Können Sie sich eine ORF-Moderatorin mit Kopftuch vorstellen, Frau Raab?
profil: Wussten Sie vom langen Sideletter zum türkis-grünen Regierungsprogramm?
Raab: Nein, ich kannte den Sideletter nicht.
profil: Die ÖVP bekommt das Lehrerinnen-Kopftuchverbot, die Grünen den Vorsitz im ORF-Stiftungsrat. Gab es solch ein Tauschgeschäft, das man aus dem Sideletter herauslesen könnte?
Raab: Nein, mir ist das so nicht bekannt. Für mich gilt das Regierungsprogramm. Mit meiner Meinung zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen habe ich nie hinterm Berg gehalten. Es geht mir um das Empowerment von Mädchen. Lehrerinnen haben auch eine gewisse Vorbildfunktion. Die Schule sollte ein sensibler und geschützter Raum sein, wo sich Mädchen frei entwickeln können, unabhängig von kulturellen Zwängen.
profil: Anfang 2020 haben Sie das Verhüllungsverbot für Lehrerinnen öffentlich gefordert, obwohl es nicht im Regierungsprogramm verankert war. Auf Basis des Sideletters?
Raab: Nein, gar nicht. Der Vorstoß entsprach meiner ureigensten Überzeugung. Seit dem Herbst 2020 gibt es aber eine neue rechtliche Realität. Der Verfassungsgerichtshof hat damals das geltende Kopftuchverbot für Schülerinnen für rechtswidrig erklärt. Und daher ist auch das Kopftuchverbot für Lehrerinnen jetzt kein Thema.
profil: Der VfGH hat beanstandet, dass das Kopftuchverbot nur den Islam betrifft. Wenn Sie so überzeugt sind vom Kopftuchverbot: Warum formulieren Sie es nicht religionsneutral, wie die NEOS es forderten?
Raab: Es ging mir nie darum, Religionen aus der Schule zu vertreiben, sondern darum, gezielt Mädchen zu empowern und patriarchale Strukturen aufzubrechen. Das ist weiterhin Schwerpunkt meiner Integrationsarbeit.
profil: Wie viele Lehrerinnen tragen in Österreich überhaupt Kopftuch, Islam-Lehrerinnen ausgenommen?
Raab: Dazu haben wir keine belastbaren Zahlen.
profil: Ich habe beim islamischen Religionspädagogen Ednan Aslan nachgefragt. Er schätzt: rund 15. War alles eine Scheindebatte?
Raab: Mir ging es nie um die Zahl, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Sicht. Jeder Fall, bei dem ein Mädchen oder eine Frau einem Zwang unterworfen ist, ist einer zu viel. Das gilt für das Kopftuch, aber genauso für Zwangsehe oder Genitalverstümmelung, auch wenn das natürlich nicht direkt miteinander zu vergleichen ist.
profil: Zuwanderung und Integration war das zentrale Thema der Ära Sebastian Kurz. Sie hatten von Beginn an eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung - erst als Beamtin in seinem Integrationsministerium, dann als Ministerin. Was bleibt von dieser Zeit?
Raab: Das Narrativ Integration durch Leistung hat nach wie vor Bestand. Deshalb bin ich etwa auch so ein Anhänger der neu geschaffenen Deutschförderklassen. Dass man sie immer wieder evaluiert und da oder dort anpasst, ist absolut legitim. Aber unterm Strich funktionieren sie sehr gut, das zeigt uns auch das Feedback der Eltern. Weiters sind unsere mittlerweile rund 440 Integrationsbotschafter und Integrationsbotschafterinnen, die durch die Schulen touren und zeigen, was man mit Migrationshintergrund alles erreichen kann, ein wichtiges Projekt - besonders für Mädchen. Da sind Sportlerinnen dabei oder Polizistinnen, die zeigen: Auch in männerdominierten Branchen kannst du es schaffen. Besonders wichtig war und ist mir - auch als Frauenministerin - der Kampf gegen kulturbedingte Gewalt und ein österreichweites Netzwerk gegen Zwangsehen und Genitalverstümmelung zu etablieren.
profil: Bei den heißesten Integrationsthemen der Ära Kurz hat man den Eindruck, es ging mehr um Stimmung und Stimmen bei Wahlen als um nachhaltige Politik. Kopftuchverbote, Kürzung der Mindestsicherung für Flüchtlinge, Kürzung der Familienbeihilfe für EU-Ausländer, die Schließung von islamistischen Vereinen - alles von österreichischen oder europäischen Höchstgerichten aufgehoben.
