Kärnten-Wahl: Bye-bye, Lei-Lei
Es kam wie aus der Pistole geschossen: „Rückholaktion“. So beantwortete der Kärntner FPÖ-Chef Erwin Angerer in der ORF-Elefantenrunde vor der Landtagswahl die Frage, woher dringend benötigte Arbeitskräfte kommen sollen, wenn man Migration nicht als Teil der Lösung, sondern des Problems sieht. Der blaue Ansatz: Statt aus Indien, Marokko, Türkei oder Syrien sollen die Zuwanderer aus Wien und Graz-Umgebung kommen. 100.000 Exil-Kärntner verortet Angerer in Wien. Weitere 40.000 Menschen sollen in Graz-Umgebung leben, für die Kärnten „lei ans“ (einmalig auf der Welt) ist, weil sie dort aufgewachsen sind, aber zu unattraktiv, um dort zu leben. Kärntner Maturatreffen lassen sich in Wien mitunter leichter organisieren als am früheren Schulort. Die Rückkehr nach Kärnten passiert, wenn überhaupt, oft erst in der Pension.
Kärnten ist das einzige Bundesland, dessen Bevölkerung langfristig schrumpft. Das senkt jenen Anteil am Steuerkuchen des Bundes, der sich an der Bevölkerungsgröße bemisst. Gleichzeitig stellt Kärnten nach dem Burgenland die zweitälteste Bevölkerung mit durchschnittlich 45,5 Jahren. Das erhöht die Ausgaben des Landes für Pflege und Gesundheit – bei ohnedies engen Spielräumen. Denn bei den Schulden hält das Bundesland nach wie vor die rote Laterne. Ein ungünstiger Mix in einer Zeit, in der selbst Zuwanderungsregionen unter wachsendem Arbeitskräftemangel leiden. Wie passt das mit dem sonnigen Bild von Kärnten zusammen, das Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) im Wahlkampf zeichnete? Und wie verhindern die Wahlsieger ein Minimundus-Szenario für das Bundesland?
„Kärnten wächst!“, betonte Kaiser, der seit 2013 im Land regiert, im Wahlkampf. Nach Jahrzehnten des Brain-Drains, also des Abflusses von Talenten zum Studium nach Graz und Wien, gebe es nun einen „Brain-Gain“. Sein Beleg für die „Trendwende“: Die Jahre 2020 und 2021. Im Zeitraum der Pandemie seien mehr Personen zugezogen als abgewandert, die Hälfte mit akademischer Ausbildung, zitiert er eine Studie der Fachhochschule Kärnten. Laut Statistik Austria reißt die Geschichte vom wachsenden Kärnten bereits 2024 jäh ab. Ab dann soll die Bevölkerung um zwei Prozent bis 2050 und sechs Prozent bis 2080 zurückgehen. In dieser Prognose ist Kärnten das einzige Bundesland auf Schrumpfkurs – am stärksten in der Gruppe der 20- bis 65-Jährigen. Da ist er wieder, der Brain-Drain. Was könnten Rückholaktionen für Exil-Kärntner daran ändern?
„Gibt es längst“, heißt es aus dem Büro Kaisers. Kaiser persönlich werbe seit 2013 bei Netzwerktreffen in Wien um die Rückkehr von Exil-Kärntnern. „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“, ist bei solchen Treffen ein viel zitierter Spruch. Vor drei Jahren wurde ein „Carinthian Welcome Center“ eingerichtet. Darunter sollte man sich kein mehrstöckiges Gebäude vorstellen, sondern ein Wohnungstürschild, eine Handy-Nummer und eine Mitarbeiterin, die beim Testanruf sofort zurückruft. Finanzielle Willkommensgeschenke gebe es nicht, dafür Unterstützung bei Amtswegen, erläutert sie. In den vergangenen drei Jahren wurde sie durchschnittlich alle zwei bis drei Tage kontaktiert. Zehn Personen seien seit Sommer 2022 nach Kärnten gezogen, die mit dem Center Kontakt hatten. Noch kein demografischer Game-Changer, bei rund 4500 Menschen, die in Kärnten pro Jahr auf die Welt kommen, und 6500, die sterben.
Auch der Weg aus der Schuldenfalle verläuft zäh. Mit rund 6500 Euro pro Kopf bleibt Kärnten weiter Schlusslicht in Österreich. Im Abkommen der Kärnten-Koalition 2018–2023 steht zwar schwarz auf weiß: „Die Sozialdemokratische Partei Kärntens und die Kärntner Volkspartei bekennen sich (…) zum Schuldenabbau.“ Tatsächlich stiegen die Verbindlichkeiten bis 2021 (aktuellster Wert). Die Pandemie kann nur bedingt als Ausrede dienen. Denn in Niederösterreich oder Salzburg sank die Pro-Kopf-Verschuldung trotz Lockdowns. Auch für 2022 und 2023 erwartet der Direktor des Kärntner Landesrechnungshofs, Günter Bauer, nicht, dass Kärnten vom letzten Platz wegkommt.
