„Wohin wollen die Reichen denn abwandern?“
SPÖ-Vizeklubvorsitzende Julia Herr verspricht, dass die Erträge aus einer Erbschaft- und Vermögensteuer für eine Lohnsteuersenkung und das Gesundheitssystem verwendet werden sollen. Über ein Verbot von Privatjets wird nachgedacht.
Wie reich darf man eigentlich sein?
Julia Herr
Wenn das reichste Prozent der Bevölkerung in Österreich fast die Hälfte des gesamten Vermögens besitzt, dann ist einiges aus dem Ruder gelaufen. Wer solchen Reichtum besitzt, muss einen Beitrag zum Sozial- und Gesundheitssystem leisten. Deswegen fordern wir als SPÖ die Millionärsteuer.
Aber mit der Tatsache, dass jemand Multimilliardär ist, haben Sie kein Problem?
Herr
Damit leben wir jeden Tag. Es geht darum, gegenzusteuern. Wer sind die Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in unserer Gesellschaft? Ist nicht jemand, der als Reinigungskraft arbeitet und jeden Tag Klos putzt, auch Leistungsträger oder Leistungsträgerin? Wir haben eine sehr große Schieflage in Österreich. Und das sagen nicht nur wir. Das sagt die OECD, das sagt die EU-Kommission, das ist einfach Fakt.
Sie haben vor Kurzem ein Foto des Milliardenerben Mark Mateschitz und dessen Partnerin Victoria Swarovski auf Twitter gepostet und die CO2-Emissionen ihrer Urlaubsreise kritisiert. Was haben die beiden falsch gemacht, um so herausgestellt zu werden?
Herr
Diese Debatte wird sehr emotional geführt. Das Einzige, was ich gesagt habe, ist, dass Klimaschutz eine soziale Frage ist. Wenn ich eineinhalb Stunden mit dem Privatjet fliege, habe ich durchschnittlich so viel CO2 verblasen wie ein Durchschnittsösterreicher in fünf Monaten. Das ist ein Fakt, den ich benannt habe.
Aber daran wird weder eine Vermögens- noch eine Erbschaftsteuer etwas ändern. Wollen Sie Privatjets verbieten?
Herr
Wir prüfen das aktuell. Während Corona hat die Nachfrage sehr stark zugenommen, es gibt bereits erste Flughäfen, die Privatjets nicht mehr landen lassen. Aber all das ist nur ein Symptom dafür, dass der Reichtum sich sehr stark vermehrt. Das ist auch demokratiepolitisch gefährlich. Das habe ich auch im Untersuchungsausschuss gesehen. An den Korruptionsaffären, die Österreich beschäftigen, kann man auch erkennen, wie man sich mit Geld politischen Einfluss und Macht sichern kann.
Auch daran ändert eine Vermögensteuer nichts.
Herr
Ich glaube schon, dass eine Besteuerung von Reichtum zu mehr Demokratie führen kann. Einerseits können wir damit mehr Spielräume für Menschen mit geringeren Einkommen finanzieren, andererseits gibt es eine Mehrheit für solche Maßnahmen. Erst letzte Woche wurde eine Studie veröffentlicht, die besagt, dass sich 67 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher eine Millionärsteuer wünschen.
Sie sagen, die von der SPÖ geforderte Erbschaftsteuer würde 500 bis 800 Millionen, die Vermögensteuer fünf Milliarden Euro bringen. Was passiert mit diesem Geld? Bisher wurden von der SPÖ unter anderem die Teuerungskrise, die Pandemie-Kosten, die Klimakrise, das Bildungssystem, die Kinderarmut und noch ein paar weitere Themen genannt.
Herr
Einerseits wollen wir die Lohnsteuer senken. Da geht es um Gerechtigkeit nach dem Motto: die Steuern auf Löhne und Einkommen runter, die Steuern auf Vermögen rauf. Und das zweite ist das Gesundheitssystem. Da sehen wir, dass es an allen Ecken und Enden kracht.
Können Sie sagen, um wie viel genau die Lohnsteuern gesenkt werden sollen?
Herr
Die konkreten Modelle werden noch vorgestellt. Was wir sagen können, ist, dass wir vor allem die niedrigen Einkommen entlasten wollen.
Der Freibetrag für Erbschaftssteuern soll sich auf eine Million Euro belaufen, zusätzlich zu den maximal eineinhalb Millionen beim Eigenheim. Sollen diese Beträge regelmäßig an die Inflation anpasst werden? Sonst würde es hier zu einer kalten Progression kommen.
Herr
Wichtig ist, dass die Steuer endlich kommt. Das weitere müssen wir uns bei der Implementierung anschauen. Prinzipiell kann ich mir das aber gut vorstellen.
In Frankreich wurde die Vermögensteuer 2017 abgeschafft. Davor nahm der Staat damit zwischen vier und fünf Milliarden Euro ein – bei einer mehr als siebenmal größeren Bevölkerung als in Österreich. Wie kann die Vermögensteuer bei uns denselben Ertrag bringen?
