Der Sitzungssaal des Nationalrates, am Donnerstag, 24. Oktober 2024, anlässlich der Konstituierenden Sitzung des Nationalrats im Parlament in Wien.
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Der junge Nationalrat: Aufregung „wie am ersten Schultag“

Heute wurden 183 Abgeordnete zum Nationalrat angelobt. profil war vor Ort und sprach mit den jüngsten von ihnen.

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Sophie Wotschke bekommt keinen Arbeitsvertrag. Aber dafür eine Pensionsvorsorge. Die 26-jährige NEOS-Politikerin wird heute im neuen Nationalrat angelobt – als jüngste weibliche Abgeordnete. Wotschke ist seit 8:30 Uhr im Hohen Haus. Jung sein hat Vorteile, meint sie. „Ich war drei Jahre lang Gerichtspraktikantin und da war ich auch die jüngste in der Kanzlei. Man kann sich dann ein bisschen mehr erlauben. Es hat aber Vor- und Nachteile“, sagt Wotschke. Vielleicht werde man weniger ernst genommen, aber dafür interessieren sich die Medien für einen. Es ist mittlerweile 9 Uhr und Wotschke hatte bereits ein anderes Interview. 

Diese Aufmerksamkeit will sie nutzen. „Dann kannst du auf Themen aufmerksam machen, die für junge Leute relevant sind.“ Als erstes Thema nennt sie die Pension: „Als Abgeordnete können wir einen Teil unseres Gehaltes in eine Vorsorgekasse unserer Wahl stecken und zahlen bis zur Ausschüttung keine Steuern darauf. Solche Möglichkeiten sollte man auf alle in Österreich ausweiten.“

Die NEOS sind pünktlich. Schon 15 Minuten, bevor das neue Parlament sich um 12:30 Uhr konstituiert, sind schon die meisten Plätze belegt. Wotschke lehnt sich auf ihrem Sitzplatz in der vorletzten Reihe im NEOS-Block leicht nach vor, wenn sie zuhört. Das macht sie auch, wenn sie mit einem spricht. Ob die NEOS gesellschaftspolitisch links oder eher rechts sind, ist nicht immer eindeutig. Im Nationalrat sitzen sie jedenfalls vom Rednerpult aus gesehen links von der ÖVP. 

Auf der politischen Skala positioniert sich Wotschke so: „Was die Senkung der Steuern angeht, wäre ich quasi rechts. Was mein Familienbild angeht, links.“ Überhaupt will sie sich von dieser Skala distanzieren. „Liberalismus sprengt das Links-Rechts-Schema.“ Zu den NEOS fand sie „um das erste Studienjahr herum“, als sie von Mödling nach Wien zog. Zuerst will sie ein Praktikum bei NEOS Wien und Christoph Wiederkehr machen – bekommt es aber nicht und wird zu den „Jungen liberalen NEOS“ (JUNOS) geschickt. Dort wird sie später Bundesvorsitzende. Nun wird es „intensiv“, wie Wotschke sagt. Sie macht nebenbei das Gerichtsjahr. Sie bekommt als neue Abgeordnete auch zu hören, dass sie „in Österreich wohl nicht mehr Richterin“ werde. Für Hobbys bleibt wenig Zeit, „aber ich versuche am Wochenende wandern zu gehen, zu lesen und Freunde zu treffen. So blöd das klingt.“ Und zu kochen, weil es „voll entspannend ist“. 

Wotschke will zu allen anderen Parteien Kontakt pflegen. „Eine WhatsApp-Gruppe für alle unter-35-Jährigen könnte man manchen“ und auch mal gemeinsam Mittagessen. Auch mit Abgeordneten der FPÖ.

Jung und politisch divers

Die Jüngeren sitzen üblicherweise weiter hinten. So auch der jüngste Mandatar des Nationalrats. Sebastian Schwaighofer. Der Salzburger FPÖ-Landesparteisekretär ist der erste 2000er-Jahrgang, der in den Nationalrat einzieht. Zum Reden zwischendurch hat er heute keine Zeit. Aber Paul Hammerl, sein Parteikollege, sitzt neben der Fensterfront im Parlamentsrestaurant Kelsen und erzählt von sich: In den 1990ern geboren zählt auch er zu den jüngeren Abgeordneten. Er sieht sich als  Vertretung der Stadt Wels im Parlament – für die „Probleme, die wir nicht kommunal lösen können.“ Er spricht davon, wie wichtig grüne Flächen in der Stadt sind, aber „nicht, weil die große Klimakrise kommt“. Von der Gleichstellung von Mann und Frau, „die uns sehr wichtig ist“, und von „europäischen Werten“, zu denen man sich auch bei „gemeinsamen Kulturfesten mit Zuwanderern“ bekenne. Integration sei ein „Geben und Nehmen“: „Wenn ein Vater sein Kind aus dem Kindergarten holt und der Pädagogin nicht die Hand gibt“, müsse es Konsequenzen geben.

Zu den neuen Gesichtern im Nationalrat zählt auch Paul Stich. Sein Sitzplatz ist in der letzten Reihe. Stich ist 26 Jahre alt, kommt aus Floridsdorf, ist Vorsitzender der Sozialistischen Jugend (SJ) und mit heute Nationalabgeordneter. Sein Platz stört ihn nicht. Er war immer schon ein „Letzte-Reihe-Kind“. Er mag es nicht, wenn Leute ihm „in den Rücken schauen“. Im Bus sitze er auch ganz hinten. Apropos unterwegs sein, gestern sei er spätabends nach vielen Terminen in der S-Bahn gesessen, als sie die Donau überquerte. Das machte ihn nachdenklich. Er schrieb einem ehemaligen Schulkollegen, „wie verrückt es eigentlich ist“, dass er morgen angelobt werde.

Wie am ersten Schultag

Es war die Wien-Wahl 2015 während seiner Schulzeit, die ihn für die Politik motivierte. „Weil, wenn wir nicht politisch gestalten, dann machen es andere für uns.“ Genauer genommen eine kleine Elefantenrunde, eine Diskussion der Parteivertreter an seiner damaligen Schule. Deshalb wäre es ein Erfolg für ihn, andere für die Sozialdemokratie zu begeistern. 

Jung im Parlament zu sein, ist aufregend. Stich fühle sich heute „wie am ersten Schultag“. Aber auch demütig. Er denke auch an jene, die in Österreich kein Stimmrecht haben. Sein Anspruch: „24/7 alles dafür zu geben, Mehrheiten umzudrehen.“ Mehrheiten, die die SPÖ nicht mehr hält in Betrieben oder Gemeinderäten. Ob er sich dafür Social-Media-Nachhilfe von der FPÖ holt, die dort erfolgreich wie keine andere Partei ist? Jedenfalls habe man da noch „Hausaufgaben zu erledigen“. 

Die Schule ist auch Paul Stichs zweites Standbein. Wenn er irgendwann nicht mehr Abgeordneter ist, wird er Deutsch- und Geschichtelehrer. Doch das scheint weit weg zu sein. In seiner bisherigen Karriere ist er „ein hohes Arbeitspensum“ gewöhnt. Wie er auf seine mentale Gesundheit in der Politik achten will? „Auch mal bewusst das Handy ausschalten. Und im Fußballstadion. Ich bin ein großer Rapid-Fan.“

Das heutige Spiel wird sich nicht mehr ausgehen. Die erste Parlamentssitzung endet planmäßig erst am späten Nachmittag.

Elena Crisan

Elena Crisan

war bis Oktober 2024 Journalistin im Online-Ressort.