Korporal Identity: Wie das Bundesheer an einem neuen Image arbeitet
Michael Hafner hat nicht gekündigt, er wurde weder versetzt noch befördert, und doch hat er seit einem Jahr einen völlig anderen Job. Der Marketingleiter im Verteidigungsministerium soll das Militär bei dem zeigen, was ein Militär für gewöhnlich macht: schießen, fliegen, im Fliegen schießen. Auf TikTok lässt das Bundesheer dafür Panzer zu verzerrtem Gitarrensound durch den Schnee fahren und das Jagdkommando in voller Montur von einem Helikopter abseilen. „Das war auch immer unser Wunsch“, sagt Hafner. Lange Zeit wurde er nur nicht erfüllt – das Heer sollte sich auf Schutz und Hilfe konzentrieren, das Marketing auch. „Es ist eben immer die Frage, welchen Bedarf es an das Militär gibt – und welcher Zeitgeist herrscht.“
Der Zeitgeist änderte sich nicht schrittweise, sondern sprunghaft am 24. Februar 2022. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine musste sich Österreich, wie viele andere europäische Länder, eine unangenehme Frage stellen: Hat die Republik ihre Sicherheitspolitik vernachlässigt und schlicht gehofft, dass nichts passiert? Die eindeutige Antwort, das mussten alle Parteien zugeben, war: ja. Diese Versäumnisse jetzt aufzuholen, ist teuer und kostet Zeit. In zehn Jahren und mit 16 Milliarden Euro soll sich Österreich zumindest eine Zeit lang selbst verteidigen können.
In der Zwischenzeit sollen Bevölkerung und Personal auf den Wandel vorbereitet werden. Das Bild, das die Truppe derzeit von sich hat, wurde in internen Fokusgruppen abgefragt. Bernhard Lauring von der Abteilung „Eigene Medien“ im Verteidigungsministerium zeigt das schonungslose Ergebnis: „Das Bundesheer kann Österreich im Ernstfall nicht schützen“, ist eine der Analysen, eine andere: „Es ist eine Hilfstruppe, steht für Katastrophenschutz, Unterstützungsleistungen, Grenz- und Auslandseinsätze.“ Oder: „Es übernimmt Aufgaben, die der Ausbildung nicht gerecht werden.“ Auch die Zukunftsvisionen sind in dem Papier notiert, zum Beispiel: „Das Bundesheer ist ein Militär.“ Oder. „Es steht für Kampffähigkeit, Modernität und Stärke.“ Dort „übt man jene Funktionen aus, für die man ausgebildet wurde“.
Damit die Botschaft ankommt, auch abseits der Truppe, arbeitet Lauring an einem neuen Bundesheer-Auftritt: „Es ist zwar nicht so wie von Merkur zu Billa Plus, wo plötzlich alles anders aussieht. Aber es wäre eigentlich gerechtfertigt, denn es ist ein Paradigmenwechsel.“ In Zukunft soll es eine neue (Open-Source-)Schriftart geben, auch eine Art Militär-Jingle wird gerade komponiert. Dass der Spardruck weggefallen ist, helfe dabei, „wir müssen uns jetzt nicht mehr jede Druckerpatrone anschauen“. Das Bundesheer-Logo bleibt ein Dreieck, es soll für die drei Kernbotschaften der Imagekampagne stehen: „Selbstbewusst, kampffähig, stark.“
In den vergangenen Jahrzehnten hat kaum jemand diese drei Begriffe mit dem Militär in Verbindung gebracht – auch nicht in der Politik. Die erste Aufgabe
laut Wehrgesetz, die Landesverteidigung, sollte bloß nicht zu selbstbewusst zur Schau gestellt werden. Wichtiger waren andere Kompetenzen: Katastrophenschutz, Assistenzeinsatz und Hilfsmissionen im Ausland. Die vergangenen Bundesregierungen, egal in welcher Konstellation, investierten nur ungern in das Verteidigungsministerium. Und wenn sie schwere Waffen beschafften, verkauften sie der Bevölkerung das als Unterstützung für Hilfseinsätze im Inland.
