Kickl, FPÖ, Corona-Proteste: Die Zornsammelstelle

Christa Zöchling über die brandgefährliche Strategie der Kickl-FPÖ, sich gemeinsam mit Rechtsradikalen den Corona-Protest nutzbar zu machen.

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Die politischen Koordinaten verschieben sich gerade. „Wir sind das Volk“ – so tönt es aus Tausenden Kehlen nun schon das dritte oder vierte Wochenende hindurch, wenn sich Gegner der Corona-Maßnahmen durch die Bundeshauptstadt wälzen, die Maske unterm Kinn, oder ganz ohne. Von Mal zu Mal werden es mehr. Der Zorn über Corona-Maßnahmen, die Angst vor der Zukunft, ein neues Gemeinschaftsgefühl, Freundschaften, die im Zuge des Demo-Tourismus entstanden sind, nicht zu vergessen: Die Lust an der Aggression selbst – all das wird Menschen noch länger auf die Straße treiben. Das Stammpublikum richtet seine Freizeit bereits nach Demo-Plänen aus. 

Machen wir uns nichts vor: Manch besorgter „Normalbürger“ auf diesen Demos glaubt,  dass es hinter Pandemie und Corona-Maßnahmen eine „Plandemie“ gäbe, einen Plan der Herrschenden – oder in den Worten von Herbert Kickl: „Die machen das ohne Not, aus reinem Machttrieb.“ Oder denkt wie jene Dame, die gegenüber profil sagte: „Es gibt keinen gesunden Menschen, der Überträger des Virus sein kann.“  Auch diese Haltung wurde von Kickl am Samstag der Vorwoche auf der Jesuitenwiese im Wiener Prater auf eine höhere, politische Ebene gehoben. „Wir alle haben ein intaktes Immunsystem, und ein intaktes Immunsystem macht den Menschen stark gegen jede Art von Virus und all die Mutationen, die jetzt von irgendwoher neu entdeckt worden sind. Wir konnten schon immer auf unser Immunsystem zählen. Es wird von Tag zu Tag stärker und die Gegner schwächer.“

In Verbindung mit Sieg-Heil-Rufen, Judenbeschimpfungen und Pöbeleien, die an diesem Tag an verschiedenen Plätzen zu hören waren, und einem schwer verletzten Security-Mann schaudert’s einen.

Diese Bewegung ist relativ unbemerkt zu einer Lawine angewachsen. Im Frühjahr waren es noch kleine Versammlungen in Städten und Gemeinden gewesen, besucht von coronamüden Bürgern ohne ausgeprägte politische Neigungen, früh von Rechtsradikalen gekapert. Diese haben die Menschenaufläufe jetzt fest in der Hand, bestimmen Dramaturgie und Ablauf, welche Transparente wo platziert werden, welche Sprüche aus den Lautsprecherwagen dröhnen. Aus der Mitte der Demonstrationszüge heraus, in die sich Journalisten (für Journalistinnen ist es noch weniger ratsam) kaum noch hineinwagen, weil sie aggressiv beschimpft werden, entstehen Agitationsvideos, die als romantisches Freiheitskino auf rechten und rechtsradikalen Plattformen landen, die der FPÖ nahestehen.

Seit vergangenem Samstag hat die Bewegung ihren Star: jenen Herbert Kickl, Klubobmann der FPÖ und Ex-Innenminister. Der frühere Redenschreiber Haiders mit intellektuellem Touch, den er einem abgebrochenen Philosophie-Studium verdankt, findet Gefallen an seiner neuen Rolle als Volkstribun. Er tritt radikaler auf als die übrige FPÖ-Führungsspitze.  Er weiß um die Macht der Straße und nützt sie. Parteichef Norbert Hofer wird da nicht mehr viel tun können, auch wenn er wollte. Will er denn?  

