Kanzler Karl Nehammer: Er ist ein Berliner
Karl Nehammer ist Kanzler-Lehrling, Olaf Scholz Kanzler-Azubi. Beide stecken mitten im ersten Lehrjahr. Zum Meister wird es noch dauern. Vergangenen Donnerstag hatten die Kanzler-Novizen in Berlin Gelegenheit, sich über ihre ersten Erfahrungen im Amt auszutauschen. Dazu muss man festhalten: Ein österreichischer Bundeskanzler in Deutschland ist weniger spektakulär als ein deutscher Bundeskanzler in Österreich, aber häufiger.
Sebastian Kurz flog zu seiner Zeit regelmäßig nach Berlin, nicht immer hatte Angela Merkel Zeit für ihn. Sie mochte ihn nicht besonders. Aber immerhin nahm sie ihn ernst. Schlimmer erging es Werner Faymann. Über ihn soll Merkel gesagt haben, er gehe in Sitzungen der EU-Regierungschefs ohne Meinung hinein und komme mit ihrer wieder heraus. Wer Faymann besser kennt, weiß, dass das nicht wahr sein muss. In Österreich war Merkel selten, und wenn, dann zum Vergnügen. Einmal besuchte sie das Neujahrskonzert, mehrmals die Salzburger Festspiele und 2008 das Finale der Fußball-EM zwischen Spanien und Deutschland im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Das Spiel ging für die Deutschen bekanntlich verloren und vielleicht deswegen auch Merkels Lust auf Wien.
Weinseligkeit
Der profil-Reporter war bei Nehammers Besuch in Berlin nicht dabei. Meistens ist es auch nicht ganz atemberaubend, mit einem österreichischen Kanzler nach Deutschland zu fahren. Das Protokoll ist streng, man sieht nicht viel. Beim ersten Mal war das anders: Als junger Berichterstatter begleitete der profil-Reporter Kanzler Viktor Klima nach Deutschland. Es war das Jahr 1998, die Hauptstadt der Bundesrepublik hieß noch Bonn, der dazugehörige Kanzler Gerhard Schröder, der später Merkel noch weniger ernst nehmen sollte als diese Werner Faymann. Zum Abschied sagte Schröder zu seinem Kumpel Klima (der profil-Reporter hatte sich heimlich herangepirscht): „Viktor, grüß mir doch deine Frau!“ Und Klima antwortete: „Gern, und schöne Grüße auch an deine!“ Mittlerweile haben beide andere Frauen.
1999 war Schröder auf Retourbesuch in Wien. Klima lud seinen Gast zum Heurigen. Für Wirbel sorgten anschließend Berichte, die beiden Kanzler hätten in weinseliger Stimmung Herrenwitze erzählt. Kein Wunder, dass sich ihre Frauen von ihnen trennten. Von den Witzen wurden leider nur Fragmente überliefert. Einer soll von einer Maus, einem Elefanten, einem Handy und einem Schwanz gehandelt haben. Die dazugehörige Pointe blieb ein Staatsgeheimnis. Viktor Klima schweigt bis heute.
Olaf Scholz ist keiner, der Herrenwitze erzählt, nicht einmal einem Österreicher. Heiter ging es bei dem Treffen vergangenen Donnerstag dennoch zu. Im Internet ist nachzusehen, wie Nehammer beim Fototermin irrtümlich vermeint, Scholz wolle ihm die Hand schütteln, die ausgestreckte Hand des österreichischen Bundeskanzlers ins Leere fährt und dort nichts mit sich anzufangen weiß. Nach zwei Jahren Social Distancing leidet eben auch die Handschlagqualität, gerade unter Spitzenpolitikern.
Nehammer & Steelhammer
Nach Scholz traf Nehammer den früheren Box-Weltmeister Wladimir Klitschko, dessen Bruder Witali Bürgermeister von Kyjiw (so die ukrainische Transkription der Hauptstadt) ist. Wladimir Klitschkos Spitzname als Boxer war „Dr. Steelhammer“. Nehammer ist Hobby-Boxer. Aus dieser Koinzidenz hätte sich ein lockeres Gespräch entwickeln können, zum Beispiel über Namenswitze oder auch Faustschlagqualität. Aber natürlich hatten Klitschko und Nehammer andere Sorgen, vor allem Klitschko.
Einer genaueren Exegese ist Nehammers in Berlin gefallene Bemerkung zu unterziehen, die Österreicher wären den Deutschen „menschlich, kulturell, politisch und wirtschaftlich sehr eng verbunden". „Wirtschaftlich“ ist klar, „politisch“ bezieht sich hoffentlich auf die Gegenwart und „kulturell“ auf Romy Schneider, Christoph Waltz und Senta Berger. Aber „menschlich eng verbunden“? Nun gibt es mit Sicherheit tausende deutsch-österreichische Beziehungen, beziehungsweise österreichisch-deutsche, darunter auch prominente. Die Verlobte des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil stammt aus Köln. Dort hat man ein Herz für Komiker, nicht nur im Karneval.
Aber solche deutsch-österreichischen Zwischenmenschlichkeiten hatte Nehammer wohl nicht im Sinn. Vielleicht dachte unser gebildeter Kanzler („Ich hatte Altgriechisch im Gymnasium“) an Hofmannsthal, der das Menschliche in Deutschen (im Original: Preußen) und Österreichern so schematisierte: Der Deutsche sei unfähig, „sich in andere hineinzudenken“. Der Österreicher wiederum könne sich in andere hineindenken „bis zur Charakterlosigkeit“. Das kann verbinden, vielleicht auch zwei Bundeskanzler im ersten Lehrjahr.
Sie lesen Folge 8, Staffel II einer Serie von Gernot Bauer über die heimische Innenpolitik. Alle bisher erschienen Teile von “Bauer sucht Politik” können Sie hier nachlesen.
Gernot Bauer
Der profil-Redakteur ergründet seit 20 Jahren Wesen und Unwesen der österreichischen Innenpolitik.
Alle bisher erschienen Folgen von "Bauer sucht Politik" können Sie hier nachlesen.