Nach gescheiterten FPÖ-ÖVP-Verhandlungen: Kickl fordert Neuwahlen
Schluss, aus, vorbei: Am Mittwoch hat FPÖ-Chef Herbert Kickl das offizielle Scheitern der Regierungsverhandlungen nach 37 Tagen verkündet. Der freiheitliche Parteiobmann wird doch nicht Bundeskanzler, zumindest vorerst nicht.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Kickl schob die Verantwortung für das Ende der Regierungsverhandlungen auf die ÖVP. Trotz mehrfachen Entgegenkommens sei die ÖVP nicht zu Kompromissen bereit gewesen. Dass bereits vor einer inhaltlichen Einigung über Ministerposten gefeilscht wurde, sei laut Kickl der Wunsch der Volkspartei gewesen. Eine Verhandlung mit der SPÖ mache aus Sicht von Kickl keinen Sinn. Deshalb habe er den Regierungsbildungsauftrag zurückgelegt.
Wenig überraschend reagierte die ÖVP mit einer diametral anderen Erzählung: Parteigeneral Alexander Pröll verwies in einer Aussendung darauf, dass Kickl in fünf Wochen insgesamt nur sieben Stunden am Verhandlungstisch gesessen sei. Pröll: „Herbert Kickl war aber nicht bereit, Kompromisse und eine Partnerschaft auf Augenhöhe einzugehen. Er hat seinen Regierungsbildungsauftrag nicht erfüllt und damit die Chance für eine Mitte-Rechts-Regierung vergeben. Stattdessen hat er auf all seinen Forderungen beharrt, Allmachtsfantasien entwickelt und die Gespräche beendet. Es bleibt die Frage, ob sich Kickl der Verantwortung überhaupt je stellen wollte.“
Bizarre Verhandlungen
Dem Scheitern war ein bizarres Pingpong-Spiel vorausgegangen, in dem sich FPÖ und ÖVP öffentlich Angebote für die Ressortverteilung unterbreitet hatten. Beiden Seiten musste klar gewesen sein, dass diese Angebote für das Gegenüber inakzetabel waren. Es ging offenbar nur mehr darum, in der Öffentlichkeit den Anschein von Kompromissbereitschaft zu erwecken.
Größter Streitpunkt: Beide Parteien beanspruchten das Innenministerium für sich. Die ÖVP zeigte sich bereit, die Asylagenden aus dem Innenministerium auszugliedern und sie der FPÖ zu überlassen. Kickl pochte jedoch darauf, sowohl das Innen- als auch das Finanzministerium mit FPÖ-Ministern zu besetzen.
Hat die FPÖ zu hoch gepokert?
Wie groß die inhaltlichen Differenzen tatsächlich waren, zeigen geleakte Protokolle der Verhandlungen, über die profil ausführlich berichtete. Demnach war die ÖVP bereit, der FPÖ in Sachen Null-Asylquote und ORF entgegenzukommen. Unüberwindbare Hürden blieben jedoch das Raketenabwehrsystem Sky-Shield und die Anerkennung von Europäischen Höchstgerichten, die von der FPÖ infrage gestellt wurden.
Das Scheitern der Verhandlungen war absehbar: Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer kritisierte am Dienstag den Verhandlungspartner öffentlich: „Wer nicht konsensbereit ist und sich nur im Machtrausch befindet, ist möglicherweise nicht regierungsfähig.“ Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) wurde noch deutlicher. Er warf Kickl vor, sich in seinem „Machtrausch“ zu verlieren, anstatt tragfähige Kompromisse zu schließen. „Wenn er auf diesen Standpunkten beharrt, ist mit ihm kein Staat zu machen“, betonte Wallner in einer Aussendung.
Während aus der ÖVP zunehmend Kritik an Kickl laut wurde, rückten führende blaue Landeschefs zur Unterstützung ihres Parteichefs aus. Oberösterreichs Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner bezeichnete die Vorschläge der FPÖ als „Ausdruck einer bürgerlichen Zusammenarbeit“. Seine Partei sei bereit gewesen, „mit dieser ehrlichen Aufteilung der Ressorts“ Verantwortung für das Land zu übernehmen. Auch Burgenlands FPÖ-Klubchef Norbert Hofer stellte sich hinter Kickl und lobte dessen „Weitsicht“ in den Verhandlungen mit der ÖVP. Intern dürfte aber auch bei den Blauen Kritik an Kickls Kompromiss-Unwillen laut geworden sein.
