Klimaschutz: Schmerzhafte Kompromisse für die Grünen bei ihrem Kernthema
Anmerkung: Dieser Artikel erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe Nr. 02/2020 vom 04.01.2020.
Der erste Tag des neuen Jahres hatte mit den Wiener Philharmonikern, reichlich Vivace und kräftigen Fanfarenstößen begonnen und war am späteren Abend mit einer kurzen Erklärung der künftigen türkis-grünen Regierungsspitze "mäßig bewegt" ausgeklungen. Vor allem Grünen-Chef Werner Kogler, sonst durchaus ein Freund der zugespitzten, lebhaften Rede, blieb eher verhalten. Tenor: Es war schwierig, aber es ist uns etwas gelungen. Das große Wort von der "Klimawende" fiel nicht. Stattdessen sprach Kogler von einem "Einstieg in den Umstieg da und dort".
So locker Bald-wieder-Kanzler Sebastian Kurz die Losung, dass es möglich sei, „sowohl das Klima als auch die Grenzen zu schützen“, über die Lippen ging, so bänderzerrend ist der Spagat für die Grünen. Die Öko-Partei war angetreten, mit dem Klimaschutz Ernst zu machen. Dafür biss sie – etwa bei Migration, Asyl und Integration – die Zähne zusammen und riskierte, beim Bundeskongress die Schmerzgrenzen der grünen Delegierten auszureizen. Sind die Erfolge im Klimaschutz die strapaziösen Dehnungsübungen wert?
Das Kapitel Klimaschutz beginnt mit einer Verheißung für eine eher ferne Zukunft. 2040 will Österreich klimaneutral sein. Allerdings: Das hatte auch Türkis-Blau versprochen, ohne die nötigen Schritte zu setzen. Die EU will erst zehn Jahre später der erste Kontinent sein, der keine Emissionen in die Atmosphäre bläst. Auch das ist ambitioniert. Es gehört zum Repertoire der Selbstbespiegelung, dass Österreich mit reichlich Wasser gesegnet ist und im Klimaschutz bestens dasteht. „Vorreiter“ wolle man sein, heißt es im aktuellen Programm. Dabei handelt es sich um einen Mythos, von dem nur der erste Teil stimmt. Die Voraussetzungen sind ideal. Doch das Land der Berge, Land am Strome machte es sich auf seinem geologischen Glückspolster lange Zeit bequem.
Zwischenziel bis 2030
Nun braucht es ordentlich Wucht, um Österreich auf das Paris-Gleis zu stellen. 2015 hatten sich in der französischen Hauptstadt 200 Staaten unter größten Mühen darauf verständigt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Jedes Land muss sich ins Zeug legen. Die EU gab Österreich ein Zwischenziel vor: Gegenüber 2005 sollen die Emissionen bis 2030 um 36 Prozent sinken. Laut Berechnungen von Klimaforschern genügt das bei Weitem nicht. Meint Österreich es ernst, dürfen nur halb so viele Treibhausgase ausgestoßen werden. Die heimischen Böden und Wälder können fünf bis zehn Prozent der Emissionen speichern, und das auch nur, wenn die Kapazitäten dafür ab sofort geschaffen werden. Der große Rest muss eingespart werden.
Bis zum Schluss war der Klimaschutz-Brocken bleischwer zwischen den türkis-grünen Verhandlern gelegen. Der heiße Dürresommer 2019, die brennenden Regenwälder am Amazonas und die Fridays-for-Future-Demos hatten die Grünen nach ihrem Rauswurf aus dem Parlament vor zwei Jahren politisch wieder emporgehoben. Alle Augen richten sich nun auf Leonore Gewessler, die ehemalige Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Global 2000, die als erste Grüne in das Infrastrukturministerium einzieht.
In dem Ressort arbeiten fast 1000 Beschäftigte, in den angegliederten Gesellschaften sind es 46.896, der Löwenanteil davon Eisenbahner. Die Ressortchefin hat Vorstandsposten der Straßenbaugesellschaft Asfinag, der ÖBB, der Luftfahrtgesellschaft AUSTRO CONTROL und der Wasserwege-Gesellschaft Via Donau zu besetzen. Grüne Verhandler haben intern schon klargemacht, dass sie dort auch Personen ihres Vertrauens brauchen. Im Ministerium selbst wurden in den vergangenen Jahren einige Freiheitliche zu Abteilungs- und Sektionsleitern bestellt. Andreas Reichhardt, Straches Jugendfreund aus Wehrsporttagen, derzeit Minister der Beamtenregierung, kündigte an, als Sektionschef in die Forschungs- und Technologieabteilung zurückkehren zu wollen.
