Kabale und Kitzbühel
Von Eva Sager
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Wäre Kitzbühel ein Tier, dann wahrscheinlich eine Gams. Die sieht man im Tiroler Kult-Wintersportort überall. Gams auf Fahnen, Gams auf Logos, Gams auf Rotweingläsern, Gams auf Baby-Lammfellpatschen. Vor dem Büro der Touristeninformation in der Innenstadt steht eine bunte Gams-Statue, in den Reisebroschüren liest man statt Kitzbühel immer wieder „Gamsstadt“. Nun mag einem die Gams als Logo auf den ersten Blick recht alltäglich vorkommen, vielleicht sogar etwas klischeehaft. Symbolisch passt es trotzdem gut. Gämse sind Überlebenskünstler, anpassungsfähig und flink, Wiederkäuer und gefragtes Jagdwild. Kitzbühel ist das auch.
Befeuert durch die Hahnenkammrennen haben die Reichen und Schönen die Alpenregion in den letzten Jahren für sich entdeckt. Wundern muss das niemanden. Beim Lokalaugenschein Mitte April scheint die Sonne, alles blüht, im Hintergrund glitzert der Schnee auf den Berggipfeln – das Panorama sieht aus, als hätte jemand ein Stockfoto aus einem Reisekatalog herausgerissen und auf den Horizont geklebt. Der Baugrund hier ist dementsprechend gefragt, er wird regelrecht gejagt. Die Diskussionen, die das in Bevölkerung, Politik und Medien auslösen, sind wiederkehrende – um bei der Gams zu bleiben: wiederkäuende. Es geht um illegale Freizeitwohnsitze, leistbaren Wohnraum, den lokalen Wohlstand und die Frage, wem diese Stadt eigentlich gehören soll.
Die Ausgangslage
Das mit den Freizeitwohnsitzen ist in Kitzbühel keine neue Diskussion. Und noch dazu eine recht technische. Folgt man dem Tiroler Raumordnungsgesetz, dienen Freizeitwohnsitze keinem ganzjährigen Wohnbedürfnis, sondern rein der Erholung. Besteht an einem Ort also kein Übergewicht an beruflichen und familiären Beziehungen, muss man davon ausgehen, dass er nur als Urlaubsdomizil genutzt wird.
In Tirol sind Freizeitwohnsitze seit Längerem streng reguliert. Man wollte ihnen als Preistreiber und Bodenverbraucher einen Riegel vorschieben. Übersteigt der Anteil der Freizeitwohnsitze gemessen an der Gesamtzahl aller Wohnungen in einer Gemeinde acht Prozent, heißt es: Stopp! Wer sich hier niederlässt, braucht einen Hauptwohnsitz. In Kitzbühel ist der Punkt schon lange überschritten. Die Freizeitwohnsitzquote der „Gamsstadt“ beträgt 16,3 Prozent, Stand April 2024. Hier heute eine Freizeitwohnsitzwidmung zu erhalten, ist also mehr als unwahrscheinlich, Umgehungsversuche dementsprechend beliebt. Rechtens sind diese nicht. Besteht der Verdacht, beispielsweise durch die Anzeige eines Nachbarn, dass es sich bei jemandem um einen illegalen Freizeitwohnbesitzer handeln könnte, müssen die Behörden ermitteln.
Aber was hat man überhaupt gegen die Erholungsbauten von Reich und Schön? Darauf gibt es in Kitzbühel wohl so viele Antworten wie Gämse. Teile der einheimischen Bevölkerung fürchten sich vor einem Ausverkauf, vor steigenden Wohnungspreisen und einer Zukunft als Geisterdorf, in dem nur mehr während der Hahnenkammrennen Aperol getrunken wird. Ein bisschen ist es schon so. Viele der prächtigen Wohnbauten auf der „Sonnenseite“ Kitzbühels haben ihre Außenrollladen komplett geschlossen, in manchen Siedlungen auf den engen Hangstraßen findet man kein Fünkchen Leben. Keine spielenden Kinder, keine Wäsche, die am Balkon trocknet, keine Autos in den Einfahrten. Nur hohe Zäune, ein Haufen Überwachungskameras und Gerüchte, welcher Millionär sich hier schon wieder niedergelassen hat. „Das ist die Villa der Putin-Tochter“, „dieses Haus gehört jemandem aus der Glücksspielbranche“, „die haben 17 Garagenplätze für ihre Oldtimer“, „auf dem Grundstück gibt es drei Häuser, und in dem einen wohnt der Hausmeister, der hat den Hauptwohnsitz“.