Raab: Ganz so, wie Sie das darstellen, ist es nicht. Wir haben beim Islamgesetz nachgeschärft, einen Tatbestand des politischen Islam geschaffen, eine Dokumentationsstelle etabliert, mit der wir auch Parallelgesellschaften besser sichtbar machen werden. Die Mindestsicherung wird gekürzt, wenn Deutsch- und Wertekurse nicht besucht werden. Die verpflichtenden Wertekurse haben wir von acht auf 24 Stunden ausgebaut. Und bei der Familienbeihilfe für EU-Ausländer warten wir einmal noch das finale Urteil des Europäischen Gerichtshofs ab. Integrationspolitik ist ein vergleichsweise junges Politikfeld. Politik hat auch die Aufgabe, neue Wege zu gehen und, wenn jemand dagegen beruft, sich weiterhin immer an den Rechtsstaat zu halten. So funktioniert unsere Demokratie.
profil: Nach der Köpfung des französischen Lehrers Samuel Paty durch einen jungen Tschetschenen im Herbst 2020 haben Sie eine "Tschetschenen-Taskforce" eingerichtet. Das produzierte kantige Schlagzeilen, gehört hat man seither nichts mehr davon.
Raab: Diese Schnittstelle zwischen Innenund Integrationsministerium ist selbstverständlich aktiv. Die Beamten tauschen Daten, Fakten und neue Erkenntnisse darüber intensiv aus. Zum Beispiel über Sittenwächter, die junge Mädchen nötigen.
profil: Gilt das Burka-Verbot noch, wenn alle Maske tragen?
Raab: Ja. Es ist darin sogar eine Ausnahme fürs Maskentragen aus gesundheitlichen Gründen verankert. Man kann sehr wohl unterscheiden, ob jemand sich gegen die Pandemie schützt oder vollverschleiert.
profil: Die Schließung der Balkanroute war das Steckenpferd von Kurz. Sie ist längst wieder offen. Vergangenes Jahr suchten 38.000 Menschen um Asyl an. Gleichzeitig gibt es keine Abschiebungen nach Afghanistan, Syrien oder Somalia. Das ist mehr als ein Hauch von 2015. Schaffen wir das noch?
Raab: Das ist in der Tat eine enorme Herausforderung. Wichtig ist da ein restriktiver Migrationskurs, guter Außengrenzschutz und ein konsistentes Asylsystem mit Außerlandesbringungen, wenn es einen negativen Asylbescheid gibt. Wir haben nämlich gerade unglaublich viel zu tun, was die Aufarbeitung von 2015/2016 betrifft. Zwar haben viele der Menschen, die damals kamen und Asyl erhielten, das nötige Deutschniveau erreicht. Aber die Integration der Flüchtlinge von damals ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Integration ist und bleibt eine Herkulesaufgabe, rund 50 Prozent der syrischen Frauen mit Fluchthintergrund sind zum Beispiel noch nicht am Arbeitsmarkt integriert. Und es gehört mehr dazu als nur ein Job, um wirklich anzukommen. Man muss auch einen Teil des Werte-Rucksacks ablegen, den man aus patriarchalischen Ehrkulturen mitgebracht hat. Diesbezüglich gibt es selbst noch bei Zuwanderern der dritten Gastarbeiter-Generation große Herausforderungen.
profil: Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer hat gemeint, es braucht dringend Fachkräfte aus dem Ausland. Er forderte allerdings einen Fokus auf "Menschen aus Ländern mit mehrheitlich christlichem Hintergrund", weil "leichter integrierbar". Sehen Sie das auch so?
Raab: Ich würde das nicht so pauschal sagen. Religion kann auch ein Anker bei der Integration sein, wenn sich Menschen zum Beispiel in einem Verein engagieren und gegenseitig helfen. Aber natürlich sind die unterschiedlichen Werte von Menschen aus Afghanistan, Tschetschenien oder Somalia eine Herausforderung, besonders was das Frauenbild betrifft.
profil: Was also tun gegen den Fachkräftemangel?
Raab: Grundsätzlich muss man zwischen hoch qualifizierten Zuwanderern und Fluchtzuwanderung unterscheiden. Als Integrationsministerin bin ich natürlich dafür, dass wir die rund 35.000 Asylberechtigten ohne Job qualifizieren und am Arbeitsmarkt einsetzen. Das wird aber nicht in allen Segmenten der Wirtschaft gelingen. Deswegen wird sich Österreich auch weiterhin gezielt Fachkräfte aus dem Ausland holen.
profil: Neben dem Kopftuchverbot war auch der ORF Thema im Sideletter. Lassen Sie mich den Bogen mit einer Frage spannen: Können Sie sich eine ORF-Moderatorin mit Kopftuch vorstellen?
