Klimakrise: Immer mehr Städte und Gemeinden rufen den Notstand aus
Wenn Jürgen Hutsteiner über die Klimakrise spricht, liegen zwischen Hoffnung und Verzweiflung oft nur ein paar Minuten. „Manchmal glaube ich, es ist schon alles zu spät“, sagt Hutsteiner vergangenen Donnerstagvormittag, während ihm die Junirekordhitze Schweißperlen auf die Stirn treibt. Im Hintergrund gackern Hutsteiners Hühner und suchen die Wiesen nach schattigen Plätzen ab. Hutsteiner ist 46 Jahre alt, vierfacher Vater und Eierbauer im oberösterreichischen Steyr. Sein stolzer Vierkanthof liegt auf einer Anhöhe über dem Stadtkern und ist umgeben von Wiesen und Feldern. Mitte Juni rief Hutsteiner auf seinem Hof den Klimanotstand aus.
„Ich bin kein Verrückter“, schrieb der Landwirt kürzlich in einem Leserbrief an eine Regionalzeitung. Er habe nur die Situation erkannt. Als Bauer leide er unter den Folgen des Klimawandels. „Die Trockenheit, die Zeckenplage, das Waldsterben habe ich selbst mitverursacht.“ Er sei viele Kilometer unnötig mit dem Auto gefahren, habe Soja aus Südamerika gekauft, wofür wahrscheinlich Regenwald abgeholzt wurde. „Wir Landwirte sind zurzeit Teil des Problems, aber wir könnten auch Teil der Lösung sein“, sagt Hutsteiner. Den Klimanotstand rief der Landwirt auch deshalb aus, um sich mit den anderen Gemeinden und Städten zu solidarisieren: „Ich prüfe heute jede Investition in meinem Betrieb, ob sie gut für das Klima ist.“
Nach der steirischen Gemeinde Michaelerberg-Pruggern und Perchtoldsdorf in Niederösterreich erklärte vergangene Woche Traiskirchen als erste Stadt Österreichs den Klimanotstand. Innsbruck wird Mitte Juli mit einem Beschluss im Stadtsenat folgen. Ein entsprechender Antrag ist bereits ausgearbeitet. Auch Mödling und Guntramsdorf bereiten den Klimanotstand vor. Damit folgt Österreich einer weltweiten Bewegung. Inzwischen haben mehr als 650 Regierungen und Verwaltungen in 15 Ländern den „Climate Emergency“ erklärt: Von San Francisco bis London, Zürich und Prag, Heidelberg, Kiel, Mailand, Neapel; Großbritannien und Irland haben ihn landesweit ausgerufen.
Ausdruck der Volkssouveränität
Das Konzept des Klimanotstands geht auf das Jahr 2016 zurück. Die australische Stadt Darebin nahm damals das bis dato heißeste Jahr der Geschichte zum Anlass, seinen „Climate Emergency Plan“ zu präsentieren und verordnete sich selbst Maßnahmen, um den Ausstoß von Treibhausgas drastisch zu verringern. Im Dezember 2018 präsentierte der Club of Rome einen ähnlichen Plan vor dem EU-Parlament, woraufhin die Aktivisten von „Fridays for Future“ begannen, den Notstand vehement einzufordern. Der Klimanotstand wurde auch als Ausdruck der Volkssouveränität interpretiert: Er werde zwar von oben ausgerufen, aber von unten verlangt. Die Klimabewegung in Österreich richtete ihren Appell insbesondere an die Hauptstadt. Laut einer aktuellen europaweiten Studie zählt Wien zu jenen Städten Europas, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind. Doch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sieht bisher keinen Anlass, der Bewegung zu folgen.
Reine Symbolpolitik, sagen Kritiker des Begriffs. Auch der Bayerische Gemeindetag machte vergangene Woche deutlich, dass er wenig vom Klimanotstand hält, und sprach von „Aktionismus“. Mit dem Ausrufen des Notstands wird dem Eindämmen der Klimakrise zwar höchste Priorität eingeräumt. Jede politische Entscheidung wird auf ihre Auswirkungen auf das Klima geprüft, und die CO2-Emissionen sollen bis 2030 netto auf null gebracht werden. Doch alles ohne rechtliche Bindung und Sanktionen.
