Herbert Kickl
FPÖ

Kickl-Interview: „Ich werde ein Kanzler für das Volk sein“

Herbert Kickl attackiert Van der Bellen, Nehammer, Babler, NATO und EU – und hält sich dennoch für einen milden Menschen.

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SPÖ-Chef Andreas Babler bezeichnet sich als Marxist, Sie sehen sich als Hegelianer. Das wäre ein philosophisch geschultes dynamisches Duo für eine rot-blaue Koalition.
Kickl 
Also, ich finde es einigermaßen bedenklich, in welcher verharmlosenden Weise man mit einem 50-jährigen Politiker umgeht, der sich heute noch als Marxist bezeichnet. Es ist belegt, dass Babler Büsten von Marx und Lenin herumstehen hatte. Entweder ist das dumm oder brandgefährlich. Lenin steht für ein Terrorregime und das Eliminieren der Sozialdemokratie in Russland.
Babler bekennt sich nicht zu Lenin, sondern zum Marxismus als philosophische Schule, so wie Sie sich gern auf Hegel beziehen.
Kickl
Glauben Sie wirklich, dass sich jemand eine Lenin-Büste aufstellt, weil er ihn ablehnt?
Sie stellen Babler als Verharmloser kommunistischer Verbrechen da, beschweren sich selbst aber heftig über Vorwürfe, die FPÖ-Ideologie stehe in der Tradition von NS-Gedankengut.
Kickl
Diese Vorwürfe wären nur dann richtig, wenn wir uns auf irgendeinen Denker des Nationalsozialismus beziehen würden.
Da würde einem etwa der Staatsrechtler und politische Philosoph Carl Schmitt einfallen, der NSDAP-Mitglied war.
Kickl
Sehen Sie hier in meinem Büro irgendwo eine Carl Schmitt-Büste stehen, oder können Sie mir nachweisen, dass wir ihn als Ikone unseres Gesinnungsgemeinschaft betrachten?
Eine Parallele ist offensichtlich. Sie sind Rechtspopulist, Babler Linkspopulist.
Kickl
Jeder, der politisch erfolgreich sein will, ist auf eine gewisse Weise ein Populist. Mir ist ein Kreisky-Zitat untergekommen: „Eine Wahrheit, die nicht einfach ist, ist nichts wert.“ Wer das heute sagt, würde als Paradepopulist gelten.
Babler schließt aus, dass er mit der FPÖ koaliert.
Kickl
Wenn wir die nächsten Wahlen gewinnen, ist denklogisch damit verbunden, dass andere Parteien verlieren. Das werden SPÖ und ÖVP sein. Die Verlierer werden wohl bei ihren Ansprüchen sowohl personell als auch inhaltlich zurückstecken müssen. Mein Ziel ist es, dass wir Stärkste werden und sich ohne FPÖ keine Zweierkoalition ausgeht. Und fraglich ist, ob die Verlierer nach der Wahl noch in ihren Ämtern sind.
Erwarten Sie sich als Sieger den Regierungsbildungsauftrag von Alexander Van der Bellen?
Kickl
Ein Bundespräsident, der auf dem Boden der Verfassung steht, kann gar nicht anders handeln. Ich wüsste nicht, was ein Ausschließungsgrund in Bezug auf meine Person wäre. Habe ich zu wenig Vorstrafen oder zu wenig Ermittlungsverfahren am Hals?
Van der Bellen hat festgehalten, dass es keinen Automatismus gebe, die stimmenstärkste Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Kickl
Ich halte es für bedenklich, dass er dafür Applaus erhalten hat. Denn es bedeutet ja wohl, dass aus Sicht des Bundespräsidenten Wählerstimmen unterschiedlich viel wert sind. Freiheitliche Stimmen zählen offenbar weniger als andere.
Van der Bellen bewertet nicht die Stimmen für eine Partei unterschiedlich, sondern die Eignung der jeweiligen Parteichefs zum Bundeskanzler.
Kickl
Das wäre Willkür. Kelsen hat unsere Bundesverfassung allerdings bewusst als Gegenmodell zur Willkür eines monarchischen Systems aufgebaut.
Diese Willkür räumt die Bundesverfassung dem Bundespräsidenten ein. Er ist darin frei, wen er zum Kanzler macht.
Kickl
Man kann in einer Verfassung nicht alles festschreiben. Die gelebte Praxis entspricht den Grundprinzipien der Verfassung. Wer sonst als der Spitzenkandidat der stärksten Partei soll nach einer Wahl mit der Regierungsbildung beauftragt werden?