Was davon genau stimmt, lässt sich schwer überprüfen. Die Faktenlage zu den illegalen Freizeitwohnsitzen ist dünn. Schätzungen will das Büro des Kitzbüheler Bürgermeisters Klaus Winkler (ÖVP) auf profil-Anfrage nicht herausgeben. Auch nicht, wie viele Anzeigen seit dem 1. Jänner 2023 in Bezug auf illegale Freizeitwohnsitze erstattet und wie viele Strafen verhängt wurden. „Bürgermeister Dr. Winkler kann aufgrund eines Auslandsaufenthaltes nicht im Detail auf Ihre Fragen eingehen“, heißt es in einem Statement. Und man fügt an: „Freizeitwohnsitzkontrollen werden von der Stadt Kitzbühel natürlich sehr ernst genommen.“ Eine eigens dafür abgestellte Juristin im Bauamt habe bisher rund 800 Kontrollen durchgeführt. In einem Interview mit dem ORF Tirol vom Juni 2023 nannte man noch 630, acht Nutzungsuntersagungen haben sich damals daraus ergeben.
profil verlängerte die Frist zur Stellungnahme – retour kam trotzdem nichts Konkretes: „Bei allem Respekt zur generellen Berichterstattung von profil, zeigt der aktuelle Fragenkatalog zum Thema illegale Freizeitwohnsitze in Kitzbühel eindeutig die Handschrift eines Lokaloppositionspolitikers, der selber nichts vorzuweisen hat und nunmehr verzweifelt versucht, die Medien für sich zu instrumentalisieren.“
Die Rede ist wohl von Stadtrat Andreas Fuchs-Martschitz (Liste Unabhängige Kitzbüheler/innen). In der Debatte rund um die Kitzbüheler Freizeitwohnsitze ist er mittlerweile zu so etwas wie dem Antagonisten von Bürgermeister Winkler geworden. Fuchs-Martschitz ist der Meinung, dass endlich Schluss sein muss mit den „Monsterbauten“ in der Stadt. Und dass die Kitzbüheler Politik zu wenig gegen sie mache: „Kitzbühel ist zu einem Eldorado für Immobilienspekulanten verkommen. Der Bürgermeister tut nichts dagegen, sondern ist mit ihnen durch seine Steuerberatungskanzlei verbunden. Die Kontrollen finden derzeit nur in einem solchen Ausmaß statt, dass man ihm keinen Vorwurf des Amtsmissbrauchs machen kann.“
Herr Bürgermeister, Herr Steuerberater
„Monsterbauten“. Dieses Wort versteht man erst, wenn man vor einer der zahlreichen Baustellen in Kitzbühel steht oder den Grundriss zukünftiger Villen einsehen kann. Die meisten von ihnen sind mehrere Stockwerke tief, opulent und äußerst kostspielig. In der Nähe des Kitzbüheler Schwarzsees, Bestlage versteht sich, baut die Prime Properties Group gerade so etwas. Der Rohbau des „Chalet S“ steht, die großen, dunklen Fenster sind eingesetzt. Wenn die Fassade später einmal fertig ist, dann werde sie sicher dem offenbar in der „Gamsstadt“ äußerst beliebten „Alpine Chic“ entsprechen, sagt Fuchs-Martschitz bei einer Ortskontrollfahrt. Damit meint er den rustikalen Hütten-Charme, mit dem sich die meisten der großen Luxusbauten in Kitzbühel brüsten. Ein Haufen Holz, viele Steine, irgendetwas zwischen Schloss und Bauernhaus.
Über 800 Quadratmeter Wohnfläche werden seine zukünftigen Eigentümer einmal zur Verfügung haben, Blick auf den Wilden Kaiser, sechs Garagen- und drei Außenstellplätze inklusive. Die Ausstattung beinhaltet unter anderem: „Edelstahl-Whirlpool, Edelstahl-Infinity-Pool im Außenbereich mit Gegenstromanlage, speziell angefertigte Weinkühlanlage in der Wein-Lounge, Fitnessstudio mit Technogym-Geräten.“ Rund 28 Millionen Euro muss man für das Chalet hinlegen, ob eine Freizeitwohnsitzwidmung vorliegt, findet man im Exposé nicht.
