Van der Bellens Macht und Kickls Scheitern
Von Gernot Bauer, Iris Bonavida, Nina Brnada und Max Miller
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Als Herbert Kickl am Mittwochnachmittag Kickl sein Scheitern eingestanden hatte, blickte die ganze Nation, mal wieder, zu einem Mann: Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Nach den turbulenten, politisch instabilen Jahren seiner ersten Amtszeit kann ihn nichts mehr erschüttern. Zumindest lässt er es sich schon lange nicht mehr anmerken.
Dabei gibt das Staatsoberhaupt nun den Takt vor: Die größten Entscheidungen liegen, rein rechtlich, bei Van der Bellen. Der Bundespräsident entscheidet, wer Ministerien oder das Kanzleramt führen darf, könnte eine Expertenregierung einsetzen und auf ihren Vorschlag oder den der aktuellen Regierung neu wählen lassen. Doch zu seinen eigenen Zielen hält sich das Staatsoberhaupt bedeckt.
Van der Bellen zeigt sich bemüht, seine Macht nur im äußersten Notfall und selbst dann in Maßen einzusetzen: „Meine Aufgabe ist es darauf zu achten, dass unser Land eine handlungsfähige Regierung bekommt“, erklärte er Mittwochabend sein Amtsverständnis: „Wie diese Regierung zusammengesetzt ist, hat für mich grundsätzlich keine Rolle zu spielen, solange sie auf dem Boden der Verfassung zustande kommt. Sich auf Koalitionen zu einigen, ist die Aufgabe der gewählten Politikerinnen und Politiker.“ Der Bundespräsident begleitet sie nur auf ihrem Weg – je länger die Koalitionssuche dauert, desto enger, so scheint es.
Kurz noch einen Spaziergang
Alexander Van der Bellen mit Hündin Juli vor dem offiziellen Platzen von Blau-Schwarz.
Schon am Dienstag hatte der Bundespräsident vor seinem Termin mit Kickl nahezu demonstrativ seine Hündin Juli an den vor der Hofburg wartenden Journalisten vorbei zum Äußerln geführt. So sehr die griechische Mischlingshündin auch an der Leine zog, so gemütlich ging der Bundespräsident ihr hinterher. Am Rückweg verlangsamte er noch einmal und schien fast enttäuscht, dass die Presse nur Fotos schoss und sich Fragen sparte, auf die er ohnehin nur kryptische Antworten geben würde.
Sorge um ORF und Kulturagenden
Hat die Hofburg Kickls Scheitern befördert? Der FPÖ-Chef schimpfte Van der Bellen eine „Mumie“ und „senil“, auch dass der ehemalige Grünen-Chef dem Freiheitlichen politisch alles andere als nahe steht, ist keine Überraschung. Ein enger Berater des Bundespräsidenten hätte zudem starke Motivationen, Kickl zu verhindern: Van der Bellens langjähriger Wegbegleiter Lothar Lockl hätte als ORF-Stiftungsratsvorsitzender unter einer freiheitlichen Regierung um seinen Job und die Zukunft des ORF fürchten müssen. Van der Bellens Kabinettsdirektorin in der Präsidentschaftskanzlei, Andrea Mayer, hätte sich durchaus Sorgen um ihr Vermächtnis als Kulturstaatssekretärin machen dürfen: Die Freiheitlichen hatten in den Verhandlungen mit der ÖVP eine Verzögerung des Baus des neuen Standortes des „Haus der Geschichte Österreichs“ vorgeschlagen.
Doch anders als in Minister gibt der Bundespräsident nicht bloß die Richtung vor, die von der Linie unter ihm umgesetzt werden muss. Van der Bellen entscheidet und die ganze Präsidentschaftskanzlei ist darauf ausgelegt, ihn dabei zu unterstützen. Sein Wort zählt, alle um ihn herum können ihn nur beraten.
In komplexen Zeiten und mit neuen Aufgaben wie der Informationsfreiheit braucht der Bundespräsident offenbar mehr Unterstützung. Das zeigen die Zahlen der Personalvertretungswahlen: Waren 2019 noch 76 Personen in der Hofburg wahlberechtigt, waren es im November 2024 87. Deuten die Beschäftigten der Hofburg in eine politische Richtung? Obwohl Van der Bellen einst Chef der Grünen war, erhielt die SPÖ-Fraktion der Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) im November mehr als zwei Drittel der Stimmen, die ÖVP-Fraktion der Christgewerkschafter (FCG) das restliche Drittel. Eine grüne Personalvertretungs-Liste gab es in der Präsidentschaftskanzlei nicht, auch die FPÖ-Liste „AUF“ nicht an.
Vertrauensvoller Gesprächspartner für alle Couleurs
Und doch dürfte Van der Bellen Kickl am Weg ins Kanzleramt nicht im Weg gestanden sein, im Gegenteil: In der finalen Verhandlungswoche von Blau-Schwarz verbrachte der FPÖ-Chef mehr Zeit mit dem Bundespräsidenten als mit seinem Verhandlungspartner Christian Stocker. Die Inhalte der Gespräche sind, wie so vieles in der Hofburg, vertraulich.
