Keine Impfung, kein Job
Die sechste Staffel der „Vorstadtweiber“ ist seit Anfang Juni im Kasten. Es war der letzte Streich der ORF-Erfolgsserie. So bleibt es den Machern erspart, Nina Proll aus dem Drehbuch zu eliminieren. Anders verhält es sich mit Eva Herzig. Ihre Rolle wird aus dem nächsten „Steirerkrimi“, einer Produktion für ORF und ARD, gestrichen. Proll und Herzig: zwei populäre Schauspielerinnen, denen der Zutritt auf Filmsets verwehrt bleibt, weil sie eine Impfung gegen Covid-19 verweigern. „Ich sehe derzeit keinen Anlass, mich impfen zu lassen“, sagt Proll zu profil. „Mir geht es um die Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper“, sagt Herzig. Beiden erscheinen die Nebenwirkungen der Impfung noch als zu unerforscht.
In Österreich gibt es keine Impfpflicht gegen Covid-19. Doch der Druck auf Impfverweigerer steigt stetig – besonders am Arbeitsmarkt. Nicht nur am Filmset heißt es: Keine Impfung, kein Job. Auch im Gesundheitswesen, in der Altenpflege, in der Obdachlosenbetreuung bis hin zu Fachhochschulen werden Impfpflichten zur Norm. Selbst in der Gastronomie oder Nachtclubszene könnte es eng werden für Impfmuffel. Denn der rechtliche Spielraum für die Arbeitgeber, eine Impfung einzufordern, ist erstaunlich groß. Und sie haben gute Argumente.
Geschützte Kussszenen
„Bei einem Filmdreh treffen viele Menschen auf sehr engem Raum in sehr intensivem Kontakt aufeinander – im Kernbereich der Schauspieler ohne Möglichkeit, Maske zu tragen“, erklärt der Direktor des Filminstituts Roland Teichmann. Er ist für die Filmförderungen des Bundes zuständig. Deswegen würden „praktisch alle namhaften Filmfirmen in Österreich aktuell darauf schauen, dass nur geimpfte Personen am Set erscheinen“. Proll will sich stattdessen lieber täglich testen lassen. Die Schauspielerin versteht nicht, warum die 3-G-Regel (getestet, genesen, geimpft) in der Branche nicht mehr gelten soll. „Das ist eine brandgefährliche Entwicklung hin zu einer Zweiklassengesellschaft: eine klassische Diskriminierung.“
Im rein arbeitsrechtlichen Sinne ist es das nicht. Denn Firmen können sich aussuchen, wen sie anstellen. „Niemand kann Arbeitgeber daran hindern, Impfung als Aufnahmekriterium zu definieren“, erklärt der Direktor der Arbeiterkammer Christoph Klein. „Was nicht geht, ist eine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung“, sagt Klein. Trockener Zusatz: „Impfverweigerung ist nach aktuellem Rechtsstand weder Religion noch Weltanschauung.“
Die Filmbranche ist auch deswegen Vorreiterin bei der Impfpflicht, weil Schauspieler, Kameraleute, Requisiteure oder Visagisten von Dreh zu Dreh oft nur kurzfristig beschäftigt sind – oft nicht länger als zehn Tage. Mit jedem neuen Dreh entsteht ein neuer Vertrag – und die Impfpflicht kann eingefordert werden. Im Theater, mit ähnlich engen und intimen Arbeitsverhältnissen, sind zumindest die Stammschauspieler des Ensembles längerfristig angestellt. Gehen populären Serien und Filmproduktionen nun die Schauspieler aus? Bei der Filmgewerkschaft verzeichnet man etliche Anfragen von Schauspielerinnen, die der Impfung skeptisch gegenüberstehen. „Darunter ist auch eine Schwangere“, erzählt Maria Anna Kollmann von der Interessensvertretung der Filmschaffenden. „Einen besseren Rat, als sich impfen zu lassen, wenn es irgendwie vertretbar ist, können wir derzeit nicht geben. Denn die Verträge sind kaum anfechtbar.“ Impfverweigerer bleiben dennoch die Ausnahmen, denn auch in der Filmbranche überwiege die Bereitschaft zur Impfung, sagt Kollmann.
