Nur 6% der österreichischen Gemeinden werden von Frauen regiert
„Da lief eine männliche Intrige gegen mich“, erzählt Irene Gölles. Von ihrem Bürgermeisterinnenzimmer aus überblickt sie ganz Gloggnitz, eine Kleinstadt im südlichen Niederösterreich. Beinahe hätte die politische Karriere der 61-Jährigen ein jähes Ende gefunden. Die umtriebige Frau war zwei Jahrzehnte lang im Gemeindedienst beschäftigt und saß seit Ende der 1980er-Jahre für die regierenden Sozialdemokraten im Gemeinderat. Rasch stieg sie zur Stadträtin, später zur Vizebürgermeisterin auf. Dann wurde sie dem Bürgermeister zu gefährlich – er schloss sie während der Legislaturperiode im Jahr 2008 aus der Partei aus. Doch Gölles gab sich nicht geschlagen. Sie holte bei den Gemeinderatswahlen im Jahr 2010 zum Gegenschlag aus. Auf Anhieb errang sie mit ihrer Bürgerliste 27,3 Prozent und luchste der SPÖ die Absolute ab. Danach einigte sie sich mit Grün und Schwarz auf eine Koalition und wurde so Bürgermeisterin.
Die Gloggnitzer Stadtchefin ist eine Ausnahmeerscheinung. Von insgesamt 2354 Gemeinden wurden mit Jahresende 2014 nur 141 von Frauen regiert. Das entspricht einem kümmerlichen Anteil von sechs Prozent. Obwohl die Tendenz leicht nach oben zeigt, mutet dagegen selbst der Nationalrat mit einem Frauenanteil von knapp über 30 Prozent wie ein feministisches Bollwerk an. Im internationalen Vergleich liegt Österreich mit der Zahl weiblicher Gemeindechefs laut einer EU-Statistik aus dem Jahr 2007 weit abgeschlagen auf den hintersten Rängen; nur Slowenien, Rumänien und Griechenland weisen noch schlechtere Werte auf. Positiv stechen Lettland (39 Prozent) und Schweden (30 Prozent) hervor. Dabei war Österreich in frauenpolitischer Hinsicht dereinst beispielgebend: 1918 wurde das Frauenwahlrecht vergleichsweise früh eingeführt. Und mit der christlich-sozialen Bundesratspräsidentin Olga Rudel-Zeynek stand ab 1927 die weltweit erste Frau einer parlamentarischen Kammer vor.
„Alles daran setzen, dass die Leistungen der Frauen anerkannt werden"
Der Blick auf die Ölgemälde ihrer Vorgänger erfüllt Gölles mit Stolz. 1948 wurde Zenzi Hölzl in Gloggnitz zur ersten Bürgermeisterin Österreichs gewählt. Die Vorreiterin war sich ihrer Rolle bewusst: „Jeder weiß, dass sich die Bevölkerung nicht leicht dazu entschließt, das Bürgermeisteramt einer Frau zu übertragen. Ich gestehe offen, dass ich dieses Amt etwas ängstlich angetreten habe“, sagte Hölzl einst. Die Trafikantin, eine enge Weggefährtin von Karl Renner, setzte sich jedoch durch. Sie übte die Funktion zehn Jahre lang aus, bis zu ihrem Tod. Bei ihrer Arbeit habe sie sich immer von dem Grundsatz leiten lassen, „nicht allein für die klaglose Führung der Gemeindegeschäfte zu sorgen, sondern alles daran zu setzen, dass die Leistungen der Frauen öffentlich anerkannt werden“.
Es sollte mehr als 50 Jahre dauern, bis nach Zenzi Hölzl die zweite Frau Bürgermeisterin der Gemeinde im Bezirk Neunkirchen wurde. Überhaupt hat sich seither der Anteil von Frauen in kommunalen Spitzenpositionen nur sehr langsam gesteigert. Im Bundesland Salzburg wurde erst vor elf Jahren die erste Frau in ein Bürgermeisteramt gewählt.
Warum ist die geschlechterbezogene Schieflage in der Kommunalpolitik so dramatisch? Die meisten Bürgermeister haben sich über mehrere Jahre in den kommunalen Strukturen nach oben gedient. Sie entstammen dem Kreis der einstigen Gemeinderäte, Stadträte und Vizebürgermeister. Doch schon in den Gemeinderäten zeigt sich ein großes Ungleichgewicht: Der Frauenanteil liegt im Österreichschnitt bei etwa 17 Prozent. Laut einer Studie im Auftrag des Landes Burgenland können sich nur rund 20 Prozent der weiblichen Gemeinderäte vorstellen, einmal das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen, während es bei ihren männlichen Kollegen immerhin 30 Prozent sind. Die Ungleichverteilung wird dadurch weiter befördert.
