Kinderbetreuung: ÖVP sorgt mit „Zwangsarbeit“-Sager für Aufregung
„Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ist eigentlich der direkte Weg zur Zwangsarbeit junger Mütter und das wollen wir nicht.“ Dieser Satz wurde vom oberösterreichischen ÖVP-Klubobmann Christian Dörfel bei einer Debatte im Landtag am Donnerstag ausgesprochen. SPÖ und Neos, die einen Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung forderten, bezeichnete er als Kommunisten.
Die Kritik folgte prompt. Denn die Aussage wirft die Frage auf, welches Frauenbild die ÖVP pflegt. Und wie das zu Oberösterreichs Versprechen passt, zum „Kinderland Nummer 1“ zu werden.
Österreichs Kinderbetreuungsquote ist schon lange unterdurchschnittlich, das sorgt immer wieder für Kritik. In diesem Punkt marschieren Gewerkschaft, Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer in seltener Einigkeit. Sie alle wollen, dass das öffentliche Betreuungsangebot ausgebaut wird, um Frauen zu entlasten und ihnen einen schnelleren Wiedereinstieg in den Job zu ermöglichen.
Es gibt Aufholbedarf, denn Österreich verfehlt die Kinderbetreuungsziele der Europäischen Union seit Jahren. Ende 2022 hat der Rat der EU seine Barcelona-Ziele erhöht: 45 Prozent der Kinder unter drei Jahren sollen laut Empfehlung 2030 an frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung teilnehmen. ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek findet diese Quote unrealistisch. Im vergangenen Schuljahr wurden in Österreich nur etwa 29 Prozent der Kinder unter drei Jahren betreut.
Oberösterreich liegt mit 19,6 Prozent an vorletzter Stelle im Bundesländer-Ranking, nur knapp untertroffen von der Steiermark. Deshalb verdient die Aussage des Klubobmannes besondere Beachtung.
NEOS-Klubobmann Felix Eypeltauer, der im Landtag am Donnerstag einen Ausbau der Kinderbetreuung und ein Recht auf einen Betreuungsplatz im Landtag einforderte, ist entsetzt: „Das schockiert uns. Diese Haltung hat in einem modernen Oberösterreich nichts zu suchen.“
Dörfel argumentiert auf profil-Anfrage: Mütter, die sich bewusst dazu entscheiden, die ersten Jahre mit den Kindern zu verbringen, würden Vorurteile der Gesellschaft treffen und folglich zur Arbeit gedrängt werden.
Landeshauptmann Thomas Stelzer wollte auf profil-Anfrage zur Wortwahl des Klubobmannes nichts sagen – und schickte stattdessen OÖVP-Landesgeschäftsführer Florian Hiegelsberger vor: „Den Eltern wollen wir Wahlfreiheit geben, indem die Betreuungsangebote entsprechend der jeweiligen Bedarfslage ausgebaut werden. Das ist die Parteilinie der OÖVP, die der Klubobmann gestern auch sehr pointiert dargelegt hat.“ Die Aussage des OÖVP-Klubobmanns Dörfel sei als Absage einer „Verstaatlichung“ der Kinderbetreuung zu verstehen – „wenn auch überspitzt formuliert“. Eine Distanzierung klingt anders. Hiegelsberger war allerdings bemüht, auf Verbesserungen hinsichtlich der Öffnungszeiten der Betreuungseinrichtungen zu verweisen.
Verstaatlichung light also.
Wie viel Wahlfreiheit die Familien – und vor allem die Frauen – in Oberösterreich bei einer Betreuungsquote von unter 20 Prozent wirklich haben, ist jedenfalls fraglich.