Johanna Dohnal im Jahr 1979

Johanna Dohnal: Die Rückkehr als Ikone

Nach dem erzwungenen Abgang der legendären Frauenministerin Johanna Dohnal erschöpfte sich die Frauenpolitik mehr und mehr in Maßnahmen für Familien und die MeToo-Bewegung, findet Christa Zöchling.

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Wie und in welchen Zusammenhängen werden Frauen als Frauen diskriminiert? Sind sie Unterdrückte über Klassenschranken hinweg?

Johanna Dohnal (1939–2010) hat sich solchen Fragen ein Leben lang gestellt. Sie sind nicht so einfach zu beantworten, wie es scheint. Eigene Erfahrung, Milieu und Charakter, weltanschaulicher Standpunkt und soziale Lage spielen eine Rolle. Auch wie man sich arrangiert mit dem gesellschaftlich erwünschten Frauenbild. Dohnal war Sozialdemokratin und ihre Art des Feminismus nicht jene schicke Variante, die in erster Linie an die Karrierefrau denkt. Frausein allein ist kein Programm, sagte Dohnal.

Aufgewachsen war sie mitten im Krieg, unehelich, in proletarischen Verhältnissen, um sich herum Frauen, die sich am eigenen Schopf aus der Misere ziehen; eine Lehre als Industriekauffrau, früh verheiratet, Gemeindebau, mit 17 Jahren in der SPÖ, mit 20 das erste Mal schwanger. Die damaligen Bedingungen für ein Frauenleben muten heute mittelalterlich an. Rechtlich gesehen war die verheiratete Frau ein Nichts. Vergewaltigung in der Ehe? Das Delikt kennt man nicht. Der Mann ist Familienoberhaupt, und wenn sie berufstätig sein will, braucht sie seine schriftliche Einwilligung. Auch für Reisepass oder Schulanmeldung der Kinder oder die Eröffnung eines Bankkontos.

Befreiung aus der Unmündigkeit

Erst durch die Reform des Familienrechts 1975 unter der SPÖ-Alleinregierung von Bruno Kreisky wurden Frauen aus ihrer Unmündigkeit befreit. Die Fristenlösung wurde nach langem Hin und Her beschlossen. Eine neue Frauenbewegung war dafür auf die Straße gegangen, hatte „Mein Bauch gehört mir“ und andere für damalige Verhältnisse unerhörte Parolen skandiert und ordentlich Dampf gemacht. Dohnal hatte diesen Rückenwind genützt und gelernt, sich nicht allein auf ihre Genossen und Genossinnen zu verlassen. Als Wiener SPÖ-Frauensekretärin organisierte sie Selbstbewusstseins-Seminare für Hausfrauen und etablierte eine kleine Parallelstruktur zum Sektionsleben der SPÖ.

Kreisky bestärkte sie in ihrer Politik über enge Parteigrenzen hinaus. „Bei der Todesstrafe und der Emanzipation der Frau darf man die Basis nicht fragen. Denn die Basis ist primär reaktionär“, sagte Kreisky im Jahr 1979, als er auf einen Schlag vier Staatssekretärinnen in sein Kabinett holte. Ihm sah man es noch nach, die Politikerinnen wurden als „Kreiskys Harem“ verhöhnt.

Dohnal kannte das Leben und machte sich keine Illusionen. Sie wusste, auch wenn es Ende der 1970er-Jahre schon gesellschaftlicher Konsens war, dass jedermann gegen Gewalt gegen Frauen auftrat, war das ein Bekenntnis „an der Oberfläche“, denn patriarchales Verhalten wurzelt tief, und „Frauen werden in Abhängigkeiten gehalten durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen“.