Fuchs-Martschitz macht ein Foto von der abgesperrten Baustelle. „Die habe ich noch gar nicht gesehen“, sagt er. Wirklich überrascht wirkt er dabei nicht. „In Kitzbühel gibt es Verquickungen in Bereichen, die so nicht verquickt gehören. In Österreich wundert das wahrscheinlich niemanden mehr, wir haben da momentan eine Szene, die zum Grausen ist.“
Damit spricht Fuchs-Martschitz ein Problem an, das er mit der beruflichen Tätigkeit Bürgermeister Winklers hat. Der ist nämlich nicht nur Bürgermeister und damit die oberste Bauinstanz, sondern auch Steuerberater. An der Adresse seiner Kanzlei in der Josef-Pirchl-Straße 5 sind unter anderem die RA Immobilien GmbH und die RA Projektentwicklung GmbH ansässig, Immobilienfirmen des deutschen Milliardärs Oetker, die in Kitzbühel bereits eine Liegenschaft an- und weiterverkauft haben. „Diese Doppelfunktion, Steuerberater und Bürgermeister, ist ja an sich etwas vollkommen Abartiges. Dass man so etwas gesetzlich überhaupt zulässt, ist eigentlich pervers“, sagt Fuchs-Martschitz.
Winkler versicherte gegenüber Medien in der Vergangenheit mehrmals, an diesem Immobiliengeschäft nicht direkt beteiligt gewesen zu sein, er trenne diese Bereiche klar. Die profil-Anfrage, wie Winkler garantieren würde, dass es zu keinem Interessenkonflikt zwischen seiner Tätigkeit als oberste Baubehörde und jener als Steuerberater komme, ließ sein Büro unbeantwortet. Auch zu anderen Firmen, die in der Immobilienbranche tätig sind und deren Sitze laut Firmenbuch in der Josef-Pirchl-Straße 5 liegen, wollte man nichts sagen.
Der Letzte macht das Licht aus
Was macht man jetzt mit einer Stadt, in der Luxusresidenzen wie Pilze aus dem Boden schießen? In der der Bürgermeister die Diskussion rund um illegale Freizeitwohnsitze offenbar mehr als leid ist? In der den einen in den jalousieverschlossenen Villen viel zu wenig und den anderen viel zu viel kontrolliert wird? Fuchs-Martschitz sagt: „Aus der Sicht des Einheimischen zeichnet sich ein dramatisches Ende ab: Wenn dieser Wildwuchs so weitergeht, dann werden wir in Kitzbühel irgendwann um acht Uhr in der Früh das Licht aufdrehen, um sechs Uhr abends wieder ab und zum Wohnen in die Umgebung fahren. Die Stadt darf sich so nicht weiterentwickeln.“
Der fünfte Teil der „Piefke-Saga“ also? Lebten 2002 noch rund 7300 österreichische Staatsbürger mit Hauptwohnsitz in Kitzbühel, sind es 20 Jahre später nur mehr rund 6100. Der Anteil an der gesamten Wohnbevölkerung sank also um über zehn Prozentpunkte. Auch in ihrer Gesamtheit ist die Anzahl der Einwohner zwischen 2002 und 2022 leicht geschrumpft. Für Fuchs-Martschitz ist der Grund klar: „Das Wohnen ist hier einfach zu teuer. Einheimische und Normalverdiener ziehen weg.“
Das Büro von Winkler entgegnet: „Von Bürgermeister Winkler wird der Fokus auf die Schaffung von leistbarem Wohnraum für die einheimische Bevölkerung gelegt. In den vergangenen 15 Jahren konnten an die 400 Wohneinheiten geschaffen werden. Weitere rund 150 Wohnungen sind derzeit in Bau oder Planung. Vergleichbare Zahlen kann keine andere Gemeinde in ganz Tirol vorweisen.“
Ein möglicher Wegzug der unbeliebten, aber kaufkräftigen Freizeitwohnbesitzer ist Winkler allerdings auch nicht recht. Das offenbart er zumindest im „oe24“-Interview Anfang April. Auf die Frage, ob er befürchte, dass jene wegen der Kontrollen abwandern könnten, antwortete er: „Das ist eine logische Konsequenz. (…) Damit geht viel Kaufkraft und Wohlstand verloren.“ Mit Letzterem hat Winkler wohl recht. Für den durchschnittlichen Kitzbüheler gehen sich die Luxusimmobilien im Millionenbereich wahrscheinlich nur schwer aus, geschweige denn die ganzen Oldtimer für die Garagenstellplätze.
Eva Sager
seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.