Journalistin Erkurt: "Druck auf Mädchen ist hoch"
profil: biber ist nahe dran an muslimischen und migrantischen Communities. Trotzdem glich Ihr Artikel "Alles Schlampen“ über das Frauenbild der Schüler einem Aufschrei. Erkurt: Wir nahmen für unseren Schülerblog verschiedene Themen durch. Als die Sprache auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft fiel, wurden Mädchen, die sich zu Wort meldeten, von den Jungs sofort ruhiggestellt. "Du bist nur ein Mädchen, sei leise“ oder "Du Schlampe, was weißt du schon?“, sagten sie. Da platzte mir der Kragen. Mit mir würdest du auch nicht so reden“, stellte ich einen Burschen zur Rede. Er meinte nur: "Du hast einen Mann, deswegen bist du keine Schlampe.“
profil: Fühlten Sie sich persönlich beleidigt? Erkurt: Ich spürte am eigenen Leib, welche massiven Unterschiede zwischen Mann und Frau hier gemacht werden. Mich fragten die männlichen Schüler nur, ob ich verheiratet sei. Von meinem Kollegen wollten sie vom Beruf bis zum Auto alles wissen. Sie haben mir deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht so gescheit sein kann wie er.
profil: Woher nehmen die Burschen diese Einstellung? Erkurt: Von daheim. Es zeigte sich sehr schnell, dass die Väter, Mütter und älteren Brüder auch so reden. Innerhalb der eigenen Familie ist die Frau für die Burschen die Heilige, alle anderen sind Schlampen.
profil: Ist diese Einstellung an diesen Schulen ein Phänomen der muslimischen Community? Erkurt: Nicht nur. Es geht um patriarchische Strukturen. Je gebildeter, umso weniger dominant sind diese. In vielen muslimischen Gastarbeiterfamilien ist der Druck hoch. Es wird nicht gerne gesehen, wenn sich ein Mädchen freizügig anzieht, mit 25 noch nicht verheiratet ist oder alleine in den Park geht: Die Nachbarn könnten reden. Die Mädchen werden von früh an auf den Haushalt reduziert, während der Bursch auf der Couch liegt und PlayStation spielt. Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie. Bei uns ging es moderner zu. Ich kannte aber Familien, wo es Gesetz war, dass nur die Mädchen den Tisch abräumen.
profil: Und der Bruder über die Reinheit der Schwester wacht ... Erkurt: Ja, viele der Schülerinnen gehen in der Freizeit kaum alleine raus, hatte ich den Eindruck.
profil: Wie geht es den Brüdern in ihrer Rolle? Erkurt: Ich habe das Gefühl, sie würden lieber Zeit für sich haben. Aber aus Respekt vor den Eltern fügen sie sich in die Rolle des Aufpassers. Und je weniger Erfolg sie im Berufsleben haben, umso eher spielen sie den Boss gegenüber der Schwester.
profil: Berufen sich die Jungs auf den Islam? Erkurt: Sie plappern das nach, was der Vater sagt, aber sie wissen eigentlich sehr wenig. Islam ist einfach cool.
Die Mädels sagten auf die Frage nach dem Berufswunsch oft Ärztin oder Rechtsanwältin, die Burschen oft Arbeitsmarktservice oder Bau.
profil: Ist auch das Kopftuch angesagter als früher? Erkurt: Zwei, drei Mädchen pro Klasse trugen es. Die einen aus religiösen Gründen, die anderen eher, weil sie die beste Freundin nachahmten. Manche legten es wieder ab.
profil: Wie kommen die Mädchen aus ihrem gläsernen Käfig raus? Erkurt: Schwer. Die Rollenbilder werden ihnen daheim eingetrichtert, sie trauen sich wenig zu. Das ist extrem schade, weil die Mädchen in der Regel die besseren Noten und ambitionierteren Träume als die Burschen hatten. Die Mädels sagten auf die Frage nach dem Berufswunsch oft Ärztin oder Rechtsanwältin, die Burschen oft Arbeitsmarktservice oder Bau. Es braucht positive Beispiele von aufgeschlossenen Frauen und Männern, die zeigen, dass es auch anders geht und die Zukunft nicht schon vorgezeichnet ist, um sie zu ermuntern.
profil: Ist die Integration dieser Familien gescheitert? Erkurt: Die Integrationspolitik dringt nicht durch zu ihnen und hat viel zu spät begonnen. Man hat die Menschen als Arbeitskräfte, aber nicht als künftige Mitmenschen gesehen. Wenn Österreicher und Zuwanderer sich mehr durchmischt und auch befreundet hätten, dann hätte das die traditionellen Frauenbilder aufgebrochen. Diesen Fehler dürfen wir bei den Flüchtlingen nicht wiederholen, indem wir sie anfeinden, in separate Klassen stecken oder aus dem Schwimmbad verbannen. Denn sie sollten ja lernen können, dass man die Töchter in Österreich nicht so islamisch-konservativ erziehen muss wie in arabischen Ländern.
profil: Wie waren Ihre Erfahrungen mit Flüchtlingen? Erkurt: Die Flüchtlinge unter den Schülern waren zum Teil moderner eingestellt als so mancher Türke oder Bosnier, der hier geboren ist.
profil: Wie schwer ist es, als Muslima kritisch über Muslime zu reden? Erkurt: Ich habe das Gefühl, bei manchen Ur-Österreichern erst dann als vollkommen integriert zu gelten, wenn ich den Islam in die Mangel nehme. Ich möchte aber nicht "dazugehören“, nur weil ich die eigene Religion kritisiere.