Selbst für eine rechte, drei Mal gescheiterte Regierungspartei wie die FPÖ ist das eine neue Radikalität. Zwar hatte auch Jörg Haider zuweilen auf eine autoritäre Revolte angespielt; bei seiner Abwahl als Kärntner Landeshauptmann wegen seines Lobes für die „Beschäftigungspolitik des Dritten Reichs“ hatte er Tausende Kärntner für sich aufmarschieren lassen. Es blieb bei der Drohung, es war ein Aufreiben, das nicht in Gewalt mündete. Das könnte sich ändern.   

Schon am Wiener Heldenplatz heizte Kickl die Stimmung gehörig an: Er schmähte die Regierung als „Corona-Stahlhelme“ und „Schmuddeltypen“, rief zackig zum Widerstand auf und den Demonstranten zu: „Es ist nicht weit zum Innenministerium und zum Bundeskanzleramt.“ „Kurz muss weg. Kurz muss weg.  Kurz muss weg“, skandierte er von der Bühne herab und forderte das Publikum zum gemeinsamen Spazierengehen auf. Ein Spiel mit dem Feuer. 

Es war alles versammelt, was in der rechtsradikalen Szene Rang und Namen hat, inklusive Old-Neonazi Gottfried Küssel mit Kameraden. Beim „Spaziergang“ durch den Stadtpark hört man auf einem zweieinhalbstündigen Mitschnitt von „Russia Today“ Rufe wie „Du dreckiger Jud, Oida.“ 

Es sollte noch schlimmer kommen. Nach Kickls Auftritt im Prater marodierten Grüppchen durch die Leopoldstadt, andere versuchten, über die Brücken am Donaukanal in den 1. Bezirk zu gelangen – zum Bundeskanzleramt oder Innenministerium? Die Polizei hatte die Übergänge vorsichtshalber weiträumig gesperrt.  

Die Sorge war nicht unbegründet. Einen Tag nach der Demo postete Harald S. auf der FPÖ-Facebook-Seite unter einem Kickl-Video: „Wir sollten die ganze ÖVP zu Hause besuchen.“ 

Der Fachbegriff für das Aufheizen einer Masse durch Herabwürdigen bestimmter Personen oder Personengruppen  und darauf folgende, von der Augenblicksstimmung angefachte Gewalttaten heißt „stochastischer  (zufälliger) Terrorismus“. Im Zusammenhang mit rechtsradikalen Attentaten wurde über diesen schwer objektivierbaren, eher seismografischen Begriff im Deutschen Bundestag  auf Antrag der FDP debattiert. Zur Erklärung, wie es zur Stürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger kam, wurde er angewandt.

Wer zündelt, ist selbst kein Gewalttäter, will es oft gar nicht sein, trägt jedoch zu einer Stimmung bei, die gewaltbereite Akteure ermuntert.  

Österreich ist schon lang keine friedliche Insel mehr – der islamistische Terroranschlag vom 2. November 2020 und die grob fahrlässigen Pannen des  BVT (Bundesamt für Verfassungsschutzes)  haben das Vertrauen in die Staatsmacht erschüttert. Auch Umsturzfantasien rechtsextremer Rädelsführer sind ernst zu nehmen. Nach der großen Corona-Demo in Wien am 16. Jänner hatte das BVT Chat-Protokolle entdeckt, die zeigten, wie weit Ideen zur Erstürmung des Parlaments bereits gediehen waren. In internen Telegram-Gruppen war über die „Übernahme des Parlaments“ und die „ganze Scheiß-Regierung, die sich auflösen müsste“ diskutiert worden. Hannes B., einer der Demo-Organisatoren, den der Verfassungsschutz zu Küssels Umfeld zählt, war damals dafür, so lange auf der Straße zu bleiben, bis die Regierung zurücktrete. Am vergangenen Samstag stand Hannes B. mit Kickl gemeinsam auf der Praterbühne. Er war einer der Redner. Bei einem Demo-Auftritt im Jänner hatte B. gesagt, die Pandemie sei „inszeniert worden, um die Wirtschaft umzubauen“ – und im üblichen antisemitischen Code von einem „Angriff der Hochfinanz“ gesprochen.