Herr
Wir können Vermögen in Österreich bis zu einem gewissen Grad immer nur schätzen, weil kaum genaue Aufzeichnungen vorliegen. Aber was es gibt, sind Einkommensteuererklärungen und die Daten der Nationalbank. Wir haben mit mehreren Ökonominnen und Ökonomen gesprochen, die können Ihnen das vorrechnen. Ich glaube, Zweifel an dieser Summe sind nicht angebracht.
Wie wollen Sie die Steuer eigentlich administrieren? Also wie werden die Vermögenstände erhoben?
Herr
Man füllt eine Erklärung aus und schickt sie an das Finanzamt. Das wird in Staaten, in denen es eine Millionärssteuer gibt, genauso gemacht. Zum Beispiel in Spanien.
Und dann werden die Angaben stichprobenartig kontrolliert?
Herr
Ja. Sie werden von Beamten, die gewissenhaft vorgehen, überprüft. Und wenn Ungereimtheiten auftauchen und sie der Meinung sind, dass sich da etwas nicht ausgehen kann, wird es Kontrollen geben. Es wird nicht anders sein als bei Steuererklärungen von Selbstständigen. Das wird kein riesiger bürokratischer Aufwand sein, weil die Steuer betrifft 98 Prozent der Bevölkerung nicht.
In einigen Ländern wurde die Steuer wieder abgeschafft, weil viele Vermögende ausgewandert sind. Ist das nicht auch in Österreich eine Gefahr?
Herr
Wohin wollen sie denn abwandern? Es gibt in der EU kaum ein Land, wo es weniger vermögensbezogene Steuern gibt als in Österreich. In der konservativen Schweiz gibt es Vermögensteuern, in Deutschland gibt es Erbschaftsteuern. Und dort siedeln sich auch noch immer Betriebe an.
Wir können die Sache ja auch umdrehen und fragen: Was ist eigentlich mit der ÖVP, der FPÖ und den NEOS los, dass sie keine Millionärssteuer wollen?
Ökonomen sagen, die geplanten Vermögensteuern werden nichts an der Tendenz der Ungleichheit ändern. Die Reichen werden dennoch reicher werden, nur vielleicht etwas langsamer.
Herr
Die Steuern sind natürlich nicht das einzige Mittel, gegen Ungleichheit vorzugehen. Wenn wir den sozialen Wohnbau ausbauen und dafür sorgen, dass bei ganz vielen Leuten nicht mehr 40 Prozent des monatlichen Einkommens für Miete draufgehen, hilft das gegen Ungleichheit. Wien schreitet da positiv voran und baut Gemeindebauten, das braucht es auch in Westösterreich.
Vermutlich haben Sie die Bücher des Ökonomen Thomas Piketty gelesen. Er sagt, wenn man das Phänomen der wachsenden Ungleichheit wirklich bekämpfen möchte, braucht es wesentlich höhere Vermögensteuersätze.
Herr
Wir müssen schauen, was wir jetzt tun können. Wir kriegen täglich Mails von Menschen, die sich das Leben nicht mehr leisten können. Und das von uns vorgelegte Modell ist Teil eines Vorhabens, diesen Problemen Abhilfe zu schaffen.
Nur als Beispiel: In den USA hat Senator Bernie Sanders eine 100-Prozent-Vermögensteuer ab einer Milliarde gefordert. Er sagt: “Billionaires should not exist“ – Milliardäre sollten nicht existieren. Ist ihnen das sympathisch?
Herr
Vieles an Sanders finde ich sympathisch. Er ist auch unter den 300 Vermögenden, die vergangene Woche einen offenen Brief geschrieben haben, in dem sie die Regierungen der G-20-Länder auffordern, sie höher zu besteuern. Warum ignoriert man das? Wir können die Sache ja auch umdrehen und fragen: Was ist eigentlich mit der ÖVP, der FPÖ und den NEOS los, dass sie keine Millionärssteuer wollen, obwohl selbst die Superreichen darum bitten?
Jeremy Corbyn, ehemaliger Vorsitzender der britischen Labour-Partei, hat vorgeschlagen, eine Obergrenze für Einkommen einzuführen. Ist Ihnen das auch sympathisch?
Herr
Dort, wo wir zuständig sind, also im staatsnahen Bereich, können wir uns solche Fragen natürlich stellen. Wenn ein Manager in zwei, drei Tagen mehr verdient als eine Reinigungskraft im ganzen Jahr, ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Es gab in der Schweiz einmal die Initiative „1:12“, die vorsah, dass in einem Betrieb niemand mehr in einem Monat so viel verdienen darf wie der schlechtestbezahlte Mitarbeiter im Jahr.
Das befürworten Sie?
Herr
Ich persönlich? Ja – mit der Stoßrichtung, die unteren Löhne anzuheben.
Empfinden Sie eigentlich auch so etwas wie Bewunderung für Menschen, die dank ihrer Arbeit und Ideen reich geworden sind?
Herr
Ich bewundere Leute, die hart arbeiten. Manchmal führt das dazu, dass man reich wird. Ganz oft aber auch nicht. Das müssen die allermeisten Menschen in Österreich sehr bald einsehen.
Noch eine persönliche Frage: Wären Sie gern reich?
Herr
Nein, ich hätte gern Millionärsteuern.