Wie viele Produzenten bei Proll und Herzig gar nicht mehr anklopfen, können die beiden nur erahnen. Herzig spielt derzeit in einem Freilufttheater, das nicht auf einer Impfung besteht. Proll dreht mit der Filmfirma des deutschen Schauspielers Til Schweiger, der von ihr keine Impfung verlangt habe. Ab August dreht sie eine Serie für ServusTV – jenem Sender, der Skeptikern von Anti-Corona-Maßnahmen, manchmal auch Verschwörungstheoretikern, eine breite Bühne gibt. Um Proll und Herzig muss man sich existenziell wohl keine Sorgen machen. In anderen Branchen wird es mit den Ausweichmöglichkeiten schon deutlich enger.
Nach Masern, Mumps und Röteln auch Covid-19
Nur eine Frage der Zeit war die Impfpflicht in Spitälern. Schon jetzt müssen Ärzte, Pfleger oder Reinigungskräfte bei Neuanstellung gegen Infektionskrankheiten wie Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Varizellen oder Hepatitis B immunisiert sein. Wien und das Burgenland haben nun auch Covid-19 in diese Liste aufgenommen. Die neue Impfpflicht berührt jetzt auch die Ausbildung. „Für Studierende der Gesundheits- und Krankenpflege ist ab dem Wintersemester 2021/22 ein Impfnachweis zu erbringen“, sagt ein Sprecher der Fachhochschule Campus Wien zu profil. Begründet wird dieser Schritt mit den notwendigen Praktika in den Krankenhäusern.
Salzburg wartet noch zu. Das Bundesland drängt auf eine Empfehlung des Bundesministers für ganz Österreich. Doch Wolfgang Mückstein spielt den Ball zurück. „Der Minister befürwortet eine Impfpflicht im Krankenhaus. Für eine Empfehlung an die Spitalsbetreiber und Bundesländer fehlt ihm aber die rechtliche Grundlage“, sagt sein Sprecher. Auch Niederösterreich hätte die Frage gerne zentral geregelt. Doch nun wird die Covid-19-Impfpflicht für neues Personal eigenständig auf den Weg gebracht. Weiterhin auf Freiwilligkeit setzen Kärnten und Oberösterreich. „Wir gehen davon aus, dass bei neuen Bewerberinnen und Bewerbern die Impfbereitschaft hoch sein wird. Daher ist eine Impfpflicht kein Thema“, sagt ein Sprecher von Oberösterreichs Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander (ÖVP).
Zwischen Jugendtreff und Altersheim
Für Impfverweigerer auf Arbeitssuche werden nicht nur Spitäler, sondern auch soziale Einrichtungen langsam zu No-Go-Areas. Vergangene Woche weitete Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) die Impfpflicht für neues Personal auf den gesamten Sozialbereich aus – von der Jugendarbeit über die Obdachlosenbetreuung bis hin zu den Altersheimen. Und auch die ersten privaten Betreiber gehen diesen Weg. Die Caritas Wien mit ihren rund 5400 Beschäftigten verlangt ab Juli einen Impfnachweis von neuen Mitarbeitern, bestätigt ein Sprecher gegenüber profil. Auch hier sind alle Bereiche – vom Altersheim, Asylheim bis zum Obdachlosenzentrum „Gruft“ – betroffen. Eine Ausweitung der Regelung auf die restlichen Bundesländer wird aktuell verhandelt. Bei der Caritas Wien rücken jährlich zwischen 500 und 1000 Personen nach. Die hohe Fluktuation zeigt, wie rasch die Impfpflicht für „nur“ neues Personal de facto zur generellen Impfpflicht werden wird.
