Juncker zum Kommissionspräsidenten gewählt: Ein Neustart für die EU
Von Otmar Lahodynsky, Straßburg
Mit Jean-Claude Juncker tritt erstmals ein Präsident der Europäischen Kommission, der durch die Europawahlen und die soeben erfolgte Wahl im Europaparlament ausreichend demokratisch legitimiert erscheint, das wichtige Amt in der EU an.
Fest steht schon jetzt: Der 60-jährige Luxemburger, der lange Jahre auch Chef der Euro-Gruppe war, wird nicht nach der Pfeife der Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat, die er als ehemaliger Luxemburger Premierminister natürlich sehr gut kennt, tanzen. Damit könnte nach dem Franzosen Jacques Delors (1985-1995) endlich wieder ein starker Politiker die wichtige Institution leiten.
Der christlich-soziale Politiker hat einen Neustart für Europa versprochen. In seiner Rede vor der Wahl hat er am 15. Juli im Europaparlament in Straßburg ein sehr ambitioniertes Programm vorgestellt:
Erste Priorität sind Wachstum und Jobs: Dazu will er durch Umschichtungen im EU-Budget, Kredite der Europäischen Investitionsbank und Stimulierung privater Investments ein Finanzvolumen von 300 Milliarden Euro für drei Jahre sicherstellen.
Durch die notwendige Rettung des Euro sei die soziale Dimension in der EU vernachlässigt worden. Es ist inakzeptabel, dass in der Krise einfache Rentner die gesamte Last der Strukturreformen tragen mussten, während Reeder und Spekulanten noch reicher wurden, erklärte der Sohn eines Stahlarbeiters. Die weiterhin notwendigen Sparanstrengungen in Euro-Krisenländer will Juncker künftig auf Folgewirkungen überprüfen.
Zudem will er die Verteilung der Hilfsmaßnahmen demokratisch absichern und nicht länger der Troika aus EU-Kommission, IWF (Internationaler Währungsfonds) und Europäische Zentralbank (EZB) überlassen.
Weiters will Juncker in der EU eine längst überfällige Energiepolitik einführen und auch gegenüber Lieferländern wie Russland durch Bündelung der Verhandlungsmacht stärker auftreten.
Mit den USA soll ein faires und ausgewogenes Handelsabkommen (TTIP) ausgehandelt werden. Dabei will Juncker sicherstellen, dass die hohen europäischen Standards von Umwelt bis Datenschutz- und auch die europäische kulturelle Vielfalt nicht auf dem Altar des Freihandels geopfert werden. Zudem sollen die Verhandlungen transparenter als jetzt geführt werden, um auf berechtigte Einwände Rücksicht zu nehmen.
Daneben soll eine neue Einwanderungspolitik und mehr Solidarität beim Umgang mit Asylwerbern eingeführt werden.
Juncker will für einen besser funktionierenden Binnenmarkt kämpfen und dazu kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor zuviel Bürokratie und Papierkram entlasten. Ein digitaler Binnenmarkt könnte 250 Milliarden Euro an zusätzlichem Wachstum gerieren.
Nicht zuletzt drängt Juncker auf eine ausgewogene Verteilung der Geschlechter bei der Besetzung seines neuen Teams. Hier hat das EU-Parlament bereits angedroht, eine neue Kommission mit nur wenigen Frauen keinesfalls zu akzeptieren.
Mit Juncker an der Spitze der EU-Kommission könnte der durch den Vertrag von Lissabon stark gestiegene Einfluss des Europäischen Rates wieder zurückgestutzt werden. Das ist für kleine und mittlere Mitgliedsländer wie Österreich durchaus positiv. Für sie stellt die EU-Kommission als Hüterin der Verträge eine natürliche Verbündete dar.