Therapiestunde Teil 4
Kann man Authentizität lernen, Herr Koch?
In der Serie „Therapiestunde“ befragt profil Menschen nach den Lehren, die sie der Politik mitgeben können. Teil 4: Der Schauspieler und langjährige Professor am Max Reinhardt Seminar Roland Koch über glaubwürdige Emotionen, die Befreiung von Sprachhülsen und die Kunst, bei sich selbst zu sein.
Von Angelika Hager
Schriftgröße
Authentizität gilt als einer der wirksamsten Köder für Wählerstimmen. Kann man sich dieses Kapital aneignen?
Roland Koch
Das kann man sich nicht aneignen, und es ist auch nicht verordenbar. Genauso wenig, wie ich Studenten sagen kann: „Jetzt sei doch einmal ein bisschen begabt!“, so nützt es nichts, Politikern zuzurufen: „Bitte recht authentisch sein!“ Unter Druck geht gar nichts. Emotionen sind scheue Tiere, die sich sonst leicht verstecken. Berühmt brutal war da die Schauspielerin Elisabeth Bergner, die junge Kolleginnen mit Sätzen wie „Ich hab gehört, du seist so begabt. Warum zeigst du’s nicht?“ gerne verstörte. Dann war es natürlich ganz aus.
In der Serie „Therapiestunde“ befragt profil Menschen nach den Lehren, die sie der Politik mitgeben können.
Viele politische Protagonisten wirken mit ihren Bausatz-Phrasen wie im Labor getunt und übertrieben gecoacht. Was für einen einfachen Kniff gäbe es, um mit sich selbst glaubwürdig in Verbindung zu treten?
Koch
Ganz einfach: Man muss das politische oder im Falle des Schauspielunterrichts darstellerische Anliegen mit einem Detail oder einem Ereignis sinnlich zu verbinden versuchen. Etwas finden, das als Auslöser dient. Beispiel: Du musst einen Brückenbau der Öffentlichkeit schmackhaft machen und erzählst dazu die Geschichte, dass du schon als Kind von einer solchen Brücke geträumt hast, die den Schulweg abkürzt.
Das heißt, es wäre geschickt, seine eigene Biografie mit auf den Argumentationstisch zu legen?
Koch
Das wäre eine Möglichkeit. Aber es geht hauptsächlich darum, Gefühle in anderen zu triggern – das funktioniert allerdings nur, wenn man selbst lustvoll in die Fakten schießt und ein fast libidinöses Verhältnis zu politischen Fragen und Visionen entwickelt. Es geht nicht darum, wie es manchmal Studenten tun, den Bauchladen der greifbaren Emotionen mit einer spürbaren Halbherzigkeit runterzuspulen. Nur wenn sich diese Lust einstellt, kann man authentisch sein, was ja auch so viel wie Ich-Sein frei übersetzt bedeutet.
Das heißt, man sollte bei jeder Gesprächssituation im Vorfeld versuchen, einen persönlichen Bezugspunkt aus seinem Leben zu destillieren?
Koch
Wäre gut. In dem Moment, in dem eine Politikerin oder ein Politiker an die Öffentlichkeit geht, sollte sie oder er sich überlegen, wie man einen Einstieg in das Gespräch findet, der bewirkt, dass man in der Sekunde auch ganz bei sich sein kann und gar nicht versucht ist, eine Rolle zu spielen. Wenn man diese Beziehung und die sinnliche Begeisterung dazu herstellen kann, brauchen die Zuschauer gar nicht wissen, woher diese Gefühle kommen. Das ist dann völlig unbedeutend. Politik ist ja so ein abstrakter, technischer Raum, da fällt dann diese Art von emotional aufgeladenem Persönlichen auf besonders fruchtbaren Boden.
Kalt und schablonenmäßig wirkt oftmals die Sprache in der Politik, diese Fertigteilsätze, die viele in den TV-Duellen und Interviews von sich geben.
Koch
Weil sie keine Fehler machen wollen, denn sie stehen unter ständiger Beobachtung. Sie haben vor allem Angst, Stimmen zu verlieren. Das Ziel, welche zu gewinnen, kommt erst danach. Auch Schauspielstudenten haben Angst. Sie müssen ja etwas von sich offenlegen. Ein großer Schritt ist es, sich diese Angst einzugestehen. Die kannst du nicht bannen. Man darf diese Angst auch stellenweise zeigen. Politiker sind ja darauf konditioniert, für alle Probleme schnelle Lösungen anzubieten. Manchmal würde es genügen, die richtigen Fragen zu stellen und langfristiger zu denken. Das würde sie wahrscheinlich auch viel glaubwürdiger machen. Jetzt, in der Wahlkampfphase, taktieren natürlich alle in entsprechender Kurzatmigkeit, und ihr einzig sichtbares Ziel ist es, eine nächste Amtszeit für sich zuergattern. Ganz schwierig ist das, unter ständigerBeobachtung unter einem derartigen Lösungsdruck zu stehen.
Die sozialen Medien haben auch die politische Inszenierung völlig verändert. Der SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Babler integriert beispielsweise die Liebe zu seiner Frau fast penetrant in seinen Insta-Auftritten.
Koch
Das verschärft die Dauerbeobachtung zusätzlich. Ein falscher Satz auf so einer Plattform, und die Stürme brechen los. Da hatten es Politiker wie Kreisky wesentlich einfacher.
Roland Koch mit Ex-Studentin Verena Altenberger
Kreisky hat aber insofern erstmals auch eine gewisse Grenze ins Private überschritten, indem er sich beim Eierspeiskochen filmen und seinen Hund liebkosend fotografieren ließ.