Und diese Rahmenbedingungen galt es zu bekämpfen. Dafür sprach sie mit jedem und jeder, scheute keine Bündnisse, um einen kleinen Schritt vorwärts zu kommen. Mit Unterstützung (auch) der reaktionären Abtreibungsgegner der „Aktion Leben“ setzte sie eine Erhöhung des Karenzgeldes für Alleinerzieherinnen durch, mit engagierten Feministinnen die Einrichtung von Frauenhäusern. Als Staatssekretärin trommelte sie Minister verschiedener Ressorts, Polizisten und Sozialarbeiterinnen zusammen, um darüber zu reden, was der Staat tun könne, um Frauen vor Gewalt, das heißt: auch vor familiärer Gewalt zu schützen. Allein die Fragestellung war ein Skandal.

Kampf um den kleinsten Kompromiss

Sie fuhr in die Provinz und befragte Bäuerinnen, wie sich ihr Frauenleben so abspielt, was ihnen helfen würde. In ihre wöchentliche Sprechstunde im Bundeskanzleramt kamen immer mehr Frauen, auch von weit her. Sie hörte zu, argumentierte nie moralisch, dachte radikal, kannte die feministische Literatur ihrer Zeit und kämpfte um den kleinsten Kompromiss, wenn am Ende etwas stand, was Frauen eine Spur unabhängiger machte.

Zählt man die Gesetzesinitiativen auf, die auf Dohnals Konto gingen, wird einem schwindlig: Bäuerinnen dürfen in Mutterschutz gehen, Opfer von Sexualdelikten vor weiblichen Kriminalbeamten aussagen, unverheiratete Mütter selbst Vormund für ihre Kinder sein, und sexuelle Belästigung kann vor die Gleichbehandlungsanwaltschaft gebracht werden. Das alles geschah in den Jahren als Staatsekretärin.

1990 wurde sie Ministerin – mit bescheidenen drei Abteilungen im Bundeskanzleramt. Dohnal hatte Ärger mit SPÖ-Gewerkschaftern, denen ein männliches Erwerbsleben als Norm vorschwebt, mit SPÖ-Sozialminister Josef Hesoun, der sie öffentlich als „Donald“ ansprach. Dohnal hielt nichts von einer zusätzlichen Urlaubswoche, sondern lobbyierte für eine tägliche Arbeitszeitverkürzung, weil vom Frauenstandpunkt aus Beruf und Familie mit kürzeren Arbeitstagen leichter zu vereinbaren sind. Aus demselben Grund kämpfte sie für Kindergärten, Ganztagsschulen. Immer wieder machte sie die unbezahlte Arbeit, die Frauen für die Gesellschaft leisten zum Thema, die zweite Schicht daheim. Die dritte Schicht – die Schönheitsarbeit – verweigerte Dohnal allein durch ihr Auftreten. Sie wurde als Mannweib verhöhnt. Ihr Leben mit ihrer langjährigen Partnerin Annemarie Aufreiter beflügelte den Herrenwitz.

Als sie in der SPÖ eine (zunächst nur 25-prozentige) Frauenquote durchsetzte, wurde sie am Parteitag mit massenhaften Streichungen abgestraft.

"Ich hätte damals gehen sollen"

1994 stand das erhöhte Karenzgeld für Alleinerzieherinnen zur Disposition. Es halte Frauen vom Heiraten ab, hieß es. Nicht nur in den Reihen der ÖVP, auch in der Sozialdemokratie wurde so geredet. Es wurde schließlich gekürzt, der Zugang erschwert. Dohnal drohte mit einem Veto im Ministerrat, stimmte am Ende doch zu. Das sei ein Fehler gewesen, sagt Dohnal im Nachhinein. „Ich hätte damals gehen sollen.“

Die 1990er-Jahre sind Krisenjahre für die Frauenbewegung. In der Sozialdemokratie sind neoliberale Vorstellungen – Stichwort: Dritter Weg – en vogue. Jörg Haiders Rechtspopulismus ist im Vormarsch. Die rechtliche Gleichstellung von Frauen ist gesetzlich verankert. Was gibt es noch zu tun?

