Hakenkreuze auf dem jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs
Nahost-Konflikt

Judenhass in Österreich: Wie sicher ist die jüdische Gemeinde?

Die Terrorwarnstufe wurde erhöht, antisemitische Übergriffe häufen sich. Österreichische Jüdinnen und Juden wollen trotz der Gefährdungslage „dem Schrecken trotzen“.

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Eingeschlagene Fensterscheiben, heruntergerissene Fahnen und Feuer am Friedhof: Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Österreich ist stark angestiegen. „Wir können zwischen 7. und 29. Oktober 165 Fälle als eindeutig antisemitisch bestätigen“, sagt Benjamin Nägele, Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) im Gespräch mit profil. Mindestens, denn: „Mehrere Dutzend“ sind noch nicht bearbeitet. „Die Zahl an Vorfällen, die wir in den letzten drei Wochen erlebt haben, wurde 2022 innerhalb von drei Monaten verzeichnet.“ Jeden Tag würden neue Meldungen eintreffen, man komme fast nicht mehr mit der Bearbeitung nach.

Angst und Wut sind omnipräsent

Die Gewaltaufrufe in den sozialen Medien sorgen für Angst und Schrecken, die Propaganda für Wut, erzählt Nägele. Videos von Demonstrationen und Kundgebungen, auf denen „Schlachtet alle Juden“ skandiert wird, verstärken die Angst enorm. „Juden und Jüdinnen schauen sich derzeit zwei bis dreimal mehr nach Gefahren um, wenn sie auf die Straße gehen“, berichtet Nägele. Nachdem am Freitag vor zwei Wochen zum „Tag des Zorns“ gegen Jüdinnen und Juden aufgerufen wurde, blieben 75 Prozent aller jüdischen Schüler:innen zu Hause.

Dem Schrecken trotzen

„Jedes Gemeindemitglied hat Angehörige oder Freunde in Israel, viele kennen Menschen, die verletzt und getötet worden sind oder derzeit als Geiseln gehalten werden“, sagt Nägele. Gerade in einer Ausnahmesituation wie dieser sei es besonders wichtig, jüdisches Leben weiterhin zu praktizieren und selbstbewusst nach außen zu tragen, heißt es seitens der IKG. Die jüdische Gemeinde sei daran „gewöhnt, dem Schrecken trotzen zu müssen.“

Ganz wichtig sei es, „sich nicht einschüchtern zu lassen“, sagte auch Oskar Deutsch, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Wien gestern im Krisenstab der IKG. Die Terrororganisation Hamas versuche Juden und Jüdinnen auf der ganzen Welt Angst zu machen - dem gilt es standzuhalten. 

Auf die Frage, ob die Kippa weiterhin getragen werden solle, antwortet der Präsident der IKG mit einem klaren „Ja“. „Würden wir den jüdischen Männern empfehlen, das Symbol abzunehmen, wäre das mit einer Empfehlung, Österreich zu verlassen, gleichzusetzen.“ 

Jüdisches Leben findet nach wie vor statt, alle Synagogen und jüdische Schulen sind in Betrieb. Aber: Volksschulkinder, die Kippa tragen, sollten derzeit von Erwachsenen begleitet werden, die im Ernstfall wissen, was zu tun sei und Gefahren einschätzen könnten, heißt es aus der Kultusgemeinde.  

Auch jüdische Kultur soll nicht eingebremst werden: Am Donnerstagabend findet nicht nur das Lichtermeer statt, auch der Chor der Großen Synagoge Jerusalem tritt im Konzerthaus auf. Am 9. November soll zum Gedenken der Opfer der Pogromnacht ein von der jüdischen Jugend organisierter Gedenkmarsch abgehalten werden. Die Sicherheit für die kommenden Veranstaltungen und das jüdische Leben zu gewährleisten sei zwar ein „großer Kraftakt“, so Nägele; die vielfältige jüdische Gemeinde solle sich aber nicht verunsichern lassen, denn das sei genau das Ziel der Hamas. 

Außerdem sei es wichtig, dass Notfallnummern für Sicherheitsstellen und die Antisemitismus-Meldestelle der IKG wiederholt kommuniziert werden. Alle Sicherheitsglieder seien derzeit in Kontakt, es gebe Newsletter und sogar ein SMS-System, erzählt Nägele. Verfassungsschutz und die Wiener Polizei seien zudem ohnehin in permanentem Austausch mit den Sicherheitsteams der Synagogen und jüdischen Einrichtungen.

Nach dem Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Zentralfriedhofes wurde erneut Kritik an der Polizei laut: Es seien zu wenige Sicherheitsmaßnahmen in Kraft, so der Tenor in den sozialen Medien. Die Zusammenarbeit mit den Behörden funktioniere aber sehr professionell, betont die IKG. Fest steht jedenfalls, dass nicht alle Details der Schutzstrategie nach außen kommuniziert werden können - aus Sicherheitsgründen. Die Polizei Wien bestätigt den Umgang mit Details zu Sicherheitsmaßnahmen auf Anfrage: „Nicht nur jüdische Einrichtungen, sondern auch öffentliche Plätze und Veranstaltungen werden verstärkt bewacht. Sämtliche Maßnahmen, insbesondere der Objektschutz, werden laufend evaluiert und adaptiert. Aus einsatztaktischen Gründen können wir diesbezüglich keine näheren Details nennen.“  

Nicht-Jüdinnen und -Juden, die sich solidarisch zeigen wollen, empfiehlt Nägele „weiterhin jüdisches Leben zu fördern, in koschere Restaurants zu gehen und öffentlich Unterstützung für jüdische Mitmenschen zu zeigen.“ 

Sie möchten einen Vorfall melden? Hier geht es zur Meldestelle der IKG

Wie man sich bei erhöhter Terrorwarnstufe verhalten soll, erfahren Sie hier

Bei Gefahr in Verzug rufen Sie die Polizei unter 133 und die IKG-Sicherheitszentrale unter +43 (1) 369 85 26.

Karolina Heinemann

hat im Rahmen des 360° JournalistInnen Traineeship für das Online-Ressort geschrieben.