„Wenn die FPÖ so stark ist, ist es einfach scheiße, allein zu sein“
Von Nina Brnada
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Am vergangenen Donnerstagabend lagen am Wiener Ballhausplatz Gras, Schweiß und Parfum in der Luft. Laut Polizei waren es 25.000 Menschen, die sich eingefunden hatten, um gegen eine mögliche Koalition zwischen FPÖ und ÖVP zu demonstrieren. Just an diesem Abend nahmen Blau und Schwarz Verhandlungen dazu auf. Jugendliche mit Puntigamer Bier- und Eggerbier-Dosen, Jungeltern mit Bugaboo-Kinderwagen. Manche hielten sich an den Händen, andere gingen im Gänsemarsch rund ums Bundeskanzleramt, wo bald FPÖ-Obmann Herbert Kickl sitzen könnte.
Nach fast genau 25 Jahren schließt sich hier der Kreis. Geschichte wiederholt sich, wenn auch unter anderen Vorzeichen: Vor einem Vierteljahrhundert fanden an dieser Stelle die sogenannten Donnerstagsdemonstrationen mit jeweils bis zu 15.000 Teilnehmern statt. Kulturschaffende unterstützten die Proteste, von der späteren Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bis zum kürzlich verstorbenen Wiener Urgestein Hermes Phettberg. Internationale Medien berichteten in Dauerschleife über die politischen Zustände im kleinen Österreich – dem ersten EU-Mitgliedsland, in dem eine extrem rechte Partei in die Regierung kam. 14 EU-Staaten belegten Österreich mit den sogenannten Sanktionen, diplomatische Beziehungen wurden auf ein Minimum reduziert – die Zivilgesellschaft in Österreich entfaltete unterdessen ihr Maximum.
„Die Donnerstagsdemonstrationen waren der Höhepunkt der Protestmobilisierung in der Zweiten Republik“, sagt Martin Dolezal, Protestforscher an der Universität Graz. Heute jedoch ist die Situation deutlich brisanter – es droht nicht nur eine Regierungsbeteiligung der FPÖ, sondern erstmals ein blauer Bundeskanzler Herbert Kickl.
In der Hörlgasse in Wien-Alsergrund sitzt Kurt Wendt in seinem Wohnzimmer neben einem knisternden Kamin. Gewaschene weiße T-Shirts und beige Hosen baumeln auf Wäscheleinen von der Altbaudecke, Wendt hängt einen Beutel mit Kräutertee in eine Tasse mit heißem Wasser. Der 60-Jährige ist einer der wichtigsten Veteranen der Donnerstagsdemos des Jahres 2000. Er besetzte damals das Dach der ÖVP-Zentrale. Der Autor und linke Aktivist, heute bei der Wiener Kleinpartei Liste Links aktiv, war Mitinitiator und Sprecher der ersten Auflage der Donnerstagsdemos. Sein Nachfolger als Sprecher der Donnerstagsdemonstrationen sollte übrigens ein gewisser Andreas Babler werden, der heutige SPÖ-Chef war damals 27 Jahre alt und Mitglied der Sozialistischen Jugend. „Es würde mich nicht wundern“, sagt Wendt, „wenn FPÖ und ÖVP die Angelobung am 4. Februar ansetzen würden – also auf den Tag genau 25 Jahre nach jener von Schwarz-Blau I.“
Kurt Wendt, Sprecher der Donnerstagsdemos im Jahr 2000
„Es würde mich nicht wundern, wenn FPÖ und ÖVP die Angelobung am 4. Februar ansetzen würden – also auf den Tag genau 25 Jahre nach jener von Schwarz-Blau I.“
Demotag Donnerstag
Die Donnerstagsdemos waren zunächst spontane Kundgebungen. „Das war der große Vorteil, die Menschen hatten das Gefühl, für sich selbst auf die Straße zu gehen“, erinnert sich Wendt. Auf den Donnerstag als Protesttag war man aus Termingründen gekommen: Der Montag kam nicht infrage, weil man keine Assoziationen zu den Montagsdemonstrationen in der DDR wecken wollte, bei der die dortigen Bürgerinnen und Bürger Ende der 1980er-Jahre ihren Unmut über die Ein-Parteien-Führung kundtaten; Dienstag und Mittwoch waren für die Treffen der kleinen politischen Gruppierungen belegt, die an der Organisation der Wiener Demos beteiligt waren; „Freitag gilt in den Köpfen der Menschen quasi schon als Wochenende“, grinst Wendt – also blieb nur mehr der Donnerstag.