Der Verfassungsgerichtshof hob das frühere Pensionsantrittsalter von Frauen als gleichheitswidrig auf, und Dohnal nahm dies zum Anlass, Dutzende neue Gesetze auf den Weg zu bringen – 55 Maßnahmen zugunsten von Frauen wurden 70 Stunden lang verhandelt. Dohnals Stehsatz: Solange die Benachteiligung von Frauen in ihrer Erwerbsbiografie und in der Pension nicht repariert werden, werde sie einem späteren Pensionsantrittsalter nicht zustimmen.

Das Gleichbehandlungspaket, das Dohnal über Parteigrenzen hinweg – ausgenommen die FPÖ – hinweg zustande brachte, war ein Meilenstein (Anrechnung von Zeiten der Kindererziehung auf die Pension; gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, Benachteiligungsverbot für Teilzeitarbeit und sozialrechtliche Gleichstellung für geringfügige Beschäftigte). Sie verhandelte lange Übergangsfristen für die Angleichung des Frauenpensionsalters. Und die bittere Pille – dass Frauen mit Verweis darauf, dass sie ohnehin mit 60 Jahren in Pension gehen können, aus dem Job gedrängt werden – wird erst später klar und betrifft eher die Akademikerin und nicht die ausgelaugte Hilfsarbeiterin.

Was würde Dohnal heute sagen?

„Sexismus tötet“ sagte Dohnal bei der UN-Menschenrechtskonferenz 1994 in Wien und machte darauf aufmerksam, dass Frauen in vielen Ländern der Welt gefoltert und erniedrigt werden, weil sie Frauen sind, und sie forderte, Vergewaltigung als Asylgrund anzuerkennen.

Was würde Dohnal heute sagen zu Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan, Folterlagern in Libyen und den Zuständen auf der griechischen Insel Lesbos? Ich denke, sie wäre schon dort gewesen und hätte die Welt wachgerüttelt. Dass Frauen aus islamischen Ländern hierzulande oft in eine Parallelwelt verbannt leben, hätte sie in eine Kampagne gegen patriarchale Familienstrukturen gemünzt, um Frauen und Mädchen unabhängiger zu machen. Dohnal wäre auch nicht glücklich mit ideologisierten Debatten, in denen ein politisches Lager dem anderen keinen Fußbreit über den Weg traut. Dohnal hätte nicht tatenlos zugesehen, wie immer mehr Frauen (jede zweite) in die Teilzeitfalle tappen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu kriegen – die drohende Altersarmut vor Augen. Dohnal hätte auch nicht den Gender Pay Gap rituell beschworen, sondern über die Ursachen der Kluft zwischen Männer- und Frauenlöhnen geredet, über die Schandlöhne im Sozial-, Pflege und Dienstleistungsbereich.

In den 1990er-Jahren schien die Dohnal’sche Frauenpolitik aus der Mode gekommen. Sie begegnete dem damaligen Zeitgeist mit Sarkasmus und Schlagfertigkeit, oft ungeduldig, manchmal genervt. In der Dokumentation „Die Dohnal“ von Sabine Derflinger, die nächste Woche in den Kinos anläuft, sind das die stärksten Passagen: wie sie auftritt, wie sie Angriffe pariert, vor allem aber Mimik, Gestik, ihr Augenaufschlag, ihr verhaltenes, manchmal spöttisches Lächeln. Man wusste immer, was sie dachte. Ihr Gesicht verriet alles. SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky meinte einmal, sie habe Männer nicht gemocht. Ein Irrtum. Sie wusste nur um die Machtfrage und dass, wer Macht beansprucht, sie einem anderen nehmen muss. Am Ende war Dohnal zu Recht bitter enttäuscht, weil Vranitzky sie vorzeitig zum Rücktritt drängte, und ich frage mich heute: Warum sind wir damals nicht alle für sie auf die Straße gegangen?

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik