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Kaputt im System? Warum Corona für Populisten so schädlich ist

Das Corona-Schlamassel legte Österreichs politische Defizite schonungslos offen. Die Lehre aus dem turbulenten Jahr 2021: Populismus mag schillern, zur Bekämpfung einer Pandemie taugt er nicht.

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Wenn es derzeit einen Popstar der Kommunikationswissenschaft gibt, dann heißt er Bernhard Pörksen. Der deutsche Universitätsprofessor, der in seinem Standardwerk "Die große Gereiztheit" die Auswirkungen der Dauererregung im Netz analysiert, seziert die Muster der globalen Pandemie detailliert. Von ihm stammt der treffende Satz: "Der weltweite Kampf gegen das Coronavirus ist das größte Parallelexperiment im vergleichenden Regieren, das es jemals gab."

Österreich schnitt in diesem Experiment nicht besonders gut ab.

Wenn es einen Popstar der deutschen Konservativen gab, dann hieß er Sebastian Kurz: Er elektrisierte, er schillerte, er schürte bei Schwesterparteien wie der deutschen CSU die Hoffnung, dass Volksparteien nicht zum Schrumpfen verurteilt sind, dass moderne konservative Politik möglich und erfolgreich sein kann. Im Jahr 2021 allerdings verglühte sein Stern, und zwar rasanter, als es selbst seine Gegner für möglich gehalten hatten. Der tiefe Abstieg des lange erfolgsverwöhnten Kurz begann deutlich vor den Korruptions- und Chataffären und wurzelt im verkorksten Corona-Krisenmanagement.

Am 7. Jänner 2021 vermeldeten österreichische Boulevard-Medien knallig auf den Titelseiten: "Kanzler spricht Machtwort!" Corona-Impfstoff war damals absolute Mangelware, der zusehends angeschlagene Gesundheitsminister Rudolf Anschober geriet unter immer heftigeres unfriendly fire von Koalitionspartner ÖVP - und Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte Impfen vollmundig zur "Chefsache" und sich selbst zum energischen Krisenmanager und obersten Pandemiebekämpfer.

Am 2. Dezember 2021 verkündete Sebastian Kurz seinen Rückzug aus der Politik. Die Impfquoten waren niedrig, die Infektionszahlen extrem hoch, Österreich befand sich als einziger europäischer Staat im vierten landesweiten Lockdown, all die schönen Versprechen, dass die "Pandemie gemeistert" und Österreich als bestes Land durch die Corona-Krise gekommen sei - hochkant als pure Schwindeleien entlarvt.

Die elf Monate zwischen Anfang Jänner und Anfang Dezember können nachgerade als Lehrstück taugen, warum populistische Politik allerhand kann - zum Beispiel unterhalten, faszinieren oder verführen. Eines aber kann sie nicht: seriös regieren und damit in einem Dauerstresstest wie der Pandemie bestehen. Gewiss, auch anderen Staaten setzte die Corona-Endloskrise zu, auch andere Regierungschefs gerieten ins Wanken, niemand ritt alle Pandemie-Wellen souverän und ohne Vertrauensverlust. Aber: Schonungslos verdichtet, wie unter einem Brennglas, zeigte das österreichische Corona-Schlamassel die Defizite im heimischen Polit-System auf. Von pompöser Inszenierung und glänzendem Marketing lassen sich vielleicht manch Wählerinnen und Wähler blenden - Viren aber nicht.

Die berühmten Kurz-Sätze wie "Pandemie gemeistert", die klangen gut, die klangen populär, die sicherten Zuspruch. Notwendig wäre aber energisches Handeln gewesen, um die auf niedrigem Niveau dahindümpelnde Impfquote zu steigern, ein funktionierendes PCR-Testsystem aufzubauen, für 3G-Regeln am Arbeitsplatz zu sorgen, nicht Schlendrian bei Kontrollen im Wirtshaus einreißen zu lassen -kurz: im Sommer und Herbst 2021 rechtzeitig Vorsorge zu treffen, damit es zu keinem neuerlichen Lockdown im November kommt. Nichts davon passierte, nicht vom umfragegetriebenen Kanzler, nicht vom heillos überforderten Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, nicht von den Landeshauptleuten, die gern die Lage schönredeten. Denn ernsthafte Entscheidungen zu treffen, manchmal auch unpopuläre, das hat Österreichs Politik in den Jahrzehnten des Erfolgs der Populisten verlernt.

"Österreich ist eine Boulevarddemokratie. Der Boulevardsektor verstärkt den politischen Populismus"

Diese Entwicklung begann, bevor Sebastian Kurz überhaupt geboren wurde, mit Jörg Haiders Aufstieg im Jahr 1984. "Österreich war hier Vorreiter. Das populistische Moment ab den 1980er-Jahren war im internationalen Vergleich bemerkenswert und ging nicht mit Haiders Tod zu Ende. Die von ihm niedergerissenen Zäune konnten nicht mehr hochgezogen werden", analysiert Fritz Plasser, der Doyen der heimischen Politikforschung. Und: "Österreich ist eine Boulevarddemokratie. Der Boulevardsektor verstärkt den politischen Populismus."

