Konzessionsloses Glücksspiel: Die Verbindungen zu FPÖ-Bürgermeister Rabl
22. Februar 2019, 22:57 Uhr: Die Finanzpolizei kontrolliert ein konzessionsloses Automatenlokal in Linz, das laut Ermittlern zu einer mafiösen Glücksspiel-Organisation gehören soll. Mitglieder der Bande sind darauf vorbereitet, sie tauschen sich in der extra dafür eingerichteten WhatsApp-Gruppe "Finanz" aus.
Bandenmitglied L.: "Finanzpolizei in der rainerstasse (sic!) in Linz. Bitte Geräte off schalten.“
R.: „Erledigt“
L.: „Danke“
L.: „War nur eine Kontrolle. Keine Beschlagnahme.“
R.: „Wieder freigeben?“
L.: „Ja. Bitte wieder einschalten.“
R.: „Erledigt.“
25. April 2019, 11:55 Uhr
M.: „Finanzpolizei bei Cafe Amigo. Stehen noch vor der Tür.“
A.: „Geräte off.“
M.: „Der Herr am Video ist von der FP (Finanzpolizei, Anm.) und gibt sich als Spieler aus um in die Lokale zukommen... Er spielt bzw fotografiert die Geräte und kommt dann später gemeinsam mit der ganzen Mannschaft um die Geräte zu beschlagnahmen!“
M.: Schickt Videoaufnahme des Beamten in die Gruppe.
So geht das über mehrere Jahre: Immer dann, wenn Finanzpolizisten Lokale filzen, in denen sie illegale Glücksspielgeräte vermuten, dreht die Gruppierung ihre Automaten über Fernsteuerung ab, damit die Kontrollore keine Belege für konzessionsloses Spiel finden und in einem allfälligen Verwaltungsstrafverfahren das Nachsehen gegen die Hintermänner haben.
Die Chats sind Teil eines umfangreichen Ermittlungsaktes, der profil vorliegt. Auf hunderten Seiten dokumentiert das Bundeskriminalamt (BK) für die Staatsanwaltschaft Wels das Treiben einer mutmaßlich kriminellen Organisation, die unter Ermittlern als "Kajot-Gruppe" bezeichnet wird – Kajot ist der Markenname der Spielautomaten, mit denen die Bande operiert. Die Ermittler stützen ihre Erkenntnisse auf Telefonüberwachungen, auf Observierungen und 45 Terabyte an Daten, die bei einer Großrazzia im Vorjahr sichergestellt wurden. Die Auswertung dieser Unterlagen läuft noch, bestätigt die Staatsanwalt Wels auf profil-Anfrage.
Selten zuvor ließ sich das Innenleben einer mutmaßlich kriminellen Vereinigung so genau nachzeichnen. Selten zuvor agierte eine Gruppierung so dreist. Seit über einem Jahrzehnt soll die Organisation quer durch Österreich 55 illegale Glücksspiellokale betreiben und damit bis zu sieben Millionen Euro jährlich erwirtschaften (Stand: 2020). Zu diesem Zweck soll ein weit verzweigtes Firmennetzwerk mit 19 Unternehmen und 70 Mitarbeitern aufgebaut worden sein. Die Ermittlungen sind politisch heikel, weil der Welser Bürgermeister und mögliche FPÖ-Bundespräsidentschaftskandidat Andreas Rabl vor Jahren für Unternehmen tätig war, die das Bundeskriminalamt der kriminellen Organisation zurechnet – und weil er mit dem Hauptbeschuldigten befreundet sein soll. Ermittelt wird gegen Rabl selbst allerdings nicht. Dazu später mehr.
Die Kajot-Gruppe kann sich jedenfalls auf ein breites Netzwerk stützen, auch auf Maulwürfe in der Verwaltung. Das Bundeskriminalamt verdächtigt Beamte aus Oberösterreich, dass sie "Mitarbeiter der Kajot-Gruppe über bevorstehende Kontrollen informiert haben" und ermittelt deshalb wegen Amtsmissbrauchs gegen unbekannt. Tatsächlich deuten Nachrichten von Bandenmitgliedern in der WhatsApp-Gruppe "Finanz" auf entsprechendes Insiderwissen hin. Im November 2019 warnt L. seine Mistreiter: "Finanzamt ist in Haid unterwegs! Bitte die Mitarbeiter informieren." Ein Kollege kümmert sich darum: "Erledigt".
