Justiz

Ex-ÖVP-Ministerin Karmasin zu 15 Monaten bedingt verurteilt

Der Prozess gegen Ex-ÖVP-Ministerin Sophie Karmasin endete in erster Instanz wegen des Verdachts der Kartellbildung mit 15 Monaten bedingter Freiheitsstrafe. Vom schweren Betrug wurde sie freigesprochen.

Drucken

Schriftgröße

Sophie Karmasin schlug bei der Urteilsverkündung die Hände vor dem Gesicht zusammen und brach in Tränen aus. Das war die erste offensichtliche Gefühlsregung der Ex-ÖVP-Familienministerin, die am Dienstag fast zehn Stunden regungslos auf der Holzanklagebank im großen Schwurgerichtssaal im Wiener Landesgericht saß.

Drei Tage lang waren bereits Zeugen und Beschuldigte vernommen worden, um folgenden Sachverhalt zu klären: Hat Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin nach ihrem Ausscheiden aus der Politik im Jahr 2017 Gehaltsfortzahlungen in der Höhe von rund 80.000 Euro erschlichen? Darüber hinaus wird ihr auch vorgeworfen, Studienaufträge des Sportministeriums unlauter an Land gezogen zu haben. Es ging also um schweren Betrug und illegale Absprachen. Strafrahmen: bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe.

Der Richter brummte der 15 Monate auf - bedingt, die U-Haft-Zeit wird angerechnet. Er befand sie wegen des Verdachts der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen für schuldig. Was ihre Gehaltsfortzahlungen als Ministerin anging sprach er sie frei. Obwohl er festhielt: "Das ist klar eine Betrugshandlung, wie wir sie selten haben. Sie haben in vollem Bewusstsein gehandelt, dass das nicht in Ordnung kam." Was Karmasin aber zugute kam: Sie hatte den Schaden durch Rückzahlung schon gutgemacht - insofern war niemandem ein solcher entstanden. 

Die Anklagebank

Neben Sophie Karmasin saß auch ein Beamter des Sportministeriums auf der Anklagebank. Er soll der Ex-Ministerien Studienaufträge zugeschanzt haben.

Karmasin hatte die meisten Vorwürfe bestritten – und versucht, sich mit „tätiger Reue“ aus dem Dilemma zu retten, indem sie die Gehaltsfortzahlungen nach Aufkommen der Affäre zurückbezahlt hatte. Allerdings auf zwei Tranchen. Karmasin, damals schon in U-Haft, ließ im März 2022 über ihren Anwalt 62.000 Euro an den Staat zurücküberweisen. Die Recherchen des ORF-Journalisten Martin Thür ergaben aber eine andere Summe: nämlich rund 80.000 Euro. Als er Karmasins Anwalt danach befragte, überwies der weitere knapp 18.000 Euro. „Der errechnete Bruttobezug der der Bezugsfortzahlung beläuft sich auf 78.589,95“, schrieb später das Bundeskanzleramt in einer E-Mailverkehr mit der Staatsanwaltschaft.

Harte Vorwürfe im Schlussplädoyer

Diese Schadenswiedergutmachung rechneten Staatsanwälte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Karmasin in ihren Schlussplädoyers am Dienstag auch als Milderungsgrund an. Danach folgte jedoch ein langer Vortrag an Erschwernisgründen: Karmasin habe gleich mehrere strafbare Handlungen gesetzt, indem sie nach dem Ausscheiden aus der Politik im Frühjahr 2018 trotz Gehaltsfortzahlung immer wieder Aufträge angenommen habe, obwohl sie gewusst habe, dass es nicht erlaubt sei.

Immerhin habe ihr ein Beamter auf Nachfrage sogar zwei Mal schriftlich mitgeteilt, dass sie nichts dazuverdienen dürfe. Noch dazu habe sie das selbst in einem Email an eine mutmaßliche Komplizin so formuliert und Rechnungen für bereits erbrachte Leistungen auf ein späteres Datum verlegt, um den Zuverdienst zu verschleiern.

Weiters soll Karmasin strafbare Handlungen orchestriert und andere dazu angestiftet haben: Nämlich indem sie zwei andere Meinungsforscherinnen dazu bewegt haben soll, Scheinangebote an das Sportministerium zu stellen. Das Ziel: Karmasin sollte daraus als günstigste Anbieterin hervorgehen und den Zuschlag erhalten. Die WKStA bezieht sich dabei auf mehrere Emails und Aussagen der Kronzeugin Sabine Beinschab – und klagte einen Spitzenbeamten aus dem Sportministerium gleich mit an  profil berichtete ausführlich über die Vorwürfe.

