Johannes Hahn: "Österreich ist Trendsetter"
profil: Ist das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei nach dem Rücktritt des türkischen Premierministers Davutoğlu noch zu retten? Johannes Hahn: Es gilt unsererseits und wird auch umgesetzt. Jetzt muss die Türkei ihrerseits liefern. Wir haben unseren Teil geleistet und auch schon 200 Millionen Euro an konkreter Hilfe ausbezahlt. Bis zum Sommer können wir eine Milliarde Euro für konkrete Hilfsprojekte für Flüchtlinge festlegen.
profil: Die jüngsten Attacken gegen die Pressefreiheit in der Türkei werden seitens der EU also nicht geahndet? Hahn: Pressefreiheit ist als zentraler Grundwert klar eine der Bedingungen für eine engere Kooperation. Sie ist nicht verhandelbar. Leider entwickelt sich die Türkei nicht nur bei der Pressefreiheit weg von europäischen Standards. Ich erwarte mir von Präsident Erdoğan eine klare Aussage, ob er überhaupt noch nach Europa will oder nicht. Was wir in der jüngsten Zeit in der Türkei erlebt haben, war das Gegenteil von europäischen Werten.
Aber Österreich wäre von der Wiedereinführung von Grenzkontrollen besonders hart betroffen, auch wegen seiner florierenden Exportwirtschaft.
profil: Und dennoch hält die EU an der Visa-Liberalisierung für Türken fest? Hahn: Die EU-Kommission gab eine Empfehlung ab mit klaren Bedingungen. Wir rücken von diesen strengen Kriterien nicht ab. Wer nach Europa will, muss diese erfüllen. Der Ball liegt jetzt in Ankara.
profil: Wie stehen Sie zu den Kontrollen an den Binnengrenzen, inklusive Brenner? Hahn: Kontrollen innerhalb des Schengenraums widersprechen unserem neuen Lebensmodell der grenzenlosen Mobilität. Aber es ist auch verständlich, dass einzelne Länder so wie Österreich aus der Erfahrung der jüngsten Vergangenheit Vorsichtsmaßnahmen treffen. Warum sind Grenzkontrollen am Brenner schlecht und in Kiefersfelden durch die Bayern okay? Aber Österreich wäre von der Wiedereinführung von Grenzkontrollen besonders hart betroffen, auch wegen seiner florierenden Exportwirtschaft. Priorität muss der Schutz der Außengrenzen haben.
profil: Im Burgenland hat sich Landeshauptmann Hans Niessl am stärksten für Grenzkontrollen eingesetzt. Hahn: Manchmal sind die Gedächtnisstränge bei heimischen Politikern etwas kürzer. Denn gerade das Burgenland hat von der Ostöffnung besonders profitiert. Diese Krise kann nur mit einem gemeinsamen Ansatz gelöst weerden. Und mit dem Bewusstsein, dass die EU mehr ist als ein Bankomat. Wir brauchen Solidarität von allen Seiten. Das sollten gerade jene Länder verstehen, die von der europäischen Solidarität profitiert haben.
Zur Mitwirkung Österreichs in der EU gibt es keine Alternative.
profil: Was halten Sie vom Europaprogramm des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer, der zu Tagungen der Staats- und Regierungschefs anreisen und mit EU- Gegnern wie Marine Le Pen oder Geert Wilders kooperieren will? Hahn: Es gibt klare Regeln zur Frage, wer Österreich bei EU-Gipfeln vertritt -nämlich der Bundeskanzler. Das hat sich auch bewährt. Für mich persönlich ist klar, dass es zur Mitwirkung Österreichs in der EU keine Alternative gibt. Bei der Migration oder in der Wirtschaft bis zur Energie - überall brauchen wir mehr statt weniger Europa. Ein Bundespräsident muss nicht alles, was auf EU-Ebene geschieht, kritiklos akzeptieren, aber er sollte der Bevölkerung vermitteln, wie die Dinge zusammenhängen, und die Interessen Österreichs wahrnehmen und die Interessen Österreichs in Europa pro-aktiv und konstruktiv wahrnehmen.
profil: Wagen Sie eine klare Empfehlung? Hahn: Meine Erfahrung ist: Empfehlungen richten sich in der Regel gegen jenen Kandidaten, für den man sich ausspricht.
profil: Darum trauen sich so wenige ÖVP-Politiker, eine Wahlempfehlung auszusprechen? Hahn: Ich habe meine Zweifel, ob solche Aussagen wirksam und hilfreich sind. Wir reden immer von selbstständigen Menschen, dann muss man dies auch leben und nicht den Leuten vorschreiben, was sie tun sollen.
Wir werden uns damit anfreunden müssen, dass die nächste Regierung vielleicht aus drei Parteien bestehen wird.
profil: Ist die rot-schwarze Koalition nach dem Abgang von Werner Faymann ein Auslaufmodell? Hahn: Manche klammern sich an den Gedanken, dass auch die nächste Regierung wieder nur aus zwei Parteien bestehen soll. Wir werden uns aber auch in Österreich damit anfreunden müssen, dass die nächste Regierung vielleicht aus drei Parteien bestehen wird. Österreich hat sich in den vergangenen zehn oder 15 Jahren zum gesellschaftspolitischen Trendsetter in Europa entwickelt.
profil: Sie meinen den europäischen Tabubruch durch die schwarz-blaue Koalition? Hahn: Nein, ich denke an den Umweltschutz oder die Genmanipulation. Da waren wir lange einsame Rufer in Europa. Doch heute ist dieses Bewusstsein auch in anderen Ländern gestiegen. Von erneuerbarer Energie, grüner Technologie bis zum Gentechnik-Verbot - überall hat Österreich eine Speerspitzenfunktion. Umso trauriger ist es, dass wir wirtschaftlich derzeit hinterherhinken.
profil: Österreich ist in der EU nicht mehr Vorbild, hat der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger festgestellt. Hahn: Es wäre keine große Hexerei, wieder aufzuschließen. Man kann ja auch Sachpolitik mit Leidenschaft betreiben.