Nach außen dringt nur, was das Gegenüber verrät, von den allermeisten Gesprächen dürfte die Öffentlichkeit nicht einmal erfahren: So erklärte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger diese Woche etwa, Van der Bellen bei einem längeren Telefonat über die Möglichkeit einer schwarz-pinken Minderheitsregierung informiert zu haben. Auf Anfrage von profil will die Präsidentschaftskanzlei aber weder verraten, wann Van der Bellen mit welchen Parteichefs gesprochen hat, noch wie oft. Nur so viel: Der Bundespräsident sei seit der Wahl in regelmäßigem Austausch mit allen Parteichefs. In welchem Rhythmus diese Gespräche stattfinden, bleibt unbeantwortet.
Zumindest Kickl dürfte so aber ein gewisses Vertrauensverhältnis zum Staatsoberhaupt aufgebaut haben. Der FPÖ-Chef dankte Van der Bellen Mittwochabend „dafür, dass wir in den letzten Wochen – obwohl wir in vielen Bereichen ganz unterschiedliche ideologische Zugänge haben – trotzdem eine sehr vertrauensvolle Gesprächsbasis zueinander gehabt haben“.
Zum Schluss dürfte Kickl dem ehemaligen Grün-Politiker sogar mehr Glauben geschenkt haben als seinem Verhandlungspartner: Als ihm die ÖVP erklärt habe, dass der Bundespräsident Wert darauf legen würde, dass die FPÖ kein Sicherheitsressort bekommen dürfe, „hat mich das sehr gewundert“, sagte Kickl am Mittwochabend, „weil ich mehrere Male mit dem Bundespräsidenten gesprochen habe und der das nie zu mir gesagt hat“. Der kaum versteckte Unterton: Die Volkspartei habe ihm die Unwahrheit gesagt, denn Van der Bellen würde das kaum tun. Aus der Präsidentschaftskanzlei gibt es dazu, wie so oft, keinen Kommentar: Es stehe den Teilnehmern der Gespräche im Arbeitszimmer des Bundespräsidenten frei, davon zu berichten. Der Bundespräsident werde diese Gespräche „immer vertraulich behandeln“.
Kompromissbereit
Eines hat Van der Bellen aber offenbar durch seine vielen Gesprächen in den vergangenen 20 Wochen seit der Wahl gelernt: „Der Kompromiss ist in Verruf geraten. Irgendwann hat sich die Meinung eingeschlichen, dass ein Kompromiss etwas für Verlierer ist.“ Wenn jeder glaube, er spreche für alle, fehle die Demut vor der Meinung der anderen, ermahnte der Bundespräsident Mittwochabend die Parteien: „Ein wenig kommt mir vor, dass das bei allen diesen Verhandlungen der Fall war.“ Alle „verantwortungsvollen“ Politikerinnen und Politiker sollten sich nun „auf das Staatsganze“ konzentrieren – „und auf nichts sonst“.
Werden die Parteichefs Van der Bellens Worten folgen? Das wird sich in den nächsten Tagen, im von der Hofburg vorgegebenen Tempo zeigen. Vier Szenarien stehen zur Wahl: Baldige Neuwahlen bis zu denen die derzeitige Interims-Regierung an der Macht bleibt, eine vom Nationalrat gestützte Minderheitsregierung (etwa aus ÖVP und Neos), eine Expertenregierung mit Unterstützung ausreichend vieler Abgeordneten oder doch noch eine Regierungsmehrheit (wohl aus ÖVP, SPÖ und womöglich pinken oder grünen Anhängseln). Die nächsten Wochen werden entscheidend sein.
Vier Szenarien
Werden die Parteichefs Van der Bellens Worten folgen? Vier Szenarien stehen formal zur Wahl: Baldige Neuwahlen, bis zu denen die derzeitige Interims-Regierung an der Macht bleibt; eine vom Nationalrat gestützte Minderheitsregierung (etwa aus ÖVP und Neos); eine Expertenregierung mit Unterstützung ausreichend vieler Abgeordneten oder doch noch eine Regierungsmehrheit: wohl aus ÖVP, SPÖ und womöglich pinken oder grünen Anhängseln.
Der Bundespräsident soll sich dieses schwarz-rote Bündnis mit wechselnden Mehrheiten explizit wünschen und Stocker und Babler in den Gesprächen am Donnerstag in der Hofburg mit Nachdruck dazu animiert haben. Annäherungsversuche, keine Geheimverhandlungen, zwischen ÖVP und SPÖ laufen schon länger, teils über die Landeshauptleute, teils über die Sozialpartnerschiene.
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Gernot Bauer
ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.
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Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
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Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.
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Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.