„Wenn das eine Gemeinde nur als PR-Aktion nützt, wird man es schnell merken“, sagt die Wiener Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Grundsätzlich hält sie die Initiative für gut und wichtig: „Handelt eine Gemeinde oder Stadt nicht klimafreundlich, herrscht Begründungsbedarf.“ Die Kommunen seien der Bundespolitik schon jetzt vielfach voraus: „Oft sind es einzelne Leute, die in einer Gemeinde das Bewusstsein ändern.“
Jürgen Hutsteiner übernahm im Jahr 2000 den Hof von seinen Eltern – damals noch ohne große Klimaschutzambitionen. Heute zieht sich über das weitflächige Dach des Bauernhauses eine Photovoltaikanlage. Die Eier seiner Hühner liefert der Bauer mit dem Elektroauto aus, vor dem Haus hat er eine eigene Ladestation. In der Garage, dem Hühnerstall gegenüber, stapeln sich große Blöcke an Batterien, die der Bauer Besuchern wie einen Schatz präsentiert. Hutsteiner hat 100.000 Euro in neueste Technologien investiert, um die von den Sonnenkollektoren gewonnene Energie speichern zu können. Fast drei Viertel des Jahres ist der Betrieb energieautark. Hutsteiner engagiert sich heute aktiv im Klimaschutz und ist an einigen regionalen Initiativen beteiligt. Ob sich seine Investitionen irgendwann ökonomisch rentieren werden, weiß er nicht: „Aber irgendwer muss damit anfangen.“
Dass wir uns international im Klimanotstand befinden, sollte eigentlich eine allgemein anerkannte Tatsache sein. (Martin Schuster, Bürgermeister Perchtoldsdorf)
Auch der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler (SPÖ) hat nach Ausrufen des Klimanotstands eine Liste von Maßnahmen präsentiert: kein Plastikgeschirr bei Veranstaltungen, einen E-Fuhrpark, verpflichtende Verwendung von nachhaltigen Baustoffen. Betonflächen auf Parkplätzen sollen aufgebrochen und begrünt werden. Es werde eine Berichtspflicht geben, während außenstehende Experten die Fortschritte evaluieren.
„Wenn sich mehr und mehr Städte und Gemeinden zum Klimanotstand bekennen, wird der Druck auf die Bundespolitik steigen“, sagt Kromp-Kolb. Die bevorstehenden Wahlen und die Tausenden demonstrierenden Jungen würden die Parteien zu Anworten auf die Klimakrise zwingen. „Der Bund muss endlich eine sozialökologische Steuerreform beschließen. Die Politiker können sie von mir aus nennen, wie sie wollen, aber ohne eine solche Reform werden wir die Klimaziele nicht erreichen“, mahnt die Klimaforscherin.
"Uns macht das Sorgen"
„Dass wir uns international im Klimanotstand befinden, sollte eigentlich eine allgemein anerkannte Tatsache sein“, sagt der Perchtoldsdorfer Bürgermeister Martin Schuster (ÖVP). Auch in seiner Gemeinde mache sich der Klimawandel zunehmend bemerkbar. Perchtoldsdorf, gelegen an der südlichen Grenze Wiens, zählt rund 15.000 Einwohner und ist einer der zahlreichen Weinbauorte im Umland der Hauptstadt. Die extremen Regenfälle werden häufiger, sagt Schuster, die Föhren seien vermehrt von Schädlingen befallen, und der Zeitpunkt der Weinlese habe sich in den vergangenen Jahrzehnten von Anfang Oktober auf Mitte August vorverschoben. „Uns macht das Sorgen.“
Die Initiative zur Erklärung des Klimanotstands kam vom Grünen Gemeinderat Christian Apl. Schuster fiel es nicht schwer, hier mitzugehen: Perchtoldsdorf ist seit 25 Jahren Mitglied im Klimabündnis, die Gemeinde war Klima- und Energiemodellregion. Vor fünf Jahren wurde die gesamte öffentliche Beleuchtung auf LED umgestellt, es gibt Elektro-Carsharing, Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gemeindegebäude. Mit Förderungen versucht man, Jugendliche weg vom Moped und hin zum E-Scooter zu bewegen. „Aber jetzt braucht es die nächsten entscheidenden Schritte“, sagt Schuster. Beim Thema Mobilität etwa sei die Gemeinde in der Region „wirklich ganz schlecht aufgestellt“: zu viele Privatautos pro Haushalt, zu hohe Nutzungsraten, zu wenige Radwege und öffentliche Verkehrsverbindungen. „Wenn in Wien 80 bis 90 Prozent der Wege öffentlich zurückgelegt werden, sind es bei uns zehn bis 20.“
Der Vorwurf, dass Perchtoldsdorf hier nur Symbolpolitik mache, halten Apl und Schuster für zynisch. „Es waren die Gemeinden, die in den 1990er-Jahren beim Thema Mülltrennung Vorreiter waren und Druck auf die Bundespolitik ausgeübt haben, beim Klimaschutz ist es ähnlich“, sagt Schuster. Er sieht auch seine eigene Partei in der Pflicht: „Es gibt innerhalb der ÖVP Diskussionsbedarf. Es braucht in der Bundespartei ein klareres Konzept, um auf die Klimafragen Antwort zu geben.“