Klimaforscher Olefs: „Der Trump-Effekt ist relativ überschaubar“
Aus dem jüngsten Bericht des EU-Klimawandeldienstes Copernicus geht hervor, dass sich Europa doppelt so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt. Woran liegt das?
Marc Olefs
Das liegt vor allem daran, dass heute weniger Aerosole (winzige Partikel, die in der Industrie, im Verkehr, oder beim Verbrennung von Holz oder Kohle entstehen; Anm.) in der Luft sind als in den 1980er Jahren. Zurückzuführen ist das auf Luftreinhaltemaßnahmen, die aus gesundheitlichen Gründen absolut notwendig waren. Aber Aerosole haben netto einen kühlenden Effekt. Wenn dieser zunehmend wegfällt – weil die Luft sauberer wird –, dann beschleunigt das die Erwärmung.
In den vergangenen Tagen wurde aber auch über die Wolken diskutiert. Welche Rolle spielt die Bewölkung?
Olefs
Genau, das ist der zweite Effekt. Aufgrund des menschengemachten Klimawandels verlagert sich das Subtropenhoch nach Norden. Das führt dazu, dass wir seit den 2000er-Jahren immer weniger Bewölkung in Europa haben. Und beides – also der Wegfall der Aerosole und die abnehmende Bewölkung – führt dazu, dass wir bodennah mehr Sonneneinstrahlung haben. Das heizt die Böden und das Wasser auf. Aufgrund der gleichzeitig steigenden Treibhausgasemissionen kann diese Zusatzwärme immer schlechter ins Weltall entweichen.
Welche Regionen Europas sind besonders von der Erderhitzung betroffen?
Olefs
Die Hotspots finden sich in Mitteleuropa und im osteuropäischen Raum. Diese Gebiete haben sich auch 2024 sehr stark erwärmt – ebenso wie der gesamte Mittelmeerraum. Die nördlichen Bereiche Europas sind hingegen weniger stark betroffen, weil dort das Niveau der Luftverschmutzung nie so hoch war. Dort war es nie so trüb wie etwa bei uns. Dieser Aufklärungseffekt, aber auch der stärkere Einfluss des Subtropenhochs wirken hauptsächlich in Mittel-, Ost- und Südeuropa.
Was bedeutet das für Österreich?
Olefs
Diese deutlich stärkere Erwärmung führt dazu, dass sich die bekannten Auswirkungen – insbesondere die Intensivierung und Häufung von Extremwetterereignissen – stärker ausprägen. Allen voran die Zunahme der Hitzebelastung und von Starkregen. Letzteres hat vor allem damit zu tun, dass die Wasserdampfaufnahmefähigkeit der Luft exponentiell mit der Temperatur steigt. Heißt: Je stärker die Erwärmung, desto mehr Wasserdampf kann die Luft aufnehmen.
Das heißt, wir werden künftig mehr Starkregenereignisse wie im vergangenen September erleben?
Olefs
Ja, vor allem die kleinräumigen und kurzzeitigen Ereignisse werden weiter zunehmen. Denn dieses exponentielle Wachstum liegt bei rund sieben Prozent pro Grad Erwärmung. Die relative Luftfeuchtigkeit bleibt im Klimawandel ungefähr gleich. Das bedeutet: Wenn ich ein Luftpaket mit 75 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit habe, enthält es bei höheren Temperaturen mehr Wasserdampf – und kann noch mehr aufnehmen. Wir haben kürzlich gemeinsam mit der TU Wien, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft und der Universität Graz ein Forschungspaper im Fachmagazin Nature veröffentlicht. Darin sehen wir in den Messdaten ganz klar, dass kurzzeitiger Starkregen in Österreich – also extreme Stundenniederschläge – zunimmt. Seit den 1980er-Jahren um etwa fünfzehn Prozent. Das hängt sehr eng mit der Entwicklung der Lufttemperatur zusammen.
Welche Rolle spielt das andere Wetterextrem – die enorme Trockenheit?
Olefs
Aus dieser exponentiellen Entwicklung – also mehr Grad Celsius führen zu mehr Wasserdampf, den die Atmosphäre aufnehmen kann – ergibt sich auch dieses vermeintliche Paradoxon: Dass nasse und trockene Extreme im Klimawandel zunehmen. Wir haben also Gegenden, in denen Trockenheit mehr zum Thema wird, und andere, in denen Starkregen dominiert.