Die Staatsanwälte der WKStA

Roland Koch (li) und Gregor Adamovic hielten ein mit Witzchen gespicktes Plädoyer

„Konsequent gegen das Gesetz verstoßen“

Die Staatsanwälte warfen der Ex-Ministerin außerdem besonders verwerfliche Beweggründe vor: Sie habe trotz ihrer guten wirtschaftlichen Situation ohne Not derart gehandelt. Sie habe außerdem durch ihr Verhalten das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen des Staates geschädigt.

„Wir wissen nun, dass Frau Karmasin schon als Ministerin konsequent gegen das Gesetz verstoßen hat, indem sie verbotenerweise dazuverdient hat“, sagte Staatsanwalt Gregor Adamovic in seinem Plädoyer. Er verpackte seine rechtlich komplexen Argumente nebst ein paar launigen Witzchen in einfache Sprache für das Publikum – und vor allem für die Schöffen, die per Zufall aus der Bevölkerung bestellt werden und gemeinsam mit dem Berufsrichter am Ende des Tages zu einem Urteil kommen müssen.  Wer mit seinen Argumenten bei dieser Jury durchkommen möchte, muss sich demnach quasi um eine Übersetzung für Nicht-Juristen bemühen und die Laien-Richter bei Laune halten.
 

Gut gelaunte Kronzeugin

Sabine Beinschab sagte zig Stunden gegen Karmasin aus. Zuerst vor der Staatsanwaltschaft und dann vor Gericht.

Das versuchte auch Karmasins Verteidiger, Norbert Wess, der mehrfach an das Gewissen der Schöffen appellierte und sein durchaus emotionales Plädoyer in gebeugter Haltung ausführte. Das war keine Demutsgeste, sondern einem kaputten Mikrofon geschuldet. Wess vertiefte sich ins Vergaberecht und führte aus, dass das Sportministerium seiner Meinung nach korrekt gehandelt habe.

Er rechnete vor, dass Karmasin am Ende des Tages sogar zu viel Geld an den Staat zurückbezahlt hat – weil die Lohnsteuer ja eigentlich vom Arbeitgeber (also dem Staat) abzuführen gewesen sei. Karmasin habe in ihrer Rückzahlung auch diesen Betrag berücksichtigt. Er dozierte über schlecht geführte elektronische Akten aus Ministerien, zog Parallelen zu einem Groß-Verfahren zu Baukartellen. Der Verteidiger gab sich kämpferisch, seine Stimme überschlug sich vor Eifer. Er zitierte auch Urteile des Oberlandesgerichts und des Obersten Gerichtshofes, um selbst festzuhalten, dass man hier am Ende des Tages wohl landen werde. Das könnte sein. Ob Rechtsmittel eingelegt werden ließen sowohl WKStA als auch die Verteidigung offen.

Karmasins Verteidigung

Die Ex-Familienministerin Sophie Karmasin mit ihren Verteidigern Philipp Wolm (li.) und Norbert Wess.

Karmasin: „Vorwürfe zu Unrecht“

Nach den Verteidigerplädoyers nahm Karmasin einen großen Schluck Red Bull Sugarfree und ergriff das Schlusswort, berichtete über ihre U-Haft – und widersprach der WKStA, dass sie dort gut behandelt worden wäre. „Wenn man vier Mal in der Nacht in der Zelle das Licht aufgedreht bekommt, ist das keine so gute Behandlung. Und das ist nur eine von vielen Erfahrungen, die ich im österreichischen Gefängnis gemacht habe.“

Und:  „Ich möchte sehr deutlich sagen, ich bin kein Opfer. Ja, ich habe Fehler gemacht. Ich will das erläutern, aber ich will nicht dafür Verantwortung nehmen, was mir zu Unrecht vorgeworfen wird.“

Sie habe die Entgeltfortzahlen wirklich zutiefst bereut – und sei an ihren Anwalt herangetreten, der den zurückzuzahlenden Betrag „mit bestem Wissen und Gewissen ermittelt hat.“ Sie sei in einer Ausnahmesituation gewesen: „Das Familienunternehmen war weg, ich hatte einen politischen Stempel, kein Rückkehrrecht auf ein Anstellungsverhältnis. Ich war sehr verzweifelt. Das alles, was ich getan habe, waren für mich Vorbereitungsarbeiten für mein neues Leben.“

Karmasin äußerte sich auch zu der Kronzeugin Sabine Beinschab: „Ich bin ihr zur Seite gestanden, ich habe sie ausgebildet, ich habe sie aufgefangen, als ihr Unternehmen am Boden war, als sie jede Woche in mein Büro kam und bei mir und meiner Mutter geweint hat. Ja, ich habe ihr Aufträge vermittelt, die sie sonst nie bekommen hätte – und dafür habe ich eine handelsübliche Provision bekommen. Sie hat bis zu einer Million Euro damit verdient und mir erzählt, dass sie sich in Kärnten ein Haus gekauft hat. Sie braucht hier nicht die Arme zu spielen.“

Zu den Auftagsvergaben sagte sie: "Ich habe Fehler gemacht, aber ich habe niemanden geschädigt. Es war anders. Das Sportministerium bat mich, Schubladenangebote, die nicht notwendig waren, einzuholen. Ja, ich habe mich nicht dagegen ausgesprochen, ich habe mich da einspannen lassen, um interne Vorgaben zu erfüllen, obwohl der Auftrag ja schon vergeben hat.“

Ihre Worte nützten nicht viel. Sie wurde dennoch verurteilt. Der Beamte des Sportministeriums wurde freigesprochen.