Früher sprach die Rechte zwar noch gern noch von Berufsdemonstranten, die besser arbeiten anstatt demonstrieren sollten – doch längst hat sie auch die Macht der Straße für sich entdeckt. Themenspezifisch sind auch sie bereit, zu demonstrieren, etwa beim Thema Migration oder bei Corona, sagt Protestforscher Dolezal. Auch in diesem Teil des politischen Spektrums seien Social Media wichtig, „allerdings vor allem für die Mobilisierung – die harte Währung ist immer noch die Teilnehmeranzahl auf der Straße“.
In der Regel sind Kundgebungen zumeist von Linken und Jungen getragen, sagt Dolezal. Das war auch bei den Donnerstagsdemonstrationen nicht anders. Die Proteste gegen Schwarz-Blau I waren für die „Internet Generation“, wie der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Protestierenden despektierlich nannte, das, was die Fridays-For-Future-Demonstrationen für die Generation Z waren.
In diese Zeit fällt auch Diana Möslingers Politisierung. Die 40-Jährige ist technische Leiterin, sitzt als Rätin in der Arbeiterkammer und ist – wie Wendt – Aktivistin bei Links. Möslinger spricht gerne von Queerfeminismus, Antirassismus und spickt ihre Sätze gerne mit dem englischen Füllwort „actually“. Ihren linken Unterarm überzieht das Tattoo eines Zebras, das einen Löwen verschlingt – für Möslinger ein Symbol, „dass nicht immer nur die Starken die Schwachen fressen“.
Ihre eigene Protestkarriere hatte eine steile Steigerungskurve: Bei der ersten Auflage von Schwarz-Blau war Möslinger Schülerin, aus Angst vor gewaltbereiten Demonstranten war ihre Mutter dagegen, dass sie zu den Protesten geht. Knapp 20 Jahre später, während des Ibizaskandals, über den die ÖVP-FPÖ-Regierung unter Sebastian Kurz stolperte, ging sie dann demonstrieren und half ein wenig beim Aufbau der Lautsprecher mit. Vergangenen Herbst wurde sie schließlich selbst Initiatorin jener Demo, die vier Tage nach der Nationalratswahl stattfand. 25.000 Menschen nahmen daran teil.
Die Donnerstagsdemonstrationen waren der Höhepunkt der Protestmobilisierung in der Zweiten Republik
Ressourcenschonender Aktivismus
Getragen und organisiert wird die Demo von Menschen wie jenen, mit denen Diana Möslinger an diesem Jännernachmittag um einen rechteckigen Holztisch bei Espresso und Kakao-Chai-Tee zusammensitzt. In den Räumlichkeiten eines Ottakringer Kulturvereins, auf einem durchgesessenen Sofa, zwischen Kunstdrucken und Papierbögen, schmieden sie Pläne für die Wiedereinführung regelmäßiger Donnerstagsdemonstrationen. Wo genau, wollen sie lieber nicht in der Zeitung lesen, man will nicht die Aufmerksamkeit rechter Gruppierungen auf sich ziehen.
Diana Möslinger, Aktivistin
„Wenn die FPÖ so stark ist, ist es einfach scheiße, allein zu sein.“
Es sind Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die sich in antifaschistischen Kleinstorganisationen engagieren, Sozialarbeiterinnen und Künstler, die sich hier einzeln mit Namen und dem Pronomen vorstellen, mit dem sie angeredet werden möchten. Protest anno 2025 bedeutet auch das Reden über „ressourcenschonende Aktivismus“ und die Frage, was die politischen Verhältnisse „mit uns allen gefühlsmäßig machen“. Diana Möslinger sagt, die Erfahrungen der letzten Demos und das Gemeinschaftsgefühl haben sie persönlich gestärkt und mental stabilisiert. Denn: „Wenn die FPÖ so stark ist, ist es einfach scheiße, allein zu sein.“
Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.