Judenhass im Herzen Wiens: Wer hinter den Demos steckt
Der Ballhausplatz wird am Mittwochabend fast hermetisch abgeriegelt. Über die Löwelstraße gibt es einen Zugang, der einem Nadelöhr gleicht: Polizisten kontrollieren Taschen, fragen nach dem Grund, warum man hier ist. Hinter der Absperrung durchtrainierte Sicherheitskräfte in Zivil. Rund 1500 Menschen werden am Abend zusammenkommen, um den mehr als 1300 Terroropfern in Israel zu gedenken, für die 150 Geiseln in Hamas-Hand beten sie. Die Teilnehmer werden angehalten, Israelfahnen oder Transparente vor und nach der Demo verdeckt zu halten, um sich nicht der Gefahr judenfeindlicher Übergriffe auszusetzen. Den Bereich rund um den Stephansplatz sollen sie wegen einer propalästinensischen Demo meiden.
Wenige Hundert Meter weiter – eine andere Welt: Die sich dort gerade zusammenrottende Pro-Palästina-Demo am Wiener Stephansplatz ist von der Polizei untersagt – und findet dennoch statt. Bis zu 500 Menschen sind gekommen, arabischstämmige Burschen und Männer dominieren die Szene. Vor der größten Kirche Österreichs ertönen antisemitische Parolen, während drüben am Ballhausplatz die heimische Spitzenpolitik auf engstem Raum bewacht an die historische Verantwortung Österreichs für das israelische Volk gemahnt.
Ein Abend mit Symbolkraft, der viele ratlos zurücklässt: Wer sind die Menschen, die hinter der Aufregerdemo „Mahnwache für Palästina – in Gedenken an die Opfer von Palästina“ stecken?
„From the River to the Sea“
Dienstag, der Tag vor der Demo: Eine Gruppe namens „Palästinenser Solidarität Österreich“ (PSÖ) postet auf ihrer Seite die Einladung auf Arabisch, die polizeilich angemeldet ist. Am unteren Ende der Einladung steht der Aufruf: „Free Palestine from the River to the Sea“. Gemeint ist Jordan und Mittelmeer. Dazwischen liegt Israel. Die Parole kann als Aufruf zur Beseitigung des jüdischen Staates aufgefasst werden. An diesem Tag stört sie die Behörden noch nicht.
Die „Palästinenser Solidarität Österreich“ versammelt mehrere links-marxistische Splittergruppen unter einem Dach – dazu zählen „BDS“, die Israel wirtschaftlich und kulturell boykottieren will, die antikolonialistische „Dar Al Janub“ (Haus des Südens) oder die "Palästinensische Gemeinde". Seit Jahren demonstriert die Plattform mit ihren „Info-Tischen“ monatlich in Wien gegen den „Apartheids- und Kolonialstaat“, wie sie Israel nennen. Einer dieser „Info-Tische“ auf der Mariahilfer Straße fiel just auf den Tag nach dem Hamas-Massaker. Die Empörung war groß, die Teilnehmerzahl mit rund einem Dutzend noch sehr klein. FPÖ- und ÖVP-Politiker prangerten dennoch sofort die „völlig gescheiterte Integration“ der Demonstranten an, sahen die Demos als Beweis für „importierten Antisemitismus“ aus der muslimischen Welt und forderten Abschiebungen.
Nicole und Franz gegen „westliches Joch“
Das geht ins Leere. Denn hinter der „Palästinenser Solidarität Österreich“ stehen zehn bis 20 Österreicher. Sie heißen Martin, Franz, Oliver oder Nicole. Eine zentrale Person hinter der Wiener Demo ist der 54-jährige technische Angestellte Willi L. Die wenigen Mitglieder mit arabischen Wurzeln leben seit Jahrzehnten in Österreich. Wer die Kontaktnummer der Plattform wählt, wird im steirischen Dialekt begrüßt: „Do is der Fronz, geh sprich ma doch aufs Bandl.“ Der 73-jährige Pensionist Franz S., „Pazifist“ und frühere Theologe, hat die PSÖ vor fünf Jahren gegründet. Er sieht sich seit Jahrzehnten im Kampf gegen die „US-Imperialistische Weltordnung“ und das „westliche Joch“. Er demonstriert auch gegen Massentierhaltung. „Als Österreicher schäme ich mich für die israelische Fahne am Parlament und Bundeskanzleramt“, sagt er. Den Begriff „Terrorismus“ für die Hamas lehnt er ab, solange er nicht auch für Israel gelte.
Krude Welt der Hamas-Versteher
Im kruden ideologischen Mix der Gruppe aus Antirassismus, Antikolonialismus und Antikapitalismus wird der bestialische Terrorangriff der Hamas zum „kräftigen Akt des palästinensischen Widerstandes“ umgedeutet. So steht es seit Tagen auf der Facebook-Seite der „Palästinenser Solidarität“. Gegenüber profil versteigen sich Mitglieder sogar dazu, den Gaza-Streifen mit dem „Warschauer Ghetto“ zu vergleichen. Eine besondere Chuzpe angesichts der Tatsache, dass nach dem Zweiten Weltkrieg noch nie so viele Juden an einem Tag getötet wurden wie durch die Angriffe aus dem Gaza-Streifen.