Kleine grüne Durchbrüche
Bei der Vorstellung des Regierungsprogramms schlug Grünen-Chef Werner Kogler demonstrativ zuversichtliche Töne an. Tatsächlich verstecken sich zwischen den Absichtserklärungen der neuen Regierung kleine Durchbrüche, die es ohne die Öko-Partei nicht gäbe. Auf Flugtickets werden zwölf Euro aufgeschlagen. Kurz- und Mittelstrecken werden damit teurer, Langstrecken billiger. Die Normverbrauchsabgabe, die Pendlerpauschale und die LKW-Maut sollen ökologisiert werden. Die öffentliche Verwaltung will mit gutem Beispiel vorangehen und künftig nur noch fossilfrei betriebene Dienstwägen anschaffen. Polizeiautos und Bundesheer-Fahrzeuge wurden ausgenommen. In einem neuen Klimaschutzgesetz sollen Emissionsreduktionspfade festgeschrieben werden. Gesetze, Förderrichtlinien und Investitionsvorhaben der öffentlichen Hand sind künftig einem Klimacheck zu unterziehen. Der stufenweise Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas für das Beheizen von Räumen soll neben einem Photovoltaik-Programm für „eine Million Dächer“ in absehbarer Zeit zu laufen beginnen. In öffentlichen Küchen will man jeden Tag einen Klimateller auftischen. Auf europäischer Ebene zieht man bei CO2-Zöllen und einem CO2-Mindestpreis im europäischen Emissionshandel mit. Die österreichischen Beiträge zum Green Climate Fund sollen „signifikant“ aufgestockt werden.
Das signalisiert guten Willen, doch keine eiserne Entschlossenheit. „Die nächsten Jahre werden eine Kämpferei“, prognostiziert ein grüner Verhandler. Das große Sorgenkind der Klimaschützer ist der Verkehr. Hier soll ein von Türkis-Grün entworfenes 1-2-3-Ticket den Verzicht auf das Auto erleichtern. Um einen Euro pro Tag ist man damit im Bundesland unterwegs, um zwei Euro auch in einem angrenzenden Bundesland und im drei Euro in ganz Österreich. Die von FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer vorangetriebenen 140-km/h-Teststrecken auf Autobahnen werden „umgehend“ beendet.
Dreh- und Angelpunkt des Klimaschutzes aber ist eine CO2-Steuer oder CO2-Bepreisung, um die bis zuletzt gerungen wurde. Sie soll ab 2022 kommen. Belastungen dürfen unterm Strich dabei nicht herauskommen, so das Diktat der ÖVP. Eine im Finanzministerium angesiedelte Taskforce soll die „ökologische Umsteuerung“ vorbereiten. Allerdings wurden in Arbeitsgruppen schon viele Vorhaben niederadministriert. Kogler lässt sich seinen Elan nicht nehmen: „Die CO2-Bepreisung wird kommen.“
"Obszönes" Abwarten
Bewerten lassen sich die geplanten Vorhaben auch anhand eines 200 Seiten starken Berichts, zu dem so gut wie alle namhaften Klimaforscher des Landes beitrugen. Ihr im September vorgestellter Referenzplan „Ref-NEKP“ sollte taugliche Wege zum Pariser Klimaziel weisen. Das Fazit der rund 70 Wissenschafterinnen und Wissenschafter: Der Luxus des Abwartens wird allmählich obszön. Jahrzehnte verstrichen, ohne dass nötige Weichen gestellt wurden. 1988 verpflichteten sich die Industrieländer in Toronto, die Treibhausgase um ein Viertel zu reduzieren. Sanktionen für Klimasünder gab es keine. Als 2005 Bilanz gezogen wurde, lagen die Emissionen hierzulande um fast 50 Prozent höher als ausgemacht. Nächstes Ziel: Kyoto 1997. Österreich, als damals junges Mitglied der EU ein Greenhorn im unionsweiten „Burden Sharing“, entsandte Umweltminister Martin Bartenstein (ÖVP) mit der Order, höchstens 12,5 Prozent weniger Emissionen zuzugestehen, die Hälfte der in Toronto versprochenen 25 Prozent. Nach zähem Feilschen legte Bartenstein einen halben Prozentpunkt drauf. Doch selbst jene 13 Prozent, die zwischen 2008 und 2012 gegenüber Anfang der 1990er-Jahre an CO2 eingespart werden sollten, schaffte man nicht. Österreich leistete 500 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen.
Die Grünen stehen in der Verantwortung, an der emissionsfreien Gesellschaft mitzubauen. Bei der Gewichtung der Maßnahmen sehen die Klimaforscher Spielraum: Will man lieber Anreize setzen oder Verbote aufstellen? Lässt man lieber mehr von unten zu oder setzt man auf Diktate von oben? Um eine ökosoziale Steuerreform führt auch für Karl Steininger, Klima-Ökonom am Wegener Center in Graz und Koautor der Studie, kein Weg herum: „Eine liberale Gesellschaft, die dem Einzelnen die Freiheit zugesteht, zu entscheiden, wie viel ihm klimaschädliches Verhalten wert ist, ist gut beraten, einen Preis für fossile Brennstoffe festzusetzen und die Kosten für Hochwasser und andere Klimaschäden an die Verursacher zurückzuspielen.“
Bis Ende des vergangenen Jahres musste jedes EU-Mitglied einen Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP) abliefern. Verlangt waren schlüssige Darstellungen, wie die Staaten ihre Ziele bis 2030 erreichen wollen. 2018 schickte die türkis-blaue Regierung einen Entwurf nach Brüssel und erntete ein brüskes „Bitte überarbeiten!“ Die Übergangsregierung verfasste eine endgültige Version. Sie enthält Nachbesserungen, verblüfft aber mit dem Eingeständnis, dass man die Paris-Vereinbarung damit nicht erreicht.