Vielleicht stößt sich der Bundespräsident noch immer an Ihrer Aussage als Innenminister aus dem Jahr 2019, das Recht habe der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht. Das bedeutet letztlich auch Willkür.
Kickl
Mit diesem Satz hatte Alexander Van der Bellen in einem persönlichen Gespräch mit mir kein Problem. Ein anderer Satz hat ihn gestört. Ich habe in Zusammenhang mit der Asylpolitik gesagt: Hier brennt das Haus, und dort liegt der Schlauch zum Löschen. Aber wir dürfen nicht zum Schlauch greifen, weil es uns internationale Regeln und Gerichtshöfe verbieten, angeblich im Interesse der Menschenrechte. Das hat Van der Bellen gestört. Aber ich stehe zu diesem Satz.
So wie Sie auch dazu stehen, Österreich müsse eine Festung werden.
Kickl
Alle regen sich über diesen Begriff auf, weil er so martialisch wäre. Dann stellt sich die Präsidentin des Europa-Parlaments Roberta Metsola in den Nationalrat und spricht davon, dass Europa eine Bastion sei. Und kriegt dafür Applaus. Was ist eine Bastion? Ein Teil einer Festung.
Metsola meinte, Europa sei eine Bastion für Freiheit und Menschenrechte.
Kickl
Eine Festung ist eine Festung.
Sie fordern, dass so genannte Pushbacks, also die Zurückweisung von Flüchtlingen über die Grenze, legal werden.
Kickl
Wenn wir uns nicht dazu durchringen, unsere Grenzen robust zu schützen, werden wir Migranten nicht am illegalen Eintritt in die EU hindern können. Dabei ist Europa geografisch in einer günstigen Lage. Wir sind fast überall, wo es Problembereiche gibt, von Wasser umgeben. Das ist fast so wie bei Australien. Die Australier verteidigen ihre Grenzen gegen illegale Migration und sind auch noch ein ehrenwertes Mitglied der Staatengemeinschaft.
Der Hinweis auf das Wasser ist zynisch. Gerade sind vor der griechischen Küste bis zu 500 Menschen auf der Flucht ertrunken.
Kickl
Diese Menschen würden nicht ertrinken, wenn man ihnen von Anfang an klar signalisieren würde, dass es keinen Sinn macht, Geld für einen Schlepper auszugeben, um auf irgendein seeuntüchtiges Boot zu steigen.
Ungarn ist bereits eine Festung innerhalb der EU, wie Sie es sich vorstellen. Dorthin kommen kaum mehr Flüchtlinge. Ist der ungarische Regierungschef Viktor Orbán Ihr Vorbild?
Kickl
Man muss differenzieren. Ich habe Viktor Orbán immer in Zusammenhang mit der ungarischen Asylpolitik als Vorbild genannt. Wenn alle Länder so handeln wie Ungarn, würde Europa bald seine Attraktivität als Fluchtdestination verlieren. Auch Orbáns offensive Familienpolitik schätze ich. Und zum dritten imponiert mir sein Auftreten gegen diesen Unfug, diesen Woke-Wahnsinn und Gender-Irrsinn.
Auch Sie kritisieren die Beleuchtung des Parlaments in Regenbogenfarben anlässlich des Pride-Monats. Was stört Sie daran?
Kickl
Sexualität ist eine private Sache. Jeder soll leben, wie er will. Mich stört, dass das eine Form von Kult ist. Eine laute und gut vernetzte Minderheit glaubt, ihre Art zu leben als Inbegriff des Fortschritts präsentieren zu müssen. Und jeder, der das anders sieht, gilt dann als rückständiger Hinterwäldler oder im schlimmsten Fall als Neonazi. Wobei mein Philosophie-Lehrer meinte: So manches, was als besonders modern daherkommt, ist in Wahrheit präantik.
Darf man im FPÖ-Klub gendern? Oder wird dann eine Strafzahlung fällig?
Kickl
Man muss keine Strafe zahlen. Ich habe aber kein ausgeprägtes Genderbedürfnis bei uns festgestellt. Alle anderen Parteien sind der Meinung, den Leuten erklären zu müssen, was gut für sie ist. Ich treffe niemandem, dem dieser Monat ein Bedürfnis ist, aber dennoch wird das den Menschen von einer selbsternannten politischen Elite aufgezwungen. Das nenne ich Regieren gegen die eigene Bevölkerung. Man soll einmal die Leute fragen, ob sie das wollen. Keiner will das.
Die Befragung der Bürger, ob sie mit einer gewissen Politik zufrieden sind, erfolgt über Wahlen.
Kickl
Und genau diese Frage werden wir im nächsten Wahlkampf stellen. Ob die normalen Menschen wollen, dass ihnen von den Einheitsparteien vorgeschrieben wird, wie sie zu denken, zu reden und zu handeln haben.
Sie sprechen gern von den „normalen Menschen“.
Kickl
Ich bin neugierig, wie lange es noch dauert, bis einem das Wort „normal“ verboten wird.
Sich selbst sehen Sie als möglichen Volkskanzler, der für die normalen Menschen da ist.
Kickl
Ich war in den vergangenen Jahren oft bei den Menschen draußen und habe viele Veranstaltungen absolviert. Dieses Empfinden, von einer selbsternannten Elite entmündigt zu werden, sitzt tief. Die Leute wollen jemanden, der ihnen zuhört, sie ernst nimmt und sich an ihren Interessen orientiert. Daraus entstand der Begriff des Volkskanzlers.
Was ist dann Bundeskanzler Karl Nehammer?
Kickl
Er ist ein Systemkanzler. Der Volkskanzler ist aber nicht die Antithese zum Systemkanzler, sondern dessen Überwindung. Ich werde ein Kanzler aus dem Volk und für das Volk sein.
Und der Volkskanzler Kickl würde als erste Maßnahme den Text der Bundeshymne wieder auf „große Söhne“ ändern lassen?
Kickl
Ich halte es für hirnrissig, an einem Kulturgut wie der Bundeshymne herumzudoktern. Wo hört das auf? Der Räuber Hotzenplotz ist nicht mehr politisch korrekt, der Winnetou ist gefährlich, und irgendwann sind wir wieder bei einer Liste der verbotenen Bücher. Im Moment haben wir nur eine Liste der verbotenen Worte.
Formulierungen wie „Systemkanzler“ und „Liste der verbotenen Bücher“ sind typische Herbert-Kickl-Provokationen.
Kickl
Die Einrichtung, die eine Liste der verbotenen Bücher betrieb, hieß früher Inquisition. Heute kommen derartige Ideen von links.
Die Regierungsbeteiligung in Salzburg muss Sie mit Genugtuung erfüllen. Im Wahlkampf hat Landeshauptmann Wilfried Haslauer noch gemeint, die Tonalität der Kickl-FPÖ erinnere ihn an die 1920er-Jahre.
Kickl
Die Spitzenvertreter der ÖVP in Salzburg, aber auch in Oberösterreich sind die letzten, die uns gegenüber mit einer Oberlehrer-Mentalität auftreten sollten. Wilfried Haslauer und sein Amtskollege Thomas Stelzer waren zwei Bischöfe des Herrn Kurz, die ihm dabei halfen, sich den Staat untertan zu machen.
Und spüren Sie jetzt Genugtuung?
Kickl
Ich war es nicht, der umgefallen ist. Die Regierungsbeteiligung in Salzburg und die Koalition mit der ÖVP in Niederösterreich haben eine historische Dimension. Denn sie widerlegen alle Experten, die behaupten, die Freiheitlichen würden nur kritisieren und sich scheuen, politische Verantwortung zu übernehmen. Ich frage mich ja, wie lange man sich als Experte irren darf, um immer noch als Experte zu gelten.
Politische Verantwortung bedeutet, Stellung zu beziehen. Alle Parteien sind sich einig, dass Österreich im Krieg militärisch neutral sein muss. Aber nur die Freiheitlichen sind auch moralisch neutral gegenüber dem Leid der ukrainischen Bevölkerung.
Kickl
Die primäre Aufgabe österreichischer Politiker ist es, negative Auswirkungen des Krieges, den wir mehrfach verurteilt haben, auf die eigene Bevölkerung so gering wie möglich zu halten. Wenn das gelungen ist, kann ich mir überlegen, wie ich Hilfe leiste. Die Debatte um die Neutralität ist heuchlerisch. Denn die Sache ist nicht zu Ende gedacht. Wenn in der Ukraine tatsächlich die Werte des Westens verteidigt werden, wieso greifen dann NATO und die EU nicht militärisch ein?
Weil die NATO und die EU defensive Bündnisse sind und eine militärische Konfrontation mit Russland vermeiden wollen. Sie aber behaupten, die EU sei kriegslüstern. Der einzige Kriegslüsterne ist Putin.
Kickl
Zu einem Konflikt gehören immer zwei.
Der Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt, dass einer genügt.