Selbsterfüllende Prophezeiung
Wenn Frauen für das Spitzenamt ihrer Gemeinde kandidieren, dann meist aus einer unkomfortablen Situation heraus, wie eine Studie des Landes Salzburg verdeutlicht: Unter den insgesamt 264 Kandidaten, die bei den Salzburger Gemeinderatswahlen 1999 in 119 Gemeinden um den Bürgermeistersessel kämpften, waren 13 Frauen – das entspricht fünf Prozent. Doch aus der Wahl ging damals keine einzige Frau als Siegerin hervor. Um das zu erklären, bedarf es eines genaueren Blickes: Die einzige ÖVP-Kandidatin musste damals in einer roten Mehrheitsgemeinde gegen den amtierenden SPÖ-Bürgermeister antreten. Die SPÖ schickte sieben Frauen ins Rennen. Auch sie mussten, mit einer Ausnahme, aus einer Minderheitenposition ihrer Partei heraus kandidieren – und scheiterten. Die restlichen Kandidatinnen kamen aus chancenlosen Minderheitslisten. Parteien neigen also dazu, Frauen dann aufzustellen, wenn die Ausgangslage ungewiss bis aussichtslos ist. Dass Frauen als Spitzenkandidatinnen ihren Parteien tendenziell schaden, wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung.
Ein weiterer Grund für die schwache Frauenquote sind „klassische Männernetzwerke in Traditionsvereinen“, sagt Christine Oppitz-Plörer. Die 46-jährige Politikerin der ÖVP-Abspaltung „Für Innsbruck“ machte mit solchen Seilschaften schon früh Bekanntschaft. An der Universität wollte sie sich mit einigen Studienkolleginnen der Burschenschaft AV Austria anschließen. „Wir haben die alteingesessenen Strukturen unterschätzt und uns die eine oder andere blutige Nase geholt“, erinnert sie sich. Heute ist sie Bürgermeisterin von Innsbruck und damit die einzige Frau, die einer Landeshauptstadt vorsteht.
Vom Gemeinderat über den Stadtrat und das Vizebürgermeisterinnenamt hat sie sich schrittweise nach oben gearbeitet. Die politische Tätigkeit umfasst viele Repräsentationstermine – vor allem am Abend und am Wochenende. Für Frauen, die immer noch mehrheitlich Haushaltsarbeit und Kinderbetreuung schultern, ist das ein Hemmschuh. Als Oppitz-Plörer hauptberuflich Stadträtin wurde, waren ihre beiden Kinder erst acht und zehn Jahre alt. „Das war nur mit ganz ganz großer Zeitdisziplin zu schaffen.“ Und mit der Unterstützung ihrer Eltern. Zeitraubende Hobbys wie Golfen oder Jagen konnte sie sich nie erlauben. Auffallend ist: Je mehr Einwohner eine Gemeinde zählt, desto eher finden sich Frauen im Bürgermeisteramt. Die Mechanismen eingeschworener Zirkel wirken in größeren Kommunen nicht so stark, zudem ist das Betreuungsangebot für Kinder in den Ballungsräumen deutlich besser ausgebaut.
Ich motiviere Frauen, wo ich kann
Oppitz-Plörer will jedenfalls ihren Beitrag zur Frauenförderung leisten, wurde sie doch selbst unter die Fittiche ihrer Amtsvorgängerin Hilde Zach genommen. „Ich motiviere Frauen, wo ich kann.“ Den jungen Frauen rät sie, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, Chancen zu erkennen und sich nicht von viel Arbeit und Anfeindungen abschrecken zu lassen. Durch die schlechte Frauenquote verzichte die Gesellschaft auf 50 Prozent ihrer Kompetenz. Denn: „Es ist denkunmöglich, dass es keine qualifizierten Frauen gibt.“ Wenn sie heute an ihre Studentenzeit zurückdenkt, schwingt Genugtuung mit. „Der Treppenwitz der Geschichte ist, dass mich die AV Austria als Bürgermeisterin zu ihren Veranstaltungen einlädt.“
In Klagenfurt könnte Oppitz-Plörer Ende März eine Amtskollegin bekommen. Die SPÖ schickt dort Maria-Luise Mathiaschitz ins Rennen, die laut jüngsten Umfragen gute Chancen hat, den freiheitlichen Amtsinhaber Christian Scheider abzulösen. In den restlichen 131 Kärntner Kommunen wird sich der Frauenanteil wohl nicht merklich erhöhen. Nur 4,4 Prozent der ÖVP-Bürgermeisterkandidaten sind Frauen, bei der FPÖ sind es 4,5 Prozent, bei der SPÖ 10,3 Prozent. Ähnlich präsentiert sich das Bild in der Steiermark, wo die ÖVP unter den Spitzenkandidatinnen auf acht Prozent kommt, die FPÖ auf 8,2 Prozent und die SPÖ auf neun Prozent.
Unter Berücksichtigung der Salzburger Studienergebnisse wird sich dieser Wert nach dem Wahlgang noch weiter verschlechtern. Die Männerbastion Kommunalpolitik wird wohl noch mehrere Wahlgänge überdauern.
Irene Gölles blickt indessen ihrer zweiten Amtszeit entgegen. Bevor sie das Gemeindeamt absperrt, sagt sie: „Wenn Sie das nächste Mal kommen, wäre es schön, wenn Sie mich nicht mehr als Frau interviewen müssten, sondern einfach als Politikerin.“