Raab: Grundsätzlich glaube ich, dass der ORF eine breite Vielfalt der Gesellschaft abbilden sollte. Und jede Frau hat das Recht, ihre Religion frei zu leben - auch mit Kopftuch. Gleichzeitig wünsche ich mir dort, wo Menschen eine Vorbildwirkung haben, eine besondere Sensibilität, indem man Frauen vorlebt, dass sie sich in Österreich nicht verhüllen müssen.
profil: Sie arbeiten an einer ORF-Reform. Soll damit auch die Unabhängigkeit des ORF gestärkt werden? Darauf drängt der Redakteursrat angesichts der politischen Postenpackeleien, die durch den Sideletter ruchbar wurden.
Raab: Bei der ORF-Reform geht es um die Digitalnovelle. Eine Gremienreform ist nicht geplant. Durch das bestehende Gesetz ist genau geregelt, wie sich der Stiftungsrat zusammensetzt. Die Regierung nominiert und bestellt neun der 35 Stiftungsräte. Das ist transparent und öffentlich. Der Rest wird etwa durch die Länder aber auch durch den Publikumsrat und damit durch die Zivilgesellschaft beschickt.
profil: Stiftungsräte, die offen parteipolitisch agieren, sollen abgezogen werden, fordert der Redakteursrat.
Raab: Das ist kein Thema der Reform. Es ist auch nicht meine Aufgabe, die interne Arbeit eines Aufsichtsrates zu kommentieren.
profil: Was beinhaltet die Digital-Novelle?
Raab: Den ORF an das veränderte Nutzungsverhalten der Menschen - Stichwort Digitalisierung - anzupassen. So wird diskutiert, ob Inhalte der ORF-TV-Thek länger als sieben Tage zugänglich sein sollen und auch reine Online-Inhalte produziert werden dürfen.
profil: Angedacht ist eine Art Webplayer. Sollen über diese Plattform auch Inhalte privater Fernsehsender zugänglich sein? Sonst wäre die Marktmacht des ORF erdrückend.
Raab: Es steht zur Debatte, dass man mehr kooperiert und zusammenarbeitet. Wir sollten weg von der reinen Konkurrenz hin zu mehr Kooperation kommen. Klar ist: Jede Änderung beim ORF hat auch Auswirkungen auf die Mitbewerber und damit den österreichischen Medienstandort.
profil: Schon jetzt schauen viele Bürger über Smartphone oder Laptop ORF und haben gar keinen Fernseher mehr. Die GIS-Gebühr entfällt für sie.
Raab: Auch die Schließung dieser sogenannten "Streaming-Lücke" wird diskutiert.
profil: Mit einer ORF-Steuer oder Haushaltsabgabe für alle?
Raab: Eine Gebührenreform hat die Regierung nicht vorgesehen. Es geht eher um neue technische Möglichkeiten für den ORF.
profil: Klingt nach einem Zugangsschlüssel zum ORF-Streaming nur für GIS-Zahler. Es ginge auch anders. Durch den Sideletter zum türkis-blauen Regierungsprogramm aus dem Jahr 2017 ist bekannt: Die ORF war bereit, die GIS abzuschaffen und den ORF aus dem Budget zu finanzieren.
Raab: Es gibt viele unterschiedliche Wege, öffentlich-rechtliche Medien zu finanzieren. Ich schaue mir internationale Beispiele immer gerne an. Von der aktuellen Regierung ist wie erwähnt keine Gebührenreform geplant.
profil: Finden Sie es schade, dass der ORF die für 15. März angekündigte Impflotterie nun doch nicht durchführt?
Raab: Der Entschließungsantrag von ÖVP, Grünen und SPÖ hat vorgesehen, den ORF zu ersuchen, die Impflotterie zu organisieren. Die Gespräche haben ergeben, dass sich der ORF außerstande sieht, das Vorhaben abzuwickeln. Die Regierung arbeitet an Alternativen.
profil: Wann bringt der Papa Sohn Benedikt (6 Monate) wieder vorbei? Er ist uns beim Reingehen entgegengerollt.
Raab: Er wartet wohl schon auf die Mama.
profil: Dann sollten wir aufhören.
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