Die Chats zeigen, dass Behördenkontrollen für die Gruppierung zum Tagesgeschäft gehören: "ich bitte um Info ob die Geräte mitgenommen wurden oder vor Ort verblieben sind“, schreibt ein Bandenmitglied nach einer Razzia der Finanzpolizei. Antwort: "Guten Morgen, alle Geräte mitgenommen." Für diesen Fall hat die Kajot-Gruppe in einem Lager in Edt bei Lambach für Nachschub gesorgt. Die Logistikfirma, die Ermittler der Bande zurechnen, soll dort bis zu 1000 Reserve-Geräte gelagert haben, Techniker beschäftigen und über eine Flotte an Kleinbussen verfügen. So können die konzessionslosen Lokale nur Stunden nach den Kontrollen wieder mit Automaten bestückt werden. Die Verwaltungsstrafverfahren zu den eingezogenen Geräten ziehen sich über Jahre, Anwälte der Bande bekämpfen sie bis zum Verwaltungsgerichtshof.
Und selbst wenn ein Urteil fällt, gestaltet sich die Vollstreckung schwierig. Die Glücksspiellokale werden offiziell von Firmen mit Sitz im Ausland betrieben, der Verdacht der Ermittler ist, dass dort Strohmänner als Geschäftsführer eingesetzt werden. Sie treten für die Bande Ersatzfreiheitsstrafen an und die Hintermänner können ungestört weiter agieren.
Das Firmennetzwerk, das Finanzpolizei und Bundeskriminalamt im Ermittlungsakt erstellt haben, wirkt wie ein Konzern: Neben der Logistikfirma soll die Bande ein Softwareunternehmen zur Entwicklung von Glücksspielen kontrollieren, dazu ein IT-Unternehmen und eine Personalleasingfirma über die sämtliche Mitarbeiter der Gruppierung angemeldet sind. Für den illegalen Geschäftszweig der Automatensalons werden ausländische Betreiberfirmen eingesetzt. Mit ihren Gewinnen aus illegalen Glücksspielen sollen sie laut Verdachtslage die Softwarefirma bezahlen, die diese Slot Games programmiert und die Techniker, die ihre Geräte warten. So wird das schmutzige Geld in einen sauberen Wirtschaftskreis verschoben. Weder die Entwicklung der Spiele noch das Einlagern der Automaten ist verboten, auch wenn man dafür keine Konzession hat. Erst wenn die Geräte an den Strom angeschlossen werden, ist der Tatbestand des illegalen Glücksspiels erfüllt.
Offiziell pflegen die Firmen also nur Geschäftsbeziehungen zueinander und sind rechtlich nicht miteinander verbunden. Die Arbeitsgruppe illegales Glücksspiel im Bundeskriminalamt versucht das Gegenteil zu beweisen: Das Firmen-Konglomerat sei eine kriminelle Vereinigung.
In vielen Verwaltungsstrafverfahren ist dokumentiert, dass die Kajot-Gruppe mit konzessionslosen Automaten operiert. profil überzeugte sich davon bei einem Lokalaugenschein im Jahr 2019 davon, dass die Gruppe ihre konzessionslosen Automaten völlig ungeniert mit Außenreklame ankündigt. Besonders groß war die Aufregung, als die Gruppierung einen Container mit Automaten direkt neben der Welser Tafel eröffnete, bei der Bedürftige eine Mahlzeit um einen Euro bekommen. Viele seiner armutsgefährdeten Klienten seien spielsüchtig und würden dadurch verleitet, kritisierte der Tafel-Chef öffentlich. Eine Bande, die Finanzamt und Gesundheitskasse um Millionen an Abgaben geprellt haben soll, die im Verdacht steht, widerrechtlich AMS-Beschäftigungsboni lukriert zu haben und die ihre Firmen laut Ermittlern mit voller Absicht in den Konkurs treibt, kümmert sowas wenig. Kajot trat bis vor drei Jahren sogar als Namenssponsor des lokalen Fußballklubs auf, dem ASK Kajot Blaue Elf Wels. Inzwischen ist der Deal Geschichte.