Populistische Parteien gibt es in fast jedem Staat - in Österreich allerdings wurde Populismus sogar in etablierten Parteien salonfähig. Die SPÖ unter Bundeskanzler Werner Faymann versuchte ihre inhaltliche Leere durch mediengetriebene Politik zu übertünchen und sich das Wohlwollen der Boulevardmedien durch Inseratengeschenke zu sichern, auf Steuerzahlerkosten, versteht sich. Sebastian Kurz musste kein neues System erfinden, er fand es bereits vor.

Die rasante Beschleunigung der Politik in der Mediendemokratie, die immer kürzere Zeit, die für Entscheidungen bleibt, befördert zwangsläufig Oberflächlichkeit - wer nachdenkt, kommt für die Aufregung des Tages zu spät. Der Drang, auf Facebook, Twitter und Co. dauerpräsent zu sein, erleichtert den Aufstieg von charmanten Blendern und inhaltsleeren Sonnyboys - mehr als zwei, drei Sätze sind in den sozialen Medien nicht gefragt, Tiefgang und Substanz kein Kriterium.

Das zeitigt Konsequenzen: Politik wird hierzulande bevorzugt als schrilles Drama inszeniert. Schon in stinknormalen Routinezeiten ist häufig von Neuwahlen die Rede, jede auch noch so erwartbare Entscheidung wird als "Sensation" oder "Hammer" gedeutet, ohne Daueraufregung kommt die Politik kaum mehr aus. So hat Kurz Politik gelernt, so hat er Politik betrieben, auch in der Pandemie: mit gekonntem Getöse (Motto: Der Impfstoff Sputnik wird bald bestellt), markigen Sätzen (Tenor: Das Virus kommt mit dem Auto), kunstvollen Ablenkungsmanövern (etwa: Die EU/Migranten/Urlauber/Wiener sind schuld) und gezielten Intrigen gegen den Gesundheitsminister (Impfen Chefsache).

Der Vergleich macht sicher. Im Nachbarland Italien regiert seit Mitte Februar der nüchterne, knochentrockene ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Er spricht wenig, weder analog noch digital. Er hat keinen Facebook- und keinen Twitter-Account. Es dauerte Wochen, bis er seine erste Pressekonferenz gab. Das klingt weder unterhaltsam noch aufregend, ist es auch nicht. Aber der Technokrat Draghi lieferte: Impfpflicht für Gesundheitspersonal, 3G am Arbeitsplatz, 2G in Restaurants, rigorose Kontrollen. Dafür mitverantwortlich: General Francesco Figliuolo, Logistik-Chef der italienischen Armee, den Draghi gleich im März berief - zum Einsatz gegen Corona und für die Impfkampagne. Figliuolo versieht seinen Pandemie-Dienst gern in Uniform, komplettiert durch einen Gebirgsjägerhut mit weißer Gansfeder.

Das No-Nonsense-Duo ist erfolgreich, die Impfquote in Italien eine der höchsten Europas, so hoch, dass Deutschland das Erfolgsmodell kopiert: Die neue Ampel-Koalition ernannte Ende November Carsten Breuer, einen Generalmajor der Bundeswehr, zum Leiter des Corona-Krisenstabs.

Ausgerechnet von Italien lernen? Einem Staat, in dem Superpopulist Silvio Berlusconi alle Sitten hatte verlottern lassen? Ein Staat, über den Sebastian Kurz - wie über andere südliche Staaten - als "im System kaputt" abgelästert hatte? Im Lauf des großen Corona-Politikversagens sickerte die bittere Erkenntnis: Österreichs Polit-System weist gravierende Defizite auf. Den verantwortungslosen Populismus, der keine unpopulären Entscheidungen fällen kann, der mit der Angst spielt, der "das Volk" gegen "die Elite"(auch in den Varianten: Wien/das Parlament) in Stellung bringt, der gegen Wissenschaft ätzt, der Sündenböcke sucht.

"Ein Kernanspruch aller Populisten lautet stets ungefähr so: Wir - und nur wir - repräsentieren das wahre Volk"

"Ein Kernanspruch aller Populisten lautet stets ungefähr so: Wir - und nur wir - repräsentieren das wahre Volk", definiert der Politologe Jan-Werner Müller die Tendenz zur Spaltung als ein Lebenselixier der Populisten. Wer stets mit dem Finger auf andere zeigt, kann in der Krise kaum Brücken bauen, nicht zur Opposition, nicht zu den Ländern, nicht zur Wissenschaft. Eine nationale Kraftanstrengung, eine gemeinsame Strategie, wie für die Bekämpfung einer Pandemie hilfreich, entsteht so nie. Mit einer schier sektenhaft verengten "Buberlpartie", deren Haupteigenschaft kritiklose Verehrung ist ("Ich liebe meinen Kanzler"), lässt sich kein Staat regieren.

Nie wurde das derart offensichtlich wie im Corona-Ausnahmezustand. Ob die berühmte Balkanroute wirklich jemals geschlossen wurde, das wissen nur Polit- Feinspitze. Dass Österreich die Pandemie aber nicht "gemeistert" hat, sondern in den vierten Lockdown schluderte, das blieb niemand verborgen.

Wenig Wunder, dass das Parallelexperiment im vergleichenden Regieren zu vernichtenden Befunden führt: Das Meinungsforschungsinstitut Sora misst seit Jahren das Vertrauen in die heimische Demokratie. Mitte Dezember 2021 waren sechs von zehn Menschen überzeugt, dass das politische System in Österreich "weniger" oder "gar nicht gut" funktioniert.

Das ist der tiefste jemals gemessene Wert.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin