Trauriger studentischer Mitarbeiter.
Universität

Kettenverträge und Zukunftsangst: Wie die Unis junge Wissenschafter vertreiben

Prekäre Arbeitsverhältnisse treiben hoch ausgebildete Universitätsangestellte in die Privatwirtschaft und ins Ausland.

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Kettenvertragsregelungen, wenig Chancen auf fixe Übernahmen und fehlendes Wissen rund um das eigene Dienstverhältnis. Wer in einer österreichischen Universität arbeitet, muss sich oft mit prekären Arbeitsbedingungen zufrieden geben. Das bestätigt auch eine neue Studie in Kooperation mit dem Netzwerk Unterbau Wissenschaft (NUWiss) die Arbeitsbedingungen des Mittelbaus auf österreichischen Universitäten untersucht hat. Dafür wurden insgesamt 2300 Universitäts-Mitarbeiter:innen österreichischer Hochschulen befragt. 

Die Grundstimmung in den Fakultäten ist laut der Auswertung vor allem geprägt durch Unsicherheit im Bezug der eigenen beruflichen Zukunft, der Angst vor einem Jobverlust oder keiner neuen Vertragsverlängerung oder die Unvereinbarkeit der akademischen Arbeit mit dem Privatleben und deren Einfluss auf die eigene mentale Gesundheit. Dabei beklagten viele Mitarbeiter:innen sich etwa darüber, dass sie aufgrund der unvorhersehbaren Situation am akademischen Jobmarkt, direkt nach Antritt einer neuen (befristeten) Stelle, bereits die nächste Anstellung suchen müssen.

Die Arbeitsplatzsituation ist sehr instabil. Die Menschen müssen sich oft sofort nach dem Antritt einer Stelle nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten umsehen, anstatt sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Oder man muss sich mit kleinen Nebenjobs über Wasser halten, um seine berufliche Situation zu stabilisieren.

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Abwanderung ins Ausland und in die Privatwirtschaft

Rund 90 Prozent der Forscher:innen und Lektor:innen unterhalb der Professur seien nur befristet angestellt, rechnet das Netzwerk Unterbau Wissenschaft (NUWiss) vor. Insgesamt seien das 34.000 Wissenschafter:innen in ganz Österreich. Grund dafür ist die sogenannte „Kettenvertragsregelung“. Während in der Privatwirtschaft Mitarbeiter:innen nach mehreren befristeten Anstellungen fest angestellt werden müssen, können Universitäten befristete Verträge zu „Ketten“ aneinanderreihen. Nach acht Jahren in der Befristung zieht das Gesetz allerdings eine harte Grenze ein: Entweder man wird unbefristet angestellt oder man muss gehen. 

In der Praxis passiert Zweiteres, zeigt die neue Studie über die prekären Beschäftigungsverhältnisse an Österreichs Universitäten: Wissenschafter:innen wandern ins Ausland oder die Privatwirtschaft ab, in der Lehre gibt es zu wenig Zeit für Studierende, in der Forschung durch ständig auslaufende Dienstverträge mangelnde Kontinuität.

Die Befragten berichten vor allem von einer großen Unsicherheit: Eine Festanstellung gibt es kaum. 92 Prozent der Befragten gab an, keine dauerhafte Stelle in Aussicht gestellt bekommen zu haben. „Das ergibt auch im persönlichen Leben Probleme“, sagt Studienautorin Julia Partheymüller: „Die Leute bekommen keinen Kredit oder Wohnung, wenn ihre Anstellung in wenigen Jahren endet.“ Dabei steht der Mittelbau an den Universitäten nicht mehr am Beginn des Lebens: Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer war zwischen 30 und 44 Jahren alt.

Obwohl drei Viertel der Befragten am liebsten in der Wissenschaft bleiben würden, dürfte das Arbeitsumfeld mittlerweile abschreckend wirken - selbst bei durch Drittmittel finanzierten Projekten: Von den 644 befragten Personen, die Drittmittel für ein Projekt aufgestellt haben und so ihre Forschung teilweise oder zur Gänze finanzieren können, gaben 263 an, dafür keine passenden Bewerber:innen gefunden zu haben. Das bedeutet: Bei rund 40 Prozent der Projekte gab es zwar ausreichend Geld, aber nicht genügend Leute. Wenn gleichzeitig Gerätschaften für das Projekt gekauft wurden, kann das zu unnötigen Ausgaben im Millionenhöhe führen.

Aufgrund von Personalwechseln oder der Tatsache, dass der Vertrag nicht verlängert wurde, waren Geräte im Wert von siebenstelligen Beträgen nicht mehr in Betrieb, so dass wir nach der Anschaffung wenig bis gar keine Ergebnisse erzielt haben.

Leitender Wissenschafter

Findet sich ein Team, ist es aufgrund der kurzen Verträge im ständigen Wandel, sagt Partheymüller: „Die Standard-Projektdauer sind drei Jahre. Im ersten Jahr wirbt man Personal an, muss es einschulen. Im zweiten Jahr arbeitet man. Und im dritten muss man schon den nächsten Antrag schreiben und das Personal sucht den nächsten Job. Immer, wenn man sich eingearbeitet hat, muss man wieder weiter.“ 

Das Stammpersonal steht ständig unter Druck, weil es die fehlenden Stellen und das (anfänglich) fehlende Fachwissen immer wieder ausgleichen muss. Es muss immer jemand gehen oder jemand gefunden und eingearbeitet werden. Dieser ständige Wechsel ist unglaublich anstrengend und hat nichts mit der normalen Fluktuation zu tun. Neue Mitarbeiter verändern auch die Dynamik im Team, daher wäre ein wenig Stabilität wünschenswert.

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Über vier von fünf Befragten befanden, dass der Wissenschaft die Kontinuität fehle. Doch nicht nur für einzelne Projekte ist die derzeitige Situation laut der Befragung schädlich: Mehr als die Hälfte der Befragten stimmte der Aussage zu, dass das Lehrpersonal zu wenig Zeit habe, um Studierende zu unterstützen.

Dazu kommt: Weil die Universitäten Personen, die bereits acht Jahre lang befristet beschäftigt waren, keinen neuen befristeten Vertrag geben dürfen, aber auch keine unbefristete Stelle anbieten wollen oder können, wandern diese Personen häufig aus den Unis ab – entweder in die Privatwirtschaft oder ins Ausland. 316 Befragte gaben in der Studie an, dass sie ihre Universität nicht mehr als Forschungseinrichtung für Drittmittel-Projekte nennen dürfen. Das heißt in der Praxis: Österreichische Wissenschafter:innen müssen ihre eigenen Unis verlassen und andere Universitäten (mitunter im Ausland) oder private Forschungseinrichtungen suchen, um dort mit den selbst aufgestellten Geldern zu arbeiten.

Forschungsprojekte müssen an anderen Universitäten in anderen Städten angedockt werden. Ich persönlich und meine Kollegen sehen unsere Perspektiven in Österreich schwinden und orientieren sich langfristig ins Ausland. Die Kettenvertragsregelung führt zu einer extremen Verunsicherung in Bezug auf die Karriereplanung und das Leben im Allgemeinen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum in junge AkademikerInnen investiert wird, nur um sie dann zur Auswanderung zu zwingen.

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Unbefristete Stellen als einzige Lösung

„Das einzige, was hilft, sind unbefristete Stellen“, ist Studienautorin Partheymüller sicher. Zumindest auf den technischen Universitäten, bei denen viele Firmen bereit sind, Projekte über Drittmittel zu finanzieren, könnte man auch Projektmitarbeiter langfristiger an den Universitäten beschäftigen. Das zeigt die Universität für Bodenkultur Wien (Boku): Indem ständig neue Projekte eingeholt werden, kann die Universität mehr Personen unbefristet beschäftigen. Partheymüller würde sich wünschen, dass mehr Universitäten diesem Beispiel folgen und eingenommene Projektgelder auch dafür nutzen, Angestellte langfristig zu beschäftigen. 

Das Problem: Viele Geldgeber wollen nur ihre eigene Initiative fördern, nicht aber die langfristige Anstellung einer Person. Und: In vielen, vor allem geisteswissenschaftlichen, Fächern fehlt überhaupt das Interesse der Privatwirtschaft. In Zeiten finanzieller Unsicherheit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Fördertöpfe eingespart werden und der Braindrain weiter verstärkt wird.

Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP) hatte im vergangenen Frühjahr eine Obergranze für befristete Verträge an den Universitäten angekündigt. Umgesetzt wurde stattdessen ein Ausbau der unbefristeten Stellen: Bis 2027 sollen österreichweit durch die Leistungsvereinbarungen zwischen Bund und sieben der 23 öffentlichen Universitäten 220 Stellen entfristet werden. Das soll „die Karrierewege für Forschende in Österreich noch attraktiver zu machen", heißt es aus dem Wissenschaftsministerium. 

„Wir freuen uns über jede einzelne Stelle, die entfristet wird", sagt Partheymüller. Letztlich seien 220 Stellen aber „ein Tropfen auf dem heißen Stein: 34.000 Beschäftigte an den Universitäten sind befristet.“

Korrekturhinweis

In einer vorangegangenen Version dieses Artikels stand, dass es sich um eine „Studie der Universität Wien“ gehandelt habe. Tatsächlich waren verschiedene Universitäten beteiligt, neben der Universität Wien beispielsweise auch die Universität Graz oder die Technische Universität (TU) Wien, bei der die Erstautorin der Studie, Christiane Lechner, beschäftigt ist.

Natalia Anders

Natalia Anders

ist Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.