Österreich gehört mittlerweile zu den wenigen Ländern in Europa, die noch über den Emissionen von 1990 liegen. „Alle anderen haben den CO2-Ausstoß um durchschnittlich ein Viertel gesenkt, einige mehr“, sagt Steiniger. In Ostdeutschland wurde die Industrie effizienter, in der Slowakei brachen Teile der Industrie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weg. Das ließ die Emissionen rapide sinken. Länder wie Österreich hatten es schwerer mit der Reduktion. Allerdings steigt das Land auch im Vergleich mit Ländern ohne Sondereffekte dieser Art schlecht aus.
Linse auf Nachhaltigkeit
Mit ihrem Green New Deal setzte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf europäischer Ebene die Segel neu. Auf nationaler Ebene braucht es Anstrengungen an allen Ecken und Enden, Gebäude, die zu Energie-Hubs werden müssen, eine Wirtschaft, die in Kreisläufen denkt, Städte, in denen man gerne zu Fuß geht und Rad fährt, klimaschonende Bauweisen, mehr Biolandbau, weniger Fleisch, eine Raumplanung, die der Zersiedelung Einhalt gebietet, Leerstände und Baulücken in Ballungsgebieten nützt, noch mehr Energie aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse, eine kritische Infrastruktur, die extremem Wetter standhält – kurzum: Die Linse, durch die wir die Welt und unsere Rolle darin betrachten, muss auf Nachhaltigkeit scharfgestellt werden.
Der Verkehr hängt zu 93 Prozent vom Erdöl ab, sorgt für rund 29 Prozent der Treibhausgase und ist nach der Industrie der größte CO2-Verursacher. Mit Appellen an die Vernunft ist die Wende nicht zu schaffen. Seit 1990 sind die Emissionen im Verkehr um 67 Prozent gestiegen. Schuld daran ist laut Klimaforschern vor allem die fehlende Kostenwahrheit. Eine City-Maut wie in London, Stockholm oder Singapur oder auch nur geringere Tempolimits auf den Straßen, Maßnahmen, die Emissionen nachweislich drosseln, fehlen im Regierungsprogramm. Die Hälfte aller PKW-Fahrten ist kürzer als fünf Kilometer. Spätestens 2030 sollten keine neuen fossil betriebenen Autos und Motorräder mehr zugelassen werden. Dazu konnte sich Türkis-Grün jedoch nicht durchringen.
Immer noch rollen auf der Straße vier Mal so viele Güter wie auf der Schiene, obwohl auf den Autobahnen pro Tonne und Kilometer das 15-Fache an Treibhausgasen anfällt. Die Folge: plus 91 Prozent Emissionen seit 1990. Schuld sind auch hier systematische Fehlanreize. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das Straßennetz liegt gratis vor dem Fabrikstor, Anschlussgleise müssen Unternehmen teilweise auf eigene Kosten errichten. Fliegen ist an einem geringen Teil der Emission schuld, wächst aber am stärksten. Vier von zehn Maschinen, die 2016 von Wien-Schwechat abhoben, waren weniger als 800 Kilometer in der Luft. Der große Hebel aus Klimaschutzperspektive besteht darin, in welche Infrastruktur investiert wird. Der Ausbau der dritten Piste ist in vollem Gang. Im Koalitionspapier wird sie nicht einmal erwähnt.
80 Prozent der heimischen Industriebetriebe sind in den europäischen Emissionshandel eingebunden, müssen also entweder CO2 einsparen oder Zertifikate kaufen. Die größten Energiefresser sind in den Branchen Stahl, Zement und Chemie beheimatet. Mit erneuerbaren Energien allein lässt sich ihr Hunger auf absehbare Zeit nicht stillen. Die Klimaforscher setzen deshalb auf Wiederverwertung, Abfallvermeidung, rigoroses Sparen beim Verbrauch – etwa durch Bauweisen, die mit geringeren Mengen an Stahl und Beton auskommen. Auch in der Landwirtschaft wäre viel zu tun: mehr Biolandbau, weniger Stickstoffdünger, Aufbau von Humus und Holzbiomasse für die CO2-Speicherung in Böden und Wäldern, weniger Mastvieh im Stall, Umstellung der Milch- und Rindfleischproduktion auf Weidehaltung, weniger Fleisch auf dem Teller jedes Einzelnen. Nirgendwo in Europa wird so viel landwirtschaftliche Fläche umgewidmet und verbaut wie in Österreich. Doch an den Bauern bissen sich die Grünen die Zähne aus, heißt es aus Verhandlerkreisen.
„Wir werden Mühe haben, alles einzulösen“, räumte Werner Kogler vergangenen Donnerstag ein. Enttäuschungsmanagement gehört zum politischen Geschäft.