Aktuell führt die Staatsanwaltschaft Wels 15 Personen als Beschuldigte, die Liste an möglichen Delikten ist lange: "Gegen alle bis auf einen wird wegen § 278 (Kriminelle Vereinigung) bzw. § 278a StGB (Kriminelle Organisation) ermittelt." Dazu kommen laut StA noch diverse Delikte zur betrügerischen Herbeiführung von Zahlungsunfähigkeit, versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt, Verstrickungsbruch, Urkundenfälschung, Betrugsdelikte, Siegelbruch, Geldwäscherei, gefährliche Drohung, Erpressung, Nötigung und Abgabenhinterziehung. Die Ermittlungen sind umfangreich, heißt es von der Anklagebehörde: "Zwei von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebene Gutachten – eines Buchsachverständigen und eines Sachverständigen für Glückspiel und Automaten – sind noch ausständig. Daneben werden laufend die elektronischen Daten, welche bei der damaligen Durchsuchung sichergestellt wurden, ausgewertet."
Der "Kopf der Gruppierung" soll ein Oberösterreicher sein, der im Großraum Wels lebt. Er werbe für sämtliche Firmen der Kajot-Gruppe die Geschäftsführer und Mitarbeiter an und erteile Anweisungen, ohne die formalrechtlich zuständigen Mitarbeiter einzubeziehen. Das ergibt sich laut Bundeskriminalamt aus den umfangreichen E-Mailkorrespondenzen.
In seiner ersten Beschuldigteneinvernahme im Herbst 2021 rechtfertigte sich der Hauptbeschuldigte so: Das Software-Unternehmen, für das er tätig sei, hätte nichts mit illegalen Aktivitäten zu tun. Die Firma würde für ihre Kunden bloß Glücksspiel-Automaten bereitstellen und mit Software ausstatten. Von wem und in welchen Lokalen die Geräte dann aufgestellt werden, gehe die Softwarefirma nichts an. Der Beschuldigte: "Damit wollten wir auch nie etwas zu tun haben."
Das Bundeskriminalamt rechnet die Firma freilich der kriminellen Vereinigung zu.
Denn diese Firma programmierte auch das zentrale Buchhaltungsprogramm für die mutmaßlich kriminelle Organisation: Mitarbeiter der Bande können damit Geräte via Fernsteuerung abschalten. Um die Steuerbelastung zu minimieren, soll ein Mitglied der Organisation die Auszahlungsbons der Automaten manipulieren. Ziel der Aktion: Den Behörden einen geringeren Ertrag der Glücksspielgeräte vortäuschen und den Restbetrag als Schwarzgeld in einer Ledertasche verstauen. Denn, ja, auch Einnahmen aus illegalem Glücksspiel sind an sich steuerpflichtig.
Was hat nun Andreas Rabl mit all dem zu tun? Der Welser FPÖ-Bürgermeister übte vor Jahren Kontrollfunktionen für zwei Unternehmen aus, die das Bundeskriminalamt der kriminellen Glücksspiel-Vereinigung zurechnet. Außerdem war er in einer Stiftung tätig, die zur Gruppierung gehören soll. Rabl erklärte auf profil-Anfrage: "Wahrnehmungen im Zusammenhang mit illegalem Glücksspiel liegen mir nicht vor."
Rabl verweist auf ein früheres Ermittlungsverfahren gegen die Bande, das eingestellt wurde: "Ich konnte daher auch mit Fug und Recht annehmen, dass die damals erhobenen Vorwürfe unrichtig waren."
Den Hauptbeschuldigten kennt Rabl laut eigenen Angaben seit dem Jahr 2008 aus seiner anwaltlichen Tätigkeit. Zu einer angeblichen Freundschaft der beiden, die von Zeugen im Ermittlungsverfahren angeführt wurde, sagte Rabl nichts. Auf Facebook begegnen sich der Bürgermeister und der mutmaßliche Bandenchef jedenfalls amikal. Rabl kommentierte ein Foto des Beschuldigten sinngemäß so, dass die beiden eine Herausforderung gemeinsam meistern werden. Der Bandenchef wiederum versah sein Facebook-Profilbild im Vorfeld der Gemeinderatswahlen 2021 mit einem Banner: "Team Rabl – FPÖ". Ein anderer Beschuldigter, der zur Glücksspiel-Bande gehören soll, kommentierte vor der Wahl unter eines von Rabls Postings: "Du hast meine Stimme!"
Nach der Großrazzia des Bundeskriminalamts im Vorjahr und den umfangreichen Ermittlungen mehrerer Behörden – darunter Finanzämter und Finanzpolizei – ist das Spiel fürs Erste aus: Ein Beamter, der die Bande seit Jahren beobachtet, erzählte profil, dass die Kajot-Lokale in Wels derzeit geschlossen wären. Die Ermittler vermuten allerdings, dass die Bande längst große Geldbeträge ins Ausland, etwa nach Malta und Zypern, in Sicherheit geschafft hat.