In der Steiermark ist der Grüne See ausgetrocknet, bis vor Kurzem hat der Wolfgangsee zu wenig Wasser geführt, sodass die Schifffahrt nicht mehr problemlos funktioniert hat. Hängt auch das mit dem Klimawandel zusammen?
Olefs
Ja, das wird durch die bereits erwähnte Katastrophenformel verschärft. Es nimmt nicht nur der Starkregen zu, sondern auch der „Dampfhunger“ der Luft. Das heißt: Die potenzielle Verdunstung steigt mit der Lufttemperatur. Böden, Wälder, Gärten – aber auch Ackerpflanzen – trocknen dadurch schneller aus. Und da muss man regional differenzieren und sich die Wasserbilanz ansehen, also Niederschlag minus Verdunstung. In Gegenden wie dem Waldviertel und östlich davon ist diese Wasserbilanz schon jetzt relativ gering. Dort gibt es bereits häufig Trockenheitsprobleme. Wenn solche Trockenjahre nun wahrscheinlicher und häufiger werden, dann spitzen sich einzelne Ereignisse, wie Sie sie beschrieben haben, zu.
Es gibt weltweit Stimmen, die der Meinung sind, der Mensch habe auf all das keinen Einfluss. Was entgegnen Sie?
Olefs
Das ist ganz klar auf den Menschen zurückzuführen.
Woher wissen Sie das?
Olefs
Wir können nicht nur die Konzentration von CO2 messen – die jetzt praktisch einen Höchstwert der letzten drei Millionen Jahre erreicht hat. Wir können auch die Herkunft dieses CO2 bestimmen und unterscheiden, ob es aus dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf stammt – also aus Photosynthese und Respiration – oder ob es aus der Nutzung fossiler Energieträger kommt. Wir sehen in den Messdaten eindeutig, dass diese abnormale Steigerung des CO2-Gehalts außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite liegt – und auf die Verbrennung fossiler Energieträger zurückzuführen ist.
Pariser Klimaziele
Auf der UN-Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris haben sich 195 Staaten und die Europäische Union auf zwei Ziele geeinigt:
- Die globale Erwärmung auf „deutlich unter“ zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen
- und Anstrengungen zu unternehmen, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen
Mit Blick auf die USA unter Präsident Trump, die aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen sind, und einem Europa, das den Green Deal aufweicht – geht sich überhaupt noch irgendein Ziel aus, auf das man sich 2015 in Paris geeinigt hat?
Olefs
Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich noch einmal darauf zurückkommen, warum es so wichtig ist, dass wir die Pariser Klimaziele global einhalten. Wir stehen jetzt bei 1,3 Grad Erwärmung. Wenn wir die Emissionen so weiterlaufen lassen, wie bisher, dann hätten wir die untere Grenze, also die 1,5 Grad in circa fünf Jahren überschritten. Diese Grenze wird über einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet – wenn der Trend in diesem Zeitraum darüber liegt, gilt das Pariser Abkommen als verfehlt.
Wie realistisch ist es, dass wir das noch schaffen?
Olefs
Die 1,5 Grad sind mittlerweile sehr unrealistisch. Auch wenn wir in einzelnen Monaten bereits über 1,5 Grad lagen, heißt das noch nicht, dass das Pariser Abkommen bereits jetzt verletzt wurde. Aber es ist extrem wichtig, deutlich unter zwei Grad Erwärmung zu bleiben. Warum? Weil wir aus der Erdgeschichte wissen, dass die globale Temperatur in den letzten drei Millionen Jahren – also in jener Zeit, die unsere Ökosysteme und Umwelt geprägt hat – nie über 1,5 Grad lagen. Deshalb ist es sehr ratsam, diese Marke nicht zu überschreiten.
Wirft uns Trumps Klimapolitik hier zurück?