Kickl
Man kann ja sagen, bis zum Einmarsch sei alles eitel Wonne gewesen, und es hätte nie einen Konflikt gegeben und auch keine Spannung zwischen der NATO und Russland. Das kann man behaupten, aber es ist falsch. Da hat sich etwas in einer unheilvollen Art und Weise über Jahrzehnte aufgeschaukelt und entzündet sich jetzt tragischerweise für alle Beteiligten, auch für die österreichische Bevölkerung, die den Preis in Form einer Rekordinflation zahlt. Wenn ich einen Ausweg suche, wäre ein Staat wie Österreich dafür prädestiniert, die eigene Neutralität in die Waagschale zu werfen.
Die EU ist ein Friedensprojekt.
Kickl
Das war sie einmal. Jetzt verliert sie ihre Selbstständigkeit und geht in den Strukturen der NATO auf. Ich höre nur noch Forderungen, dass neue und schwerere Waffen an die Ukraine geliefert werden sollen. Vor allem die Grünen tun sich da hervor: Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?
Sie wären also dafür, dass der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellt.
Kickl
Ja. Ohne Waffen kann man keinen Krieg führen.
Dann gibt es die Ukraine vielleicht nicht mehr.
Kickl
Früher oder später landen wir bei Friedensverhandlungen. Die Frage ist, wie viele Menschen bis dahin noch ihr Leben verlieren müssen.
Sie wurden jüngst bei einer Veranstaltung gefragt, ob Sie religiös seien. Ihre Antwort war, dass Sie an Gott glauben.
Kickl
An den christlichen Gott, nicht an irgendeinen.
Römisch-katholisch?
Kickl
Ja, aber von meinem Zugang her bin ich im Geiste mindestens zur Hälfte Protestant. Martin Luther wusste, dass es notwendig ist, in einer Sprache zu predigen, die auch von den einfachen Menschen verstanden wird. Das zeigt eindringlich die Wirkmächtigkeit des Wortes.
Das Christentum steht für Nächstenliebe, Milde und Versöhnung.
Kickl
Sie haben ja keine Ahnung. Ich bin ein milder Mensch. Aber jemanden zu mögen, heißt nicht, immer lieb zu ihm sein zu müssen.
Der angeblich milde Hebert Kickl hat Andreas Babler als „linken Vogel“ bezeichnet.
Kickl
Das ist eine verharmlosende Bezeichnung.
Sie teilen gern aus, reagieren aber selbst sensibel, etwa als Sie in einem profil-Arikel einmal „Wurmmittelstürmer“ genannt wurden.
Kickl
Also mir hat noch niemand vorgeworfen, dass ich schlecht im Einstecken wäre. Was mich an dem Begriff störte: Das profil hat doch den Anspruch, nicht so trivial und populistisch zu sein, wie ich das angeblich bin. Mir vorzuwerfen, ich hätte in der Pandemie ein Pferdewurmmittel für Menschen empfohlen, ist faktisch falsch und journalistisch tief. Das Medikament ist für Menschen zugelassen.
Wenn Sie im Sommer in den Bergen unterwegs sind, fällt Ihnen dann der Klimawandel auf? Etwa, dass die Gletscher immer kleiner werden? Oder sehen Sie da nichts Ungewöhnliches?
Kickl
Klima ist ein einziger Wandel. Aber wir Freiheitlichen leugnen nicht die Erderwärmung. Ich wehre mich allerdings gegen Weltuntergangsszenarien, die den Leuten Angst machen sollen, um daraus eine Reihe von angeblich unumstößlichen Maßnahmen abzuleiten. Das ist das, was ich Klimakommunismus nenne.
Warum sollte man den Menschen vorsätzlich Angst machen wollen?
Kickl
Weil Angst ein großer Hebel ist, um Leute zu einem erwünschten Verhalten zu bringen. Dahinter stecken auch Geschäftsmodelle.
Ihr Menschbild ist offenbar, dass wir alle steuerbar sind.
Kickl
In der Corona-Zeit habe ich in einer absolut erschreckenden Dimension erlebt, wie leicht eine solche Steuerung funktionieren kann. Daher bin ich jetzt alarmiert, wenn auch in anderen Bereichen versucht wird, ein Dogma aufzustellen. Und wer sich dieser Glaubenslehre nicht anschließt, gilt als Ketzer.
Die FPÖ ist immer dagegen, egal was kommt.
Kickl
Ich bin gegen das Negative. Und die Negation der Negation ist das Positive.
Interview: Gernot Bauer
Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.