Ein Mann mit einer Fahne
Nationalratswahl 2024

Kickls Wahlerfolg: Die Gründe eines angekündigten Sieges

Der FPÖ-Chef ist am Ziel, seine Partei stärkste Kraft im Land. Wie ist ihm das gelungen?

Drucken

Schriftgröße

Bei der Abschlussveranstaltung der FPÖ Freitagabend am Wiener Stephansplatz hatte FPÖ-Obmann Herbert Kickl sein Publikum euphorisiert. Er könne es kaum erwarten, dass der blaue Balken bei der ersten Prognose am Wahltag „ganz nach oben schnalzt“. Sonntagnachmittag hatte sich die blaue Schar schon am Nachmittag im herbstlich frischen Gastgarten der Stiegl-Ambulanz, einem Bierlokal in Wien Alsergrund, versammelt. Der Sender ihrer Wahl war Servus-TV. Als dieser das FPÖ-Ergebnis kurz nach 17 Uhr mit über 29 Prozent auswies, war nur ein kurzes Gejohle zu hören. Der Ton der TV-Apparate war abgestellt, die meisten Anwesenden versäumten den Freudenmoment. Dabei stand schon zu diesem Zeitpunkt der Sieger des Abends fest: Herbert Kickls FPÖ. 

Die Analyse zeigt: Die FPÖ holte sich die Stimmen, die sie bei der Nationalratswahl 2019 massenhaft an die ÖVP verloren hatte, direkt zurück. Laut Wählerstromanalyse des Foresight-Instituts wanderten 443.000 Stimmen von Schwarz zu Blau. Es ist der größte je gemessene Wählerstrom. Die FPÖ hat die ÖVP regelrecht gemolken.

Kickl ist es gelungen, seine Zielgruppe auszubauen. Neben den Hardcore-FPÖ-Fans, die sich schon vor Monaten für die FPÖ entschieden, sicherte er sich im Wahlkampf auch die Stimmen von Wählern, die mehr zur Mitte tendieren. Die rechtspopulistische FPÖ ist endgültig zu einer – im politikwissenschaftlichen Sinn – „Volkspartei“ geworden, die alle Bevölkerungsschichten anspricht. Am Sonntag holte Kickl laut Meinungsforscher Peter Hajek die Mehrheit bei Männern und Frauen, bei den Unter-30-Jährigen, bei den 30- bis 59-Jährigen, bei den Berufstätigen, bei den Wählern am Land und auch bei jenen in den urbanen Räumen. Bei Pensionisten und Wählern mit Matura wurde die FPÖ dagegen nicht stärkste Partei, auch nicht in den Großstädten.

Der Wahlerfolg bedeutet für Kickl auch eine Rache an der ÖVP. Die Revanchegelüste gelten aber weniger dem früheren Kanzler Sebastian Kurz, der den damaligen Innenminister Kickl im Mai 2019 aus der Regierung warf. Mit Kurz habe er „kein aktuelles Thema“, wie Kickl in einem Ö3-Interview im Sommer bekannte. Mit Kanzler Karl Nehammer hat der FPÖ-Chef dagegen mehrere Rechnungen offen. Im Wahlkampf bezeichnete der ÖVP-Obmann Kickl als „Verschwörungstheoretiker“, „Rechtsextremisten“ und „Sicherheitsrisiko“.

Nehammers dramatische Warnungen wirkten nicht. Die FPÖ-Wählerschaft verzeiht ihrem Idol – ähnlich wie die Trump-Wählerschaft dem ihren – jede Extremposition, jede Übertreibung, jede vulgäre Zote. Mehr noch: Sie freut sich darüber. Der Herbert, der traut sich was. Und eine Hetz‘ ist es auch: wenn er etwa die anderen Parteien als „Swingerclub der Machtlüsternen“ bezeichnet oder die Salzburger Festspiele als „Inzuchtpartie“. Auch sein koketter Umgang mit rechtsextremen Gruppen schadet ihm nicht. Die Identitäre Bewegung nennt er bekanntlich eine „NGO von rechts“ mit „unterstützenswerten“ Ideen. Am Vortag der Wahl sorgten ausgerechnet zwei der engsten Kickl-Vertrauten für Wirbel: Harald Stefan, Erster der Wiener Liste für die Nationalratswahl, und Klubdirektor Norbert Nemeth, der auf der Bundesliste kandidierte. Beide nahmen Freitag am Begräbnis eines „Alten Herren“ der rechtsextremen Burschenschaft Olympia teil. Auch Nemeth ist dort Mitglied, Stefan trat vor einigen Jahren aus. Wie „Der Standard“ am Samstag berichtete, wurde beim Begräbnis das SS-Treuelied („Wenn alle untreu werden…“) angestimmt. Ob Stefan und Nemeth mitsangen, ist nicht bekannt.

FPÖ seit zwei Jahren voran

Im Dezember 2022 überholte Kickls FPÖ in der profil-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique Research die damals führende SPÖ und liegt seitdem an erster Stelle. Ihren höchsten Wert erreichte die FPÖ vor genau einem Jahr mit 32 Prozent. Von dort glitt sie nun zum Sieg.