Olefs
Der Trump-Effekt für sich genommen ist relativ überschaubar – das wurde auch berechnet. Man rechnet mit einem Plus von unter einem Zehntel Grad bis Ende des Jahrhunderts, das durch Trumps Politik ausgelöst wird. Denn auch er kann den Vormarsch erneuerbarer Energien nicht stoppen. Sie sind in den USA und weltweit bereits vorhanden und günstig. Aber natürlich ist die Signalwirkung schlecht – sie könnte anderen Ländern als Ausrede dienen.
Neben seiner Klimapolitik gibt es auch Angriffe auf die Wissenschaft. Auch Klimaforscher sind betroffen. Wie sehr beunruhigt Sie das?
Olefs
Einerseits werden Klimawissenschaftler entlassen. Andererseits geht es auch um wichtige Daten: In den USA werden sehr viele Klimadaten gepflegt und archiviert. Noch lässt sich nicht abschätzen, welche negativen Folgen das haben könnte. Aber es ist auf jeden Fall ein Rückschlag für die globale Zusammenarbeit.
Was heißt das für Europa, konkret für die EU?
Olefs
Europa hat dadurch die Chance, seine Führungsrolle im Klimaschutz zu festigen – mit allen damit verbundenen Herausforderungen. Aber diese Chance muss auch aktiv genutzt werden.
Abschließend ein Blick auf Österreich. Wie steht es um das Ziel der Klimaneutralität bis 2040?
Olefs
Im Regierungsprogramm ist dieses Ziel weiterhin verankert. Neben Mut und politischem Willen, das Gemeinwohl über Einzelinteressen zu stellen, wäre es wichtig, dass diese Ankündigung im neuen Regierungsprogramm in ein Klimagesetz mündet – als regulatorischer Rahmen und als Klimafahrplan zur Planung und Überprüfung, dem Beispiel der Stadt Wien folgend. Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen müssen gleichwertig berücksichtigt werden. Dabei gilt es auch, Wechselwirkungen und Synergien im Blick zu behalten.
Ist der Rückhalt in der Bevölkerung dafür vorhanden – trotz all der anderen Krisen, Kriege und geopolitischen Spannungen?
Olefs
Wenn wir an größere Städte in Österreich denken, bin ich der Meinung, dass die Menschen es mittlerweile am eigenen Leib spüren. Die Hitze im Sommer, die wirklich zunehmend zu einem Problem im Alltag wird. Wenn wir es schaffen, notwendige Schutzmaßnahmen beim Thema Gebäudekühlung, etwa der Verschattung oder auch in Form von Wärmedämmung, klug mit der Dekarbonisierung des Heizsystems zu verknüpfen, dann haben wir doppelt gewonnen. Ebenso wichtig wären Maßnahmen im öffentlichen Raum. Also wenn wir an die individuelle Mobilität denken, wo vor allem der motorisierte Verkehr stark reduziert werden muss, also die gesamte Mobilität umgestellt werden muss. Gleichzeitig muss dieser öffentliche Raum aber auch für Hitze- und Starkregenanpassungen genutzt werden, da geht es um die Themen Begrünung, Verschattung, Versickerung und Überflutungsschutz.
Welche Maßnahmen empfehlen Sie der Bundesregierung konkret?
Olefs
Es geht darum, Synergien gezielt mitzudenken und zu nutzen. Und sämtliche technischen Bemessungsgrundlagen für Schutz- und Kanalsysteme an den aktuellen Stand der Wissenschaft anzupassen. Denken wir etwa an den Wienfluss und das Rückhaltebecken Auhof im September 2024. Wir müssen einerseits das Unvermeidbare beherrschen, also alles tun, um uns bestmöglich vor bereits sichtbaren Folgen zu schützen. Andererseits aber auch die Emissionen möglichst rasch auf netto-null bringen und unseren Beitrag leisten, um Unbeherrschbares zu vermeiden, denn wir haben gleichzeitig gesehen: Selbst ein reiches und hochtechnisiertes Land wie Österreich kann sich nicht vor allen Gefahren schützen. Geld allein reicht nicht. Auch Klimaanpassung allein reicht nicht. Wir können nicht alle Flussläufe zubetonieren. Wir können nicht jeden Baum und seine Wurzeln vor Starkregen schützen.
Zur Person
Marc Olefs studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck und ist seit 2018 Leiter des Departments Klima-Folgen-Forschung an der Geosphere Austria (ehemals ZAMG).