Koch
Ja, aber man merkte damals ganz deutlich: Es macht ihm Spaß, man konnte das Sinnliche nachspüren. Kreisky war ein einzigartiger Glücksfall, da er die Balance zwischen seiner Aufgabe und der Liebe zum Leben und zu sich selbst großartig hinbekam. Auch wenn er teure Maßanzüge trug, nahm ihm das keiner übel, weil er sich eben nicht verstellt hat.
Wenn wir heute einen Blick auf die Spitzenkandidaten und -kandidatinnen werfen: Ungeachtet Ihrer ideologischen Präferenz, wer kann da am intensivesten mit Authentizität punkten?
Koch
Es ist leider eine Tatsache, dass die Rechten mit dem, was sie sagen, am stärksten emotional verbunden sind. Während die Linken eher zu einer Sowohl-als-auch-Argumentation tendieren, was natürlich auch dem Wesen einer Demokratie entspricht, identifizieren sich die Rechten hochgradig mit dem, was sie verkünden. Was zu einer paradoxen Glaubwürdigkeit führt. Generell wird der Arbeitstisch nahezu immer mitgefilmt, sprich Politik wird in der Öffentlichkeit gemacht, mit dem Resultat, dass jede Entscheidung öffentlich ausgetragen und in Diskussion gestellt wird.
Roland Koch, 65,
gebürtiger Schweizer, ist seit 1999 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters und unterrichtet am Wiener Max Reinhardt Seminar seit 18 Jahren Rollengestaltung. Koch hat vier Töchter und ist mit der Schauspielerin Nicola Kirsch verheiratet.
Sie haben eingangs erwähnt, dass man seine Angst zumindest stellenweise zeigen darf, um glaubwürdig zu wirken. Selten, aber doch gibt es seitens der Macht Entschuldigungen für Fehlentscheidungen und Übergriffe – Biden, Obama, Angela Merkel, um nur einige aufzuzählen. Ist das der richtige Weg zu mehr Stimmen?
Koch
Das kann man ein, zwei Mal so machen, aber auf die Dauer ist das nicht die richtige Methode. Man sollte insofern sicher wirken, als dass man bei seinen Entscheidungen, egal ob sie richtig oder falsch waren, bleibt und eventuell die Konsequenzen zieht.
Die Medientauglichkeit eines Politikers oder einer Politikerin überwiegt längst Kompetenz und Inhalt.
Koch
Das zeigte ja der Fall Pamela Rendi-Wagner ganz klar. Die Ex-SPÖ-Chefin war kompetent, inhaltlich klug, empathiefähig, konnte aber all ihre Fähigkeiten nicht in die Medientauglichkeit überführen. Inzwischen schlägt das Pendel allerdings schon ein wenig in die andere Richtung aus.
Das Optik-Thema verliert an Bedeutung?
Koch
Nun, der athletische, dynamische Politiker, wie Ex-Kanzler Christian Kern ihn verkörperte, passte perfekt in seine Zeit. Diese Sehnsucht nach einem athletisch geformten Menschen in einer athletischen Gesellschaft, der Disziplin und Konsequenz symbolisiert, verändert sich gerade wieder. Die, die bei John Harris regelmäßig trainieren, sind inzwischen auch schon ein paar Mal auf die Schnauze gefallen. Ich glaube inzwischen, dass Politiker wie Finanzbeamte aussehen sollten: hochseriös, verlässlich. Vom Typ, jemand, dem man sein Erspartes anvertrauen kann, der sich aber auch gut mit alten Whiskeys auskennt. Eine gewisse Form von Unberechenbarkeit wirkt erfrischend.
Verunsichert das die Wähler nicht viel mehr?
Koch
Viel verunsichernder finde ich diese Paktiererei, wo man tatsächlich das Gefühl hat, hinter verschlossenen Türen dominieren Deals und Packelei, nach dem Prinzip: „Wenn du mir nicht wehtust, lass ich dich auch in Ruh’.“ Eine gewisse Unberechenbarkeit, ein Abweichen vom Weg des geringsten Widerstands wäre gefragt. Wenn Politiker Pfade ohne die Sicherheit der ideologischen Leitplanken betreten würden, fände ich das durchaus erfrischend.
Wenn Sie mit einer neuen Rolle am Burgtheater oder im Film konfrontiert sind, wie nähern Sie sich da an?
Koch
Kriminologisch. Nehmen wir als Beispiel Richard III. Dass der böse ist, steht ohnehin schon bei Shakespeare, das brauche ich nicht zu spielen. Jetzt gilt es herauszufinden, warum der in seiner Perfidie so unfassbar freundlich sein kann. Meinen Studenten sage ich: Kümmert euch bei der Gestaltung der Rolle um das Gegenteil eures Vorurteils, das ihr euch über die Figur gebildet habt. Und findet heraus, warum der Krokodile liebt und unbedingt eines haben will. Genau dann beginnt es interessant zu werden. Möglicherweise kann man mit diesem Zugang auch die Psyche der Politik besser dechiffrieren.
Eint Schauspieler und Politiker Narzissmus als Voraussetzung für den Job?
Koch
Ich würde noch Investmentbanker dazunehmen. Sie alle gieren nach einer Form der Zuwendung. Wahrscheinlich haben viele zu wenig davon bekommen.
Newsletter
(profil.at)
|
Stand:
Angelika Hager
leitet das Gesellschafts-Ressort