennen sich selbst zum Teil "Krieger Gottes". Das ist der Unterschied. Beide zielen auf eine islamische Gesellschaftsordnung nach Schariarecht, einen islamischen Staat. Für liberale Muslime ist es schwierig, in diesen Debatten nicht zerrieben, vor allem aber, gehört zu werden. Die Ansicht, man solle die Muslimbrüder in Schutz nehmen, weil sonst alle Muslime in Verdacht geraten, ist weit verbreitet. Viele gutwillige und engagierte Menschen sind hereingefallen auf die Strategie des politischen Islam. Sie stellen sich vor diese Vertreter, weil Muslime als solche ja wirklich diskriminiert und von rechten Parteien pauschal diffamiert werden. Anhänger des politischen Islam sind allerdings die muslimischen Rechten, das sind unsere Identitären, die absurderweise gerade bei linken Nichtmuslimen Unterstützung finden.


profil: Wann haben die Versäumnisse begonnen?

Khorchide: Österreichische oder deutsche Politiker waren nie wirklich sensibilisiert für den gewaltlosen politischen Islam. Sie sahen nur das Problem des Dschihadismus. Wenn von einer Gefahr gesprochen wurde, hat man immer die mit der Waffe in der Hand gemeint. Die ideologischen Grundlagen, mit denen sie versuchten, die Gesellschaft zu unterwandern, hatte keiner wirklich auf dem Schirm. Die Ideologie des politischen Islam ist gefährlich, weil er die Gesellschaft spaltet und im Westen ein Feindbild sieht.

profil: Finden Sie in europäischen Institutionen ein offenes Ohr?

Khorchide: Kaum. Die Vertreter des politischen Islam und ihre Sympathisanten haben es geschafft, mit dem Verweis auf die Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft gerade von linken Politikern geschützt zu werden. Im intellektuellen Lager wirkt der Opfer-Diskurs. Vielleicht sind jetzt manche Politiker überrascht über die Namen, die im Zusammenhang mit der Razzia bekannt wurden. Aber ich bin nicht sehr optimistisch, dass wir in den nächsten Jahren ein Bewusstsein dafür schaffen, wie gefährlich der politische Islam ist. Politiker sind alarmiert, wenn ein Attentat geschieht. Sie verstehen nicht, dass das Problem der Gewalt nicht mit einer Waffe beginnt, sondern im Kopf entsteht, mit einer Ideologie. Aber die jetzige österreichische Regierung macht mich zuversichtlich.


profil: Sie sehen sich also in einem Hexenkessel zwischen rechten Rassisten und linken Schönrednern?

Khorchide: Ja. Das ist fürchterlich. Wenn alle schweigen und keiner die Probleme benennt, dann macht man erst richtig den Raum auf für die Rechtsradikalen. Dann überlassen wir ihnen das Terrain, und da wird dann gehetzt. Das gehört übrigens auch zur Strategie des politischen Islam: polarisieren.

profil: Sehen Sie einen Ausweg?

Khorchide: Ich glaube, am besten geht es, wenn Muslime mit mehr Selbstbewusstsein die eigenen Probleme ansprechen und Selbstkritik ausüben. Wir müssen das selbst thematisieren, sonst sind in dieser Frage überall die Rechtsextremen im Vormarsch. Man muss das machen, auch wenn es viel Nerven kostet.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik