Junge begehren auf: Warum es mehr Psychotherapieplätze bräuchte

Psychische Probleme, aber keine Therapie: Auf dieses Problem macht eine Gruppe von Jugendlichen aufmerksam. Denn die kassenfinanzierten Therapielätze können den Bedarf nicht decken. Wie realistisch ist eine Vollfinanzierung von Psychotherapie?

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Auf den Straßen Wiens tummeln sich Mitte April junge Menschen aus Wut, Trauer und Depression. Sie fordern eine bessere psychische Gesundheitsversorgung. „Gratis Psychotherapie für alle“ ist auf den Schildern zu lesen – ein unübersehbarer Hilfeschrei. Hinter der Aktion steckt die von 15 Jugendlichen gegründete Initiative „Change for the Youth“. Viele in der Freundesgruppe warten auf einen kassenfinanzierten Therapieplatz.

Eine Erfahrung, die nicht nur die Jungen machen: Wer in Österreich in Psychotherapie gehen will, muss sich auf einiges gefasst machen. Lange Wartezeiten, ein unübersichtliches Angebot und gesellschaftliche Stigma sind abschreckende Hürden für Hilfesuchende.

Jährlich erkranken nach Angaben des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP) 23 Prozent der Bevölkerung an psychischen Störungen. Nicht alle von ihnen können behandelt werden.

Es fehlt an Plätzen und an Bewusstsein. Was tun die Kassen und das Gesundheitsministerium dagegen?

Psychische Probleme können teuer werden

In der Theorie hat jeder Anspruch auf einen kassenfinanzierten Therapieplatz, wenn psychische Probleme diagnostiziert wurden. Diese Beurteilung kann auch der Hausarzt vornehmen. Doch in der Praxis ist es nicht ganz so einfach: Der Bundesverband für Psychotherapie schätzt, dass nur etwa 27 Prozent jener, die Psychotherapie in Anspruch nehmen, auch einen Kassenplatz bekommen. Der Rest muss zahlen und das nicht zu knapp. Zwischen 80 und 120 Euro pro Einheit kostet ein Privattherapeut. Zirka der Hälfte aller, die auf Grund von psychischen Problemen Hilfe und Unterstützung gesucht haben, werden die Kosten nur teilweise rückerstattet – mit bis zu 40 Euro pro Stunde.

Wer schnell Hilfe braucht, landet sehr wahrscheinlich beim teuren Privattherapeuten. Eine günstigere Behandlung bieten Wahltherapeuten an, die sich noch in Ausbildung befinden. Die Kosten dafür werden allerdings nicht von den Kassen übernommen – auch nicht bei Vorlage einer Überweisung.

So bleibt eine Therapie oft Besserverdienern vorbehalten.

Keine Kassenleistung für alle

Anfang der 1990er Jahre wurde das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz reformiert. Die Sozialversicherungsbeiträge wurden damals erhöht, um Psychotherapie als Kassenleistung einzuführen. Trotzdem steht dieses Angebot bis heute nicht allen zur Verfügung.

Seit 30 Jahren feilschen Sozialversicherungsträger, die Berufsvertretung der Psychotherapeuten, Bund und Länder um Geld und Plätze.

Die ÖGK hat 2020 einen Ausbau des jährlichen Psychotherapie-Kontingents um zusätzliche 300.000 Stunden bis Ende 2022 beschlossen, was in etwa 20.000 Therapieplätzen entspricht. Davon konnten laut Angaben der Kasse 95 Prozent tatsächlich geschaffen werden. Aber reicht das auch?

Der ÖBVP, der Berufsverband der Therapeuten, hat dazu eine klare Haltung: Nein. Aktuell gibt es in Österreich zirka 100.000 kassenfinanzierte Psychotherapieplätze. Das klingt zwar viel, in dieser Zahl sind laut ÖBVP allerdings auch Therapien enthalten, die nur ein bis zwei Stunden dauern. In regelmäßiger, laufender Psychotherapie sind daher weniger Menschen, etwa 80.000. Laut Verbandspräsidentin Barbara Haid bräuchte es aber doppelt so viele.

Man sei aber auf einem guten Weg, sagt Haid gegenüber profil. Die Sozialversicherungsträger seien bemüht, Plätze aufzustocken. Wenig überraschend fordern die Vertreter der Therapeuten angemessene Stundensätze von mindestens 112 Euro pro 50-minütiger Einheit.

Die Österreichische Gesundkeitskasse (ÖGK) teilt profil auf Anfrage mit: „Aufgabe der ÖGK ist es, Psychotherapie vordringlich jenen zur Verfügung zu stellen, die diese im Sinne einer Krankenbehandlung benötigen. Dann wird für die psychotherapeutische Krankenbehandlung ein Kostenzuschuss lt. Satzung gewährt … entweder zur Gänze … oder in Form von Kostenzuschüssen.“ Wer also eine Diagnose und somit eine Überweisung vorweisen kann, dem werden die ersten zehn Therapiestunden finanziert, diese sind nämlich bewilligungsfrei. Ab der 11. Stunde besteht zumindest die Möglichkeit auf Ansuchen um einen Kostenzuschuss. Wie viele Anträge abgelehnt werden, wird von der ÖGK „noch erhoben“.

Tabuthema mentale Gesundheit

Neben Plätzen mangelt es auch an Bewusstsein. Obwohl mentale Gesundheit langsam aus der Tabuzone kommt, gibt es immer noch soziale Hemmungen. „Es ist schwieriger, über psychische Probleme zu reden, als über einen gebrochenen Arm beim Skifahren“, sagt Paul Plener, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH. Der Eindruck, eine psychisch kranke Person müsse sich nur zusammenreisen, und es würde schon gehen, täuscht. Denn, so Plener: „Eine psychische Krankheit ist in aller Regel nicht willentlich steuerbar. Niemand ist gerne depressiv.“

Wenigstens lenkte die Corona-Pandemie den Fokus auf das Thema.

Elitäre Ausbildung

Doch auch die Ausbildung zum Therapeuten ist in Österreich nur etwas für die, die es sich leisten können. ÖBVP-Präsidentin Haid kritisiert, dass die Psychotherapie der einzige Gesundheitsberuf ist, der in Österreich nicht nach dem Bologna-System akademisiert ist. Das heißt: Es gibt noch keine Bachelor- und Masterstudien. Das Gesundheitsministerium teilt profil auf Anfrage mit, dass das Inkrafttreten der neuen Psychotherapieausbildung für Oktober 2026 geplant ist.

Immerhin: „Wir haben zahlenmäßig keinen Mangel. Dieses Land bildet pro Jahr so viele Psychotherapeuten wie Deutschland aus“, so Plener vom AKH. Allerdings gibt Haid vom Psychotherapie-Verband zu bedenken, dass mehr Menschen denn je bereit sind, über ihre psychische Belastung zu sprechen.

Dass viele dafür selbst bezahlen müssen, daran wird sich so bald nichts ändern. Es wird wohl zu weiteren Jugend-Demos für mehr Therapieplätze kommen.

Elena Crisan

Elena Crisan

war bis Oktober 2024 Journalistin im Online-Ressort.