Bisher war die FPÖ eine Zornsammelstelle für vielerlei Anliegen gewesen. Für Menschen, die sich von Ausländern übervorteilt fühlen, die glauben, Zuwanderer bekämen alles geschenkt, und sie selbst gar nichts. Ein paar Jahre lang hatte das Eliten-Bashing Stimmen gebracht. Gegen Künstler wurde auf großflächigen Plakaten Jagd gemacht.

Das Jahr der Flüchtlingskrise 2015 wurde für die FPÖ zum Triumph, das  freiheitliche Denken hatte jetzt eine hoch ideologische, kohärente Erzählung: Fremde Kulturen seien nicht kompatibel mit der angestammten, jeder Mensch sei festgezurrt in seiner Identität, ethnisch vorherbestimmt; kein Entkommen. Nun ging es also wieder um Blut und Boden. Ein minderes Sozialsystem für Ausländer hatten sie schon lang gefordert. „Unser Geld für unsere Leut“, ein schon älterer Slogan, nahm Fahrt auf. 

Die Website der FPÖ verrät nichts von dem allem. Dort atmet der Geist der Negativität. In Kurzfassung: Die FPÖ ist dagegen. Postings auf der Facebook-Seite – ein dumpfes Geschimpfe und Genörgel. „Immer wieder neue Mutationen, die erfunden werden“, ärgert sich eine Frau. „Millionen Arbeitslose werden von dieser Regierung gedemütigt“ – „Schon viele Todesfälle durch den Impfstoff“ – „Bei den Herrn in der Politik wird sicher nicht geimpft“ –„Was sagen junge Menschen, die nach Giftspritze sterben werden? Das ist Völkermord“ – „Ein Milliarden-Geschäft für Bill Gates!“ – Die wahre Hassfigur aber ist Kanzler Sebastian Kurz. 

29.000 Eingaben gibt es gegen das neue Covid-19-Gesetz, das im Nationalrat zur Beschlussfassung vorliegt. Ein Großteil davon sind Schimmelbriefe, organisiert von der FPÖ. Auch das eine Möglichkeit, eine verhasste Regierung zu bekämpfen. 

Den Begriff von der Zornsammelstelle hat der Philosoph Peter Sloterdijk  erfunden. In „Zorn und Zeit“, erschienen 2012, schreibt er sinngemäß, dass noch so viele Zornsammelstellen nichts bringen, wenn keine Kraft sie bindet, keine Vision sie eint.  

Hat die FPÖ eine Vision? Beim Aufsammeln der Zornigen ist sie besser als jede andere Opposition, erfolgreicher als Sozialdemokraten und NEOS. Lauter, skrupelloser und zynischer, als die FPÖ vorgeht, geht eben nicht. 

Dort, wo die FPÖ mitregiert, ist es mit dem Neinsagen allerdings nicht so leicht. In Oberösterreich hat FPÖ-Verkehrslandesrat Günther Steinkellner, der sich in einer Koalition mit der ÖVP befindet, auf eine Verschärfung der Gesetze gegen Autoraser gepocht. Unbelehrbaren Autorasern solle „an Ort und Stelle“ das Auto weggenommen werden, so Steinkellner. Jetzt gibt es einen solchen Gesetzesentwurf aus dem grünen Verkehrsressort, und FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker spricht von „Enteignungswahnsinn“. 

Was anderen Parteien peinlich wäre, ist für die FPÖ kein Problem, zieht sie doch selbst aus Widersprüchen ihren Vorteil. Die FPÖ wird seit jeher nach Stimmungen gewählt und nicht nach Programmen oder Fakten. So gesehen fällt auch die Corona-Bewegung nicht weit vom Stamm.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling

war bis 2023 in der profil-Innenpolitik