Der Pflegebereich ist mit 130.000 Beschäftigten eines der großen Berufsfelder am heimischen Arbeitsmarkt. Sind die Impfmuffel unter den Beschäftigten bald zur Arbeitslosigkeit verdammt? Beim Wiener Arbeitsmarktservice sind aktuell 10.000 Personen aus diesem Bereich arbeitslos gemeldet. Was die Impfpflicht in der Jobvermittlung bedeutet, erklärt ein Sprecher exemplarisch: „Wir fragen, ob unsere Klienten geimpft sind. Wenn sie dazu nicht bereit sind, prüfen wir die Vermittlung in ein anderes Bundesland ohne Impfpflicht oder eine Umschulung. Wir zwingen niemanden zur Impfung.“ Nach sechs Monaten fällt der Berufsschutz. Dann müssen arbeitslose Impfverweigerer in fremden Branchen vorstellig werden. Was kommt dann noch infrage?
Bald „1 G“ statt „3 G“ in der Gastronomie?
Der Wiener Gesundheitsstadtrat erhöht den Impfdruck derzeit ganz strategisch. „Wenn bis Herbst nicht 80 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft sind, wird es dramatisch“, warnt Peter Hacker vor einer neuerlichen Corona-Welle. Den schwarzen Peter haben dann die Impfverweigerer. Jüngere Menschen will Hacker mit einer neuen Losung zur Impfung bringen: „1 G statt 3 G“. So hat er vorgeschlagen, dass ab August Tanzclubs für Geimpfte bis in die Morgenstunden öffnen können. Ein Test würde für den Zutritt dann nicht mehr reichen. Was für Gäste gilt, gilt fürs Personal umso mehr.
Eine Impfpflicht ist über kurz oder lang in allen Branchen mit engem Kundenkontakt denkbar. Rasch umsetzbar wäre sie, wegen der hohen Fluktuation, in der Saisongastronomie. Bei jeder Neuanstellung vor der Saison könnten Arbeitgeber die Impfung zur Bedingung machen. Arbeiterkammer-Direktor Klein bereitet sich darauf vor, sieht aber eine Schranke gegen durchgängige Impfpflichten am Arbeitsplatz: den Fachkräftemangel. „Angesichts der Personalknappheit gerade in der Gastronomie und vielen anderen Branchen ist es wohl empfehlenswerter, Überzeugungsarbeit zu leisten, als Bewerbern sofort mit der Impfpflicht zu kommen.“
Dürfen Chefs wissen, ob ich geimpft bin?
Die Arbeiterkammer erreichen derzeit Hunderte Anfragen von Menschen, die eine Heidenangst vor der Impfung haben, aber am Arbeitsplatz Druck verspüren, sich die Spritze zu holen. Wie geht man damit um? „Wir klären auf, dass man nicht zur Auskunft über den Impfstatus oder zur Impfung selbst gezwungen werden kann“, meint der Arbeiterkammer-Direktor. „Wir sagen aber auch dazu, dass wir nicht ausschließen können, dass damit zusammenhängende Kündigungen vor dem Arbeitsgericht halten.“ Es komme immer auf den Einzelfall an, ob der Schutz der individuellen Arbeitnehmerrechte oder das allgemeine Interesse an einem sicheren Arbeitsumfeld überwiege.
Und wie steht es um Arbeitnehmer, die wie Proll und Herzig bereit sind, sich statt der Impfung täglich testen zu lassen? „Bei einer Kündigung bräuchte es einen Nachweis, dass die Impfung besser schützt als ein Test. Das deutsche Robert Koch-Institut sieht Tests und Impfung aktuell als gleichwertig an, doch das kann sich schon morgen durch eine neue Studie ändern“, sagt Klein.
Es wird rechtliches Neuland betreten. Die ersten Präzedenzfälle stehen an. So hat ein niederösterreichisches Spital einen Pfleger ohne Impfung entlassen. Ein Lebensmittelhersteller hat seine Mitarbeiter genötigt, den Impfstatus offenzulegen. Beide Fälle landen vor Gericht. Klein: „Ich bin selbst gespannt, wie das ausgeht.“