Kommando retour
11. Oktober, Demo-Tag, 13.15 Uhr: Innenminister Gerhard Karner tritt vor die Presse. Die Wiener Polizei sei auf die Kundgebung am Stephansplatz gut vorbereitet. Gründe, die Pro-Palästina-Demo, wie in Berlin geschehen zu verbieten, sieht er nicht. Mehrere Medien, darunter profil, fragen dennoch im Innenministerium nach, wie der Demo-Slogan „From the River to the Sea“ im Kontext der Hamas-Angriffe zu bewerten ist. Keine zwei Stunden später lädt die Landespolizeidirektion Wien zur Eilt-Pressekonferenz. Das Thema: „Neue Entwicklungen“. Die Botschaft: Die Demo wird untersagt. Man habe im Lauf des Tages „Kenntnis von Flugblättern erlangt“. An die Demo-Organisatoren ergeht ein Bescheid mit folgender Begründung: „Der Code ,Free Palestine from the River to the Sea‘ bedeutet im Grunde, dass Israel kein Recht habe, auf dem Land zwischen Jordan und Mittelmeer zu existieren und wird seit Langem von islamistischen Gruppen unterstützt. Im Kontext mit dem aktuellen Terrorangriff der Hamas auf Israel ist er laut Interpretation von Nachrichtendiensten als Aufruf zur gewaltsamen Auslöschung Israels zu verstehen.“
Abgeschirmte Trauer
Gedenkveranstaltung der Kultusgemeinde für die Terroropfer in Israel - extra stark bewacht, auch wegen der nahen Demo am Stephansplatz
Potenzial zur Eskalation
Die Wiener Polizei zieht am Tag nach der Skandaldemo am Stephansplatz Bilanz: 304 Identitäten festgestellt, 292 nach dem Versammlungsgesetz angezeigt, elf wegen anderer Verwaltungsdelikte, einer wegen einer gefährlichen Drohung. Warum die verbotene Demo nicht aufgelöst, sondern nur eingekesselt wurde, erklärt die Polizei so: „Ziel war es, eine Störung der Gedenkzeremonie am Ballhausplatz zu verhindern.“ Wenige Stunden davor, bei der eilig einberufenen Pressekonferenz, klang das noch ganz anders. Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl gelobte, „alles zu tun“, damit die Pro-Palästina-Demo „nicht stattfindet. Die Last-Minute-Absage hat bei der strategischen Vorbereitung des Abends wohl nicht geholfen.
Ein Blick in andere EU-Städte zeigt klar, welches Potenzial Pro-Palästina-Demos in Zeiten des Israel-Krieges entfalten können. In Berlin werden Molotow-Cocktails auf Autos geworfen, in Paris muss die Polizei Tränengas einsetzen.
Live-Videos für TikTok
Doch der Aufruf zur Demo ist via Social-Media-Kanälen längst viral gegangen. Bis zu 500 Menschen strömen am Stephansplatz zusammen. Im Unterschied zu den kleinen „Info-Tischen“ der Austro-Linken dominieren dieses Mal junge Männer und Frauen mit Migrationshintergrund das Geschehen – viele aus dem arabischen Raum. Sie rufen nicht nur „From the River to the Sea“ und drehen dabei Live-Videos für TikTok. Sie skandieren laut einem Video-Demoblog noch heftigere Parolen auf Arabisch oder Farsi: „Millionen von uns gehen als Märtyrer nach Jerusalem“ – „Mit unserer Seele und unserem Blut für Dich Al-Aqsa (Moschee)“ – „Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden. Mohammeds Armee wird zurückkehren“. Chaibar markiert einen Feldzug Mohameds gegen ein jüdisches Dorf im Jahr 628.
Die Stimmung ist aufgeheizt. Die Polizei scheitert mit ihren Aufrufen, den Platz zu verlassen, kesselt ein, weicht teils zurück, behält die Lage aber unter Kontrolle. Arabischsprachige Zivilpolizisten sind vor Ort und hören mit.
Wasserwerfer in Paris
Der Deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will eine Organisation, die hinter Palästina-Demos steht, verbieten. Das Netzwerk „Samidoun“. Am Tag nach dem Hamas-Terror haben Mitglieder arabische Süßigkeiten verteilt wie an einem Feiertag. „Samidoun“ ist laut Sicherheitsbehörden eine Vorfeldorganisation der militanten, linksextremen Volksfront zur Befreiung Palästinas. Teile der „Palästinenser Solidarität Österreich“ haben sich wiederholt solidarisch mit Samidoun erklärt. Die ideologische Nähe ist unverkennbar.
Frankreich hat Pro-Palästina-Demos überhaupt pauschal untersagt. Laut österreichischer Verfassung ist das nicht möglich. Jeder Demo-Antrag muss einzeln geprüft werden. Zu Redaktionsschluss war eine weitere Demonstration der Palästinensischen Gemeinde für Samstag, in Wien Favoriten, angemeldet und bis dahin noch nicht untersagt. Auf der Einladung fehlt dieses Mal der Zusatz „From the River to the Sea“.