In einer Pressekonferenz sagte ÖVP-Chef Christian Stocker, dass man der FPÖ als „Kompromiss“, das Migrations- und Asylministerium angeboten hätte. Aus dem Ausland sind zahlreiche Warnungen darüber, dass man Österreich in Auslands-, Sicherheits- und Geheimdienstfragen abschotten würde, sollte die FPÖ das Innenministerium bekommen, gekommen. „Sicherheit“ wäre, so Stocker, mit einem blauen Innenministerium nicht gewährleistet.
In einem Livestream teilte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker mit, dass die FPÖ keine „Scheinverhandlungen“ mehr mitmachen könne. Herbert Kickl soll heute um 20.15 Uhr noch eine ausführlichere Pressekonferenz geben, bei der er auch Fragen von Journalisten beantwortet.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen skizzierte in einer Ansprache am frühen Abend die vier Varianten, wie es nun weitergehen kann:
- Baldige Neuwahlen bis zu denen die derzeitige Interims-Regierung an der Macht bleibt
- Eine vom Nationalrat gestützte Minderheitsregierung
- Eine Expertenregierung, die im Nationalrat von ausreichend vielen Abgeordneten unterstützt wird
- Doch noch eine Regierungsmehrheit
Welche Option ihm am liebsten wäre, wollte das Staatsoberhaupt nicht verraten. In den nächsten Tagen will Van der Bellen mit Politikerinnen und Politikern ausloten, welche Variante die besten Chancen auf eine stabile Regierung hat.
Daneben setzte der Bundespräsident aber auch einige mahnende Worte an die Parteien: Wer glaube, dass er für alle spreche, dem fehle die Demut, sagte der Bundespräsident: „Mir kommt vor, dass das bei allen bisherigen Verhandlungen der Fall war.“ Es habe sich offenbar die Meinung eingeschlichen, dass Kompromisse „etwas für Verlierer“ seien.
Dabei sei Kompromiss nur ein anderes Wort für gemeinsame Lösung, so Van der Bellen, und in Österreich „ein Schatz, eine Art Kulturgut“: Verhandlungen seien kein Wettkampf, in dem es nur Gewinner und Verlierer gebe, ohne Kompromiss, werde keine Lösung geben. Er lege es daher allen Parteien „sehr ans Herz, sich aufs Staatsganze zu konzentrieren und auf nichts sonst“.
An Herbert Kickl waren diese Worte wohl nicht mehr gerichtet. Der FPÖ-Obmann ist aus dem Spiel. Mittwochabend fand er in seinen bevorzugten Modus zurück: Angriff. In einem Statement in der Parteizentrale hinter dem Parlament machte er Machtansprüche der ÖVP für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. Diese habe Außen-, Innen-, Finanzministerium und dazu die EU-Agenden verlangt und alle Kompromissangebote der FPÖ ausgeschlagen. Er hätte Kanzler werden können, allerdings um den Preis, „seine Wähler zu verraten“. Schließlich hätte er gestern, im Abstimmung mit dem Parteipräsidium und den Ländern, die Entscheidung getroffen, den Regierungsbildungsauftrag zurückzugeben. Er wollte die Prinzipien der FPÖ verraten, „ansonsten würde ich nicht Herbert Kickl heißen, sondern Alfred Gusenbauer“.
Um das jetzige „Patt" aufzulösen, seien Neuwahlen notwendig, so Kickl. Und über weite Teile hörte sich sein Statement bereits wie eine Wahlkampfrede an: für mehr direkte Demokratie, gegen „eine automatisierte Unterwerfung unter EU-Institutionen“; für einen „österreichischen Patriotismus", gegen weiteres „Schulden machen“.
Seine 45-minütigen Ausführungen schloss Kickl mit einem Reim aus der TV-Zeichentrickserie „Der rosarote Panther“ aus seinen Kindertagen: „Heute ist nicht alle Tage, ich komm´ wieder, keine Frage.“