Nicht nur die veränderte Sicherheitslage verlangt vom Heer, dass es sich auf militärische Aufgaben konzentriert. Auch die eigenen Soldatinnen und Soldaten tun es. Während der Pandemie war die Truppe zwar im Dauereinsatz, aber immer für Hilfsleistungen: Massentests in der Wiener Stadthalle, Lieferungen an Supermärkte, Fiebermessungen an der Grenze. Das kam zu den Einsätzen dazu, die nur indirekt etwas mit Corona zu tun hatten: 98 Uniformierte bewachen nach wie vor Botschaften und andere Objekte in Wien, um die Polizei zu entlasten. An der Grenze läuft noch immer der Assistenzeinsatz, der 2015 beschlossen wurde: 1100 Soldatinnen und Soldaten sind dort stationiert.
Die hohe Belastung ist empirisch belegt, das Verteidigungsministerium führt jedes Jahr eine repräsentative Befragung beim eigenen Personal durch. „Im zweiten Pandemiejahr sank die Zufriedenheit mit der Balance von Arbeit und Privatleben um zehn Prozent“, war eines der Ergebnisse der vergangenen Studie. Die aktuellsten Zahlen wurden noch nicht veröffentlicht, doch laut Heer setzt sich der Trend fort.
Die Unzufriedenheit liegt aber offenbar nicht nur an der Anzahl der Einsätze, sondern auch an ihrer Art. „Wer zum Heer geht, will den Job machen, für den er sich entschieden hat“, sagt Marketing-Leiter Hafner. Das sind eben hauptsächlich nicht Assistenzeinsätze, sondern militärische Tätigkeiten. Seine Aufgabe ist es nun, die auf allen Kanälen zu zeigen: mehr Sturmgewehre, weniger Sandsäcke.
Um Motivation und Selbstvertrauen der Truppe zu stärken, werden auch kleinere Investitionen schneller erledigt: neue Helme, Nachtsichtgeräte oder modifizierte Sturmgewehre. Die Soldatinnen und Soldaten sollen merken, dass sich etwas tut. Verantwortlich für diese Beschaffungen ist ein Mann, dessen Job sich auch völlig geändert hat: Günter Hofbauer ist Planungschef im Bundesheer und für Investitionen zuständig. „Die Logik war lange, dass die Soldaten im Auslandseinsatz die notwendige High-End-Ausstattung bekommen, von einer Vollausstattung war man weit entfernt.“ Jetzt kann Hofbauer in jedem Bereich etwas nennen, das dringend benötigt wird und, wenn der Budgetplan hält, auch eingekauft wird: Die Kasernen brauchen Sichtschutz, die Lagerräume werden modernisiert. Die Vorräte müssen 55.000 Menschen für 14 Tage lang versorgen. Granatwerfer müssen auf einem Radpanzer transportiert werden können.
Und dann gibt es noch die großen, millionenschweren Projekte: Statt vier Hubschraubertypen soll es in Zukunft nur noch zwei modernere geben. Zum ersten Mal soll das Bundesheer in Zukunft auch in der Lage sein, Luftabwehrraketen mit einer Reichweite von 50 Kilometern abzuschießen. Die Truppe bräuchte Drohnen und will die Drohnenabwehr ausbauen: Dafür mietet sich das Verteidigungsressort ein System von Unternehmen an, um es zu erproben. Bei der Luftraumüberwachung mit Fliegern wartet Hofbauer auf eine Entscheidung von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP): Sollte sich das Heer Doppelsitzer zulegen, könnte es selbst Piloten und Pilotinnen ausbilden. „Ich hoffe auf eine Entscheidung im ersten Quartal, jedenfalls im ersten Halbjahr.“
Und die neuen Flieger wären, so nebenbei, auch gut fürs Image.