Ein sonnigeres Bild entsteht im historischen Vergleich. „Während die Finanzschulden von 2003 bis 2012 um 2,3 Milliarden gestiegen sind, gab es in den letzten zehn Jahren eine deutlich geringere Steigerung – von rund 800 Millionen.“ Die Großmannssucht des Rechtspopulisten Haider (FPÖ/BZÖ) wirkt jedoch bis heute nach. Die Pleite der ehemaligen Landesbank Hypo-Alpe-Adria, die Haider wie einen Bankomaten für Prestigeprojekte nutzte, kostet Kärnten noch heute 40 Millionen Euro jährlich. Kaiser und Finanzlandesrätin Gaby Schaunig verdanken frühere Wahlerfolge wesentlich dem Sanierer-Image nach den turbulenten Haider-Jahren.
Sinnbildlich für die Gigantomanie-Projekte des Bundeslands auf Steuerzahlerkosten mit anschließend harter Landung in der Realität – der Flughafen Klagenfurt. Unter Haider im Jahr 2005 erzielte der internationale Airport dank Subventionen für Billig-Airlines fast 500.000 Passagiere. Doch dann ging dem Land nicht zuletzt wegen der Hypo-Pleite finanziell die Luft aus. Die Mehrheit des Flughafens wurde 2017 an den Immobilieninvestor Lilihill Capital verkauft, mit der Auflage von mindestens 100.000 Passagieren pro Jahr. 2022 starteten und landeten 83.000 Passagiere. Das erinnert eher an einen Provinzflughafen. Ab Sommer soll die neue Airline „Liliair“ des Mehrheitseigentümers Lilihill Group mehrere deutsche Städte anfliegen. Die ÖVP glaubt nicht an eine Schubumkehr beim Passagieraufkommen und fordert die Reverstaatlichung des Flughafens. Davon sieht die SPÖ ab – nicht zuletzt aus Angst vor einem Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang.
Immerhin steht der Flughafen noch. Die Wörtherseebühne, die unter Haider 1999 als drittgrößte Freiluftbühne Österreichs installiert wurde – ohne ehrliche Kostenrechnung –, wurde 2015 abgerissen. Viele Kärntner reagieren seither allergisch auf großspurige Ansagen, deswegen hält Kaiser den Ball flach. Lieber redet der Landeshauptmann darüber, dass Kärnten im Jahr 2021 mit 7,3 Prozent das höchste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer verzeichnete. Dafür waren die Exporte des Kärntner Leitbetriebs Infineon in Villach maßgeblich. Nach der Eröffnung einer weiteren Chipfabrik im Jahr 2021 gingen 2022 fast zehn Milliarden Chips in alle Welt. Dass sich in den Tech-Parks des Landes weitere Paradebetriebe ansiedeln, und dadurch Tausende Neo-Kärntner zuziehen, ist die größte Hoffnung im Bundesland.
Kärnten hat sich wirtschaftlich erfangen. Manchen ist das Fahrwasser, in das Kaiser das Bundesland brachte, mit Blick auf die starken Abwanderungstendenzen dennoch zu ruhig. Der Chef des Team Kärnten, Gerhard Köfer, fordert eine eigene Technische Universität als Magnet für Studierende – und Konkurrenz zur TU Graz, die Kärntnerinnen und Kärntner anzieht und abzieht. Tatsächlich sank die Anzahl der Studierenden im technischen Zweig der FH Kärnten. Wegen des Ausbaus der Gesundheitssparte rechnet die Fachhochschule insgesamt dennoch mit einer steigenden Zahl an Studierenden.
„Haben wir wieder einen Kärntner mehr?“, scherzt eine Kärntner Genossin über das im historischen Abwanderungsland beliebte Köpfezählen. Doch Kaiser hat längst einen neuen Weg gefunden. Er zählt Kärnten und die Steiermark einfach zusammen. Durch die gedankliche Fusion der beiden Bundesländer entsteht der „zweitgrößte Ballungsraum Österreichs“ mit über einer Million Einwohner. Kaiser nennt ihn „Stern des Südens“. Das Zusammenwachsen ermöglichen soll der Koralmtunnel auf der Südbahn. Wenn zwischen Graz und Klagenfurt ab dem Jahr 2025 nur noch 45 Zugminuten liegen, können Studenten in Graz studieren – und am Abend wieder heim nach Kärnten fahren.
Kärnten-Wahl auf profil.at
Analysen, Kommentare, Reportagen, Einordnungen, Schlaglichter: Nach der Niederösterreich-Wahl berichtet das profil-Team auch über die Kärntner Landtagswahl umfassend. Verfolgen Sie am Wahlsonntag ab 16 Uhr unsere Berichte auf profil.at