Bessere Zeiten

Sophie Karmasin und Kanzler Sebastian Kurz waren einmal ganz oben. Jetzt sind sie beide Beschuldigte in einem Mega-Korruptions-Ermittlungsverfahren.

Prozess als Aufwärmrunde in Sachen ÖVP?

Bei diesem Prozess könnte es sich allerdings auch um so etwas wie eine Aufwärmrunde gehandelt haben. Das erstinstanzliche Urteil gegen Karmasin ist der erste Richterspruch im weitläufigen Verfahrenskomplex nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos, der eine hochrangige Persönlichkeit aus dem Umfeld der ÖVP betrifft. Die frühere Meinungsforscherin hat sich zwar immer gerne als parteifrei dargestellt, saß aber immerhin mehrere Jahre lang auf einem Ticket der Volkspartei als Familienministerin in der Regierung – profil widmete ihr zuletzt ein ausführliches Porträt.

Und Karmasin taucht auch in einem anderen Zusammenhang in den Akten der WKStA auf: In einem Ermittlungsstrang, der direkt die ÖVP und den früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie dessen engstes politisches Umfeld betrifft.

Die WKStA ermittelt wegen des Verdachts, der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, könnte dafür gesorgt haben, dass das Ministerium – auf verdeckte Weise – für Meinungsumfragen bezahlte, die zumindest teilweise der ÖVP unter Sebastian Kurz zugute kamen. Beschuldigt sind auch der Ex-Kanzler selbst sowie mehrere seiner einst engsten politischen Mitstreiter – alle weisen sämtliche Vorwürfe zurück. Dieser Verfahrensstrang befindet sich noch im Ermittlungsstadium.

Die Kronzeugin

Sabine Beinschab war einst eine enge Freundin Karmasins. Heute ist sie Kronzeugin für die Staatsanwaltschaft, die gegen sie ermittelt.

Bewährungsproben mit Signalwirkung

Der nun zu Ende gegangene Karmasin-Prozess könnte jedoch in mehrerlei Hinsicht Signalwirkung haben. Anders als bei früheren Gerichtsverfahren aus dem Ibiza-Komplex wurde die WKStA nun von Mitgliedern jenes Kern-Teams vor Gericht vertreten, das besonders intensiv mit den Haupt-Ermittlungssträngen des Post-Ibiza-Verfahrens betraut ist. Das Verfahren kann diesbezüglich durchaus als eine Art erste Bewährungsprobe gesehen werden. Kein Wunder, dass die viertägige Hauptverhandlung praktisch von Beginn weg immer wieder von durchaus heftige Schlagabtäuschen zwischen Karmasins Verteidiger Norbert Wess und den Oberstaatsantwälten der WKStA geprägt war.

Ebenfalls eine erste Bewährungsprobe vor Gericht hatte die frühere Karmasin-Geschäftspartnerin Sabine Beinschab. Die Meinungsforscherin hat mit einem Geständnis als Kronzeugin die Arbeit der WKStA im Ermittlungsverfahren unterstützt. Auch vor Gericht belastete Beinschab die Ex-Ministerin schwer. Wer sich einen verängstigten oder unsicheren Auftritt erwartet hätte, wurde eines gänzlich Anderen belehrt – profil berichtete dazu aus dem Gerichtssaal.

Die Art, wie sich die Kronzeugin präsentierte, könnte manch anderem Beschuldigte im noch laufenden Ermittlungsverfahren zu den Ministeriumsstudien zu denken geben. Kurz selbst wurde von Beinschab dort zwar nicht zusätzlich belastet – mit ihm habe sie schlichtweg nichts zu tun gehabt. Allerdings belastete die Kronzeugin einen sehr engen früheren Mitarbeiter des einstigen Parteichefs und Bundeskanzlers und sagte aus, dass die fragwürdige Konstruktion viel länger gelaufen sei, als bis dahin von den Ermittlern angenommen hatten. Demnach hätte es jahrelang heimliche Umfragenaufträge aus dem Kanzleramt gegeben – bezahlt mit Steuergeld.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.