Österreich

Karmasin-Prozess: Heftiger Schlagabtausch zum Auftakt

„Opferrolle aufgeben“ – Die Staatsanwaltschaft warf der Ex-ÖVP-Ministerin „Sozialleistungsbetrug“ sowie Kartellbildung vor. Karmasin-Anwalt: Ermittler „rechtlich falsch abgebogen“.

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Es ist nicht der erste Gerichtsprozess im Zuge der umfangreichen Ermittlungen nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019. Doch nun geht es erstmals um eine ehemalige ÖVP-Spitzenpolitikerin. Und das führte am Dienstagvormittag, als die frühere Familienministerin Sophie Karmasin-Schaller im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts erstmals vor den Richter trat, für Hochspannung. 

Der Prozessauftakt gegen Karmasin und einen Mitangeklagten wurde zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und dem Anwalt der Ex-Ministerin, Norbert Wess. Die WKStA wirft Karmasin einerseits vor, nach ihrem Ausscheiden als Ministerin ihr Gehalt – auf betrügerische Weise – zu Unrecht weiterbezogen zu haben. Später soll sie dann als Meinungsforscherin bei mehreren Studienvergaben des Sportministeriums in verbotene Absprachen verwickelt gewesen sein – profil berichtete ausführlich.

WKStA: „Besonders verwerflich“ 

In einem mehr als gut einstündigen Eröffnungsplädoyer warf der Vertreter der WKStA Karmasin „Sozialleistungsbetrug“ vor – dies sei „besonders verwerflich“. Karmasin habe die Ministerfortzahlung bezogen, obwohl sie hohe Entgeltansprüche aus anderer Tätigkeit gehabt hätte. Ein Zuverdienst sei jedoch nicht erlaubt gewesen. Als die Angelegenheit ans Licht kam, sei zwar eine Rückzahlung erfolgt, jedoch nicht in rechtzeitig und in ausreichender Höhe, weshalb keine strafbefreiende „tätige Reue“ vorliege. 

In Bezug auf die Ministeriumsstudien sprach der Vertreter der WKStA von einem „Karmasin-Kartell“, bei dem lediglich die Ex-Ministerin profitieren sollte. Das wahre Motto Karmasins habe gelautet: „Immer mehr, nie genug – und zahlen sollen die Anderen.“ Die WKStA warf Karmasin und ihrer Verteidigung vor, durch Vorwürfe gegen Ermittler und Medien eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Gegen Ende seines Plädoyers wandte sich der Vertreter der Anklagebehörde direkt an die Ex-Ministerin und rief sie dazu auf, die „Opferrolle“ aufzugeben und „ihr Fehlverhalten einzugestehen“. 

Anwalt: „Karmasin freizusprechen“ 

Karmasins Verteidiger Norbert Wess replizierte in seinem Eröffnungsplädoyer umgehend: Was die ermittelten Sachverhalte betrifft, sei man gar nicht so weit voneinander entfernt, die WKStA sei allerdings bei der rechtlichen Einordnung „falsch abgebogen“. Bezüglich der Studien habe das Ministeriums immer Karmasin beauftragen wollen. Die anderen eingeholten Angebote, welche gemäß Anklage auf Basis von Absprachen erstellt wurden, hätten nur der internen Dokumentation gedient. Selbst eine Direktvergabe wäre rechtlich zulässig gewesen. In Bezug auf die Entgeltfortzahlung sei die Rückzahlung korrekt als „tätige Reue“ erfolgt. „Das liegt vor, und das ist es“, hielt Wess fest. Karmasin werde freizusprechen sein. 

Mitangeklagt ist ein Mitarbeiter des Sportministeriums. Auch dessen Anwalt hielt fest, dass sein Mandant unschuldig sei. Auf höherer Ebene im Ministerium habe man Karmasin beauftragen wollen. Sein Mandant habe in der Folge kein strafrechtliches Verhalten gesetzt. 

Der Prozess stellt die erste Bewährungsprobe für die Kronzeugin Sabine Beinschab dar. Die frühere Meinungsforscherin spielt eine wichtige Rolle bei Ermittlungen, die sich auch gegen den früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz richten. Der Ex-Kanzler bestreitet sämtliche Vorwürfe. profil berichtete vergangene Woche über den Stand des weit verzweigten Ermittlungskomplexes. 

Ein Urteil im Karmasin-Prozess ist im Mai zu erwarten. Die frühere Familienministerien betonte zwar immer, nicht ÖVP-Mitglied zu sein, saß aber mehrere Jahre lang auf einem Ticket der Volkspartei in der Regierung. profil widmete Karmasin vor einigen Tagen ein ausführliches Porträt, das Sie hier lesen können.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.