Der heurige Wahlkampf war der erste, den Kickl für sich und nicht für einen anderen Parteichef entwarf. Dabei ging er einen neuen Weg. Auf den Plakaten dominierte statt der gewohnten Farben Rot und Blau das Weiß, ein Zeichen für Ruhe und Frieden. Auf eine Prise Gotteslästerung wollte Kickl aber nicht verzichten. „Euer Wille geschehe“ lautete einer der Slogans. Dazu diente er sich seinen Fans als Kanzler an: „Ihr seid der Chef, ich bin euer Werkzeug“; „Auf Dich kommt‘s an“; „Gemeinsam Kanzler“. 

Man kennt Kickl als Rabauken mit verbissenem Siegeswillen, im Wahlkampf gab er auch den milden Schutzpatron: Österreich werde unter ihm „eine Insel der Seligen, der Glücklichen“ werden. Dem Land stünden „fünf gute Jahre“ bevor. Als Kanzler wolle er „wie ein guter Familienvater“ agieren. 

Blauer Loop

Thematisch befindet sich die FPÖ seit drei Jahrzehnten in einem Loop: Zuwanderung, Asyl, Integration. Aus blauer Sicht lässt dich damit jedes Problem verknüpfen: Wohnungsnot? Überlastetes Gesundheitssystem? Überfüllte Klassenzimmer? Schuld sind Migranten, Asylberechtigte und Integrationsverweigerer. Im Jahr 2017 hatte Sebastian Kurz das Thema „Ausländer“ für die ÖVP gekapert. Kickl holte es sich zurück. Migration und Asyl dominierten den Wahlkampf. Die Hochwasserkatastrophe änderte daran nichts. 33 Prozent der FPÖ-Wähler geben laut Meinungsforscher Hajek die blaue Migrationspolitik als ihr Wahlmotiv an.

Auch mehr als zwei Jahre nach dem Ende der Corona-Pandemie punktete Kickl im Wahlkampf, indem er der ÖVP-Grünen-Bundesregierung vorwarf, Österreich zur „Diktatur“ und einem „Unrechtsregime“ gemacht zu haben. Um weiter zu eskalieren, startete er eine Kampagne gegen die Weltgesundheitsorganisation WHO, die er bezichtigte, „unter dem Deckmantel des Gesundheitsschutzes ihre Pläne von einem neuen Menschen umsetzen zu wollen“ und Österreichs Souveränität bei der nächsten Pandemie auszuhebeln. Noch Dienstag vor der Wahl trat der umstrittene deutsche Mediziner Sucharit Bhakdi auf Einladung von FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz in der Lugner City auf. Bhakdi bezeichnet die Coronaimpfung als „satanisches Programm, das Millionen Menschen geschädigt und verstümmelt hat“. Auch die Polioimpfung sei „wahrscheinlich eine Riesenlüge“, und die Pockenimpfung habenie gewirkt.

Wirtschaftspartei FPÖ

Erfolgreich war offenbar auch Kickls Manöver, die FPÖ wieder als liberale Wirtschaftspartei zu positionieren. In ihrem Wahlprogramm fordert die FPÖ eine Senkung der Körperschaftsteuer für kleine Unternehmen und eine Reduktion der Lohnnebenkosten sowie die Abschaffung der CO2-Abgabe. Mit Barbara Kolm, der langjährigen Leiterin des Thinktanks „Friedrich-Hayek-Institut“, und dem ehemaligen ÖBB-Top-Manager Arnold Schiefer kandidierten zwei deklariert wirtschaftsliberale Kandidaten auf der FPÖ-Bundesliste.

Schwung hatten der FPÖ die jüngsten Landtagswahlen verliehen. Sowohl bei den Wahlen im Land Salzburg (April 2023) als auch in Niederösterreich (Jänner 2023) legte die FPÖ nicht nur deutlich zu, sondern schaffte es in die Landesregierungen, obwohl beide ÖVP-Landeshauptleute, Wilfried Haslauer und Johanna Mikl-Leitner, eine Kooperation mit den Freiheitlichen ausgeschlossen hatten. Kickl freute sich. Seine Gegner Haslauer und Mikl-Leitner wurden dadurch beschädigt. Er selbst hatte seine Parteifreunde in Salzburg und St. Pölten darin bestärkt, in die Koalitionen zu gehen, um die Regierungs- und Salonfähigkeit der Freiheitlichen zu demonstrieren.

Mit 28,8 Prozent (vorläufiges Endergebnis) erzielte Kickl das beste Ergebnis der FPÖ bei Nationalratswahlen. Damit übertraf er sein früheres Idol Jörg Haider, der am 3. Oktober 1999, vor fast genau 25 Jahren, 26,9 Prozent erzielt hatte. Auch Haider hatte seine Abschlussveranstaltung am Stephansplatz abgehalten. Neben der Bühne stand damals ein begeistert lauschender 30-jähriger Mitarbeiter der Freiheitlichen Akademie: Herbert Kickl.

Anmerkung: Dieser